Schlagwort-Archiv: Europapokal

Ehre wem Ehre gebührt.

Oguzhan Kefkir hat einen neuen Verein gefunden. Wie dieser Blog als letztes erfuhr und somit noch nicht darüber berichten konnte. Aber nun ist es dieser Redaktion ja bekannt. „Uns Ötzi“ läuft  also in der kommenden Saison ausgerechnet für Rot-Weiß Oberhausen auf. Das ist per se nichts Schlimmes, aber da die Verhandlungen sicherlich nicht in der Kürze seit Abpfiff Pokalfinale geführt wurden, lief Ötzi somit in dem Wissen auf, noch im Trikot von Rot-Weiss Essen gegen seinen zukünftigen Arbeitgeber Rot-Weiß Oberhausen aufzulaufen.

Was wir auf den Rängen zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen konnten. Und dann passiert das Spiel, schreibt seine Engelmann Geschichte und setzt nun im Nachgang noch den Sportsgeist und tadellosen Charakter von Oguzhan Kefkir als Sahnehäubchen obendrauf. Den Elfmeter in der Nachspielzeit eines 200.000€ Spiels musst Du auch erst einmal verwandeln. Nachdem man auf den Tribünen das ganze Spiel über nicht eine Sekunde Zweifel daran hatte, dass Ötzi hier und heute wieder einmal alles für RWE geben wird, war die Ausführung des Elfmeters dann die wirklich allerletzte Bestätigung. Man hätte ihm nicht einmal eine Fahrkarte übelgenommen. Aber dieses Ding (zwar etwas rumpelig) zu verwandeln, um sich dann vor den Fans in einer großartigen Geste zu verbeugen, das geht in die Historie der ganz großen emotionalen Momente ein, die wir jemals an der Hafenstraße erleben durften.

Nun könnte man vielleicht auf Seiten der RWO-Fans etwas angesäuert