Fermentierter Rosenkohl Weihnachtsbaum
Als sich an einem Freitag, den 15. August 2008, eine lange Rot-Weisse Blechkarawane aus aller Herren Bundes- und anderen Ländern auf den Weg gen Lotter Kreuz machte, waren die Tränen des unnötigen Abstiegs getrocknet. Der Verein stand wieder über allem, die Verachtung über einige Spieler und deren (Wechsel-)Mentalität jedoch als tiefe Falte in die stets markanten Gesichter der Hafenstraße eingegraben. An jenem Sommertag waren wir der festen Überzeugung, das es das erste und zugleich letzte Mal sein würde, dass wir auf dem Acker von Bauer Ewald parken müssen. Dort, wo die Polizeiwagen eher schüchtern hinter angrenzende Scheunen hervorlugten. Das Spiel der neuformierten Mannschaft befeuerte diesen leichten Anflug von Arroganz auf das Trefflichste, wusste sie doch mit Vier zu Eins zu gewinnen. Der Wiederaufstieg somit nur noch Formsache. Es war ein wunderbarer Abend mit der damals äußerst sympathischen, frisch aufgestiegenen, Lotte.
Gut, dass damals noch keiner ahnen konnte, dass es bis zum 12. Dezember 2020 dauern wird, ehe die Kicker von der Hafenstraße mal wieder bei denen vom Lotter Kreuz gewinnen. Eine lange Zeit also, die uns zudem eine ziemlich wechselhafte Beziehung zur Lotte beschert hat. Das einstmals schüchterne Ding wurde zwischendurch eine ziemlich arrogante Zicke. Der einsetzende Erfolg tat ihr nicht immer gut. Uns natürlich auch nicht! Ziemlich fassungslos mussten wir leider ansehen, wie die mittlerweile „Tante Lotte“ getaufte Olle uns und unsere Ambitionen kalt lächelnd zu überholen wusste. Aufstieg in die Dritte Liga mit den paar Fans, während die Tausendschaften rund um die Hafenstraße weiter in der Regionalliga Frust schieben. Dazwischen gab es in gemeinsamen Ligazeiten immer mal wieder Unstimmigkeiten, geniale Mottofahrten und die ständigen Versuche, alle Rot-Weissen in heimischen Gefilden der Haupttribüne zu verweisen. Es war also immer was gebacken in der Beziehung zweier (Spiel-)Partner, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Zwischenzeitlich hatte man sich so lieb wie fermentierten Rosenkohl Weihnachtsbaum. Nach dem Abstieg aus der Dritten Liga stand es dann einige Zeit gar nicht gut um die Lotte, interne Familienstreitigkeiten hatten Existenzängste zur Folge. Vielleicht war das aber auch der Starschuss dafür, allmählich wieder etwas sympathischer rüberzukommen. Und als dann auch noch mit Timo der zweitliebste Essener Brauer nach Stauder bei Tante Lotte anheuerte, da mochte man sie fast schon wieder knuddeln. Schließlich kann man sich ja auch nicht ewig streiten. Zudem ist das schon eine ziemlich feine und knuffige Bude, die sie da ihr eigenes Stadion nennt (Es ist jetzt aber nicht so, dass wir da kommende Saison gleich wieder hin wollen, iss klar).
Es war also eine lange Reise bis zum aktuellen Auswärtserfolg. Und kein Essener musste diesmal damit rechnen, hinauskomplimentiert zu werden. Die Rituale rund um aktuelle „Spielbesuche“ haben sich ja temporär etwas verschoben. Da kann bis kurz vor Anpfiff noch mit dem Hund um den Block gegangen, oder in der Halbzeitpause Wäsche aufgehangen werden. Die Bierdusche nach einem Tor muss man sich schon selbst verpassen und natürlich wird zuhause auch im Sitzen gepinkelt. Wenigstens das Ritual der morgendlichen Spielvorbereitung durch Tommy Jockschies ist geblieben. Das Spiel zu Beginn ein ziemlich wildes Gebolze, wohl auch dadurch bedingt, dass Lotte ziemlich heiss war. Also im übertragenen Sinne jetzt.
