Der Sonntagsanzug

Taufkleid und Kommunionanzug. Brautkleid und Hochzeitsanzug. Die Kleidung für den Abschlussball oder auch die würdevollen Textilien für den allerletzten Gang. Die Frage nach dem „Was ziehe ich an“ ist wohl eine der bedeutendsten in der Geschichte der Menschheit. Außer, man (oder Frau) ist Fußballfan. Dann stellt sich mittlerweile vor jeder Saison eine noch viel bedeutendere Frage: Und zwar die nach dem Heimtrikot der kommenden Saison.

Als einzig (wenn überhaupt) das Vereinsemblem die guten alten Baumwolltrikots schmückte, da war diese Frage noch nicht ganz so so wichtig. Es variierte lediglich der Kragen oder das Bündchen am Ärmel. Die Frisuren der Fußballer im Rückblick damals das viel spannendere optische Element. Heutzutage dagegen werden die modernen Kunstfasern bis zur Präsentation unter Verschluss gehalten, wie sonst wohl nur die Kronjuwelen der Queen oder Schuldscheine auf Schalke. Es gibt auch keine Erlkönige, wie in der Autoindustrie, die zu Vermutungen animieren könnten. Schließlich muss ein Trikot ja nicht Probe gefahren werden. Die Belastungen beginnen erst ab XL, darunter hängt es sich einfach aus.

Dem legendären Kicker-Sonderheft blieb es in vielen Jahren vorbehalten, als Erstes alle neuen „Kollektionen“ auf einen Blick vorzustellen. Und es hat gewirkt, wurden doch zuerst die Mannschaftsfotos hektisch durchgeblättert und auf das Aussehen hin kommentiert. Wie anmaßend eigentlich, war man doch selbst auch nur das Spiegelbild der jeweiligen modischen Epoche und mit Koteletten und dicker Hornbrille gestraft. Und doch war es natürlich auch eine sportlich schöne Zeit, gab es doch noch keine Trikots aus Fuschl am See zum Beispiel. Ein dortiger Trikotsammler hat aber auch Vorteile: Aufgrund der riesigen Tradition seines Vereins reichen wenige Kleiderbügel für die bisherige Trikothistorie aus.

Eine Trikotpräsentation der heutigen Generation läuft in kleinen Appetithäppchen ab mit dem Ziel, uns den Mund wässrig zu machen. Sozial-Medial wird da alles rausgehauen was geht und selbst der Testspielpartner wird im entscheidenen Vorhang-auf-Spiel dem Trikot untergeordnet. Daher ja auch der SC Verl. Und da wir eben in diesen in modernen Zeiten leben, wird das erste Foto eines Spielers im neuen Sonntagsanzug vonne Hafenstraße zeitnah eine wahre Eruption der Bewertungen auslösen.

Zwischen „Kacke“ und „Edel“ ist dann meistens alles dabei. Die Zustimmung wird oftmals in weniger Worte gekleidet als die Enttäuschung. Wie im wahren Leben halt. Es freut sich immer ein wenig leiser, als dass es sich laut pöbelt. Interessanterweise kann sich die Ansicht über die Optik im Laufe einer Saison ja auch durchaus schon mal verändern. Das Trikot der vergangenen Saison hat mir von Spieltag zu Spieltag immer besser gefallen, denn es war ja auch auf der Erfolgsspur unterwegs. Punkte machen Kleider. Während ich vom geplanten Kauf des schwarzen Mauertrikots Abstand genommen hatte, da ich es irgendwie mit unglücklichen Spielergebnissen verknüpfte. Obwohl durchaus auch mit optischen Reizen behaftet.

Nun, ich bin sehr gespannt, die Latte scheint mal wieder sehr hoch zu hängen und wie jedes Jahr bleibt uns mindestens die Erkenntnis: „Danke lieber Gott, dass ich kein Königsblau tragen muss“. Aber auch die Angst davor, wie das Trikot letztendlich geschnitten ist. RWE allein ist doch schon spannend genug. Da möchte ich meinen Sonntagsanzug gerne etwas fluffiger tragen.

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