Gab es im Spiel gegen Straelen unter der Woche den ersten Eckball erst nach einer Viertelstunde, dauerte es Samstag keine zwei Minuten. Und so ging es auch ziemlich ansehnlich weiter. Mit zunehmender Spieldauer kam aber einmal mehr die unglaubliche Qualität von RWE zum Tragen. Wenn der Gegner nicht durch Überzahlspiel zum Ballverlust gezwungen wird, hilft der absolute Einsatz im Eins gegen Eins, den Ball zu erobern. Gepaart mit einer hohen Ballsicherheit gelingt es dann, diesen ziemlich lange in den eigenen Reihen zu behalten. Das ist solide Handwerkskunst, die die Jungs von Christian Neidhart da aktuell abliefern. Und alle haben das Zeug, noch in dieser Saison den Meisterbrief zu machen. Fast schon erfrischend bei dieser hochwertigen Spielweise die Momente, in denen „Isi“ Young mit dem Kopf durch die Wand und an Freund und Feind vorbei auf das Tor zustürmen will. Möglicherweise nicht zur Freude des Trainers oder des besser postierten Mitspielers. Auf jeden Fall aber immer emotionale Momente für den Fan am Monitor.
Tja, jetzt sitz ich hier, bin Tabellenführer und schreib auf teurer Tastatur ein Lied über Lottes Vergangenheit, damit ich keine Lust verlier. Ha, geniale Adaption von Westernhagens „Mit 18“. Aber es ist doch so: Wir sind Tabellenführer, eilen von Spiel zu Spiel und müssen trotzdem aufpassen, gerade nicht die Lust zu verlieren. Schließlich sind wir trotz unglaublicher Erfolgsserie immer noch kein alleiniger Tabellenführer im eigentlichen Sinne, sondern haben weiterhin die Zwote der Dortmunder im Nacken. Oder die mittlerweile uns! Auf jeden Fall hat uns das zeitgleiche Unentschieden der Borussen beim VfB Homberg ziemlich in die Karten gespielt. Selbst wenn die Jungs vom Borsigplatz nun all ihre Nachholspiele gewinnen würden, wären sie nur noch einen Punkt vor uns. Und den knackt man dann im Heimspiel. Fertig ist die Laube. Dass das Spiel gegen die Kleeblätter nicht weitergeführt werden konnte, steht übrigens außer Frage. Dass dann aber wieder bei Null zu Null begonnen wird, sollte man durchaus hinterfragen. Aber, wir sind auch hier nicht bei wünsch Dir was, sondern bei bestehenden Statuten. Die Homberger haben ja eine ziemliche Abwehrschlacht abgeliefert, wie man so liest. Vielleicht war dort die Aussicht auf das erste Duisburger Lokalderby seit Schimanski Gedenken die Motivation.
Wir Fans von Rot-Weiss Essen sind aktuell endlich einmal auf der Sonnenseite angekommen. Es sieht sportlich mehr als gut aus. Aber wahrscheinlich wird das nächste Unentschieden schon wieder Weltuntergangsstimmung bei einigen hervorrufen. Oder die erste Niederlage erst. Aber, soweit sind wir noch lange nicht, so wie die Jungs gerade die Liga rocken. Diese Mannschaft, wir würden sie im Stadion verbal auf Händen tragen, sie zeitgleich mit Verein mit Inbrunst besingen. Da wir damit aber noch warten müssen, können wir vielleicht allen Beteiligten über Marcus Uhlig als aktuellem Chef und somit Rot-Weisser Rampensau ausrichten lassen, wie stolz wir auf sie sind. Denn das, was da gerade auf dem Platz passiert, ist Hafenstraßenfußball pur. Und sogar erfolgreicher! Also, lass auch mal Aufsteiger werden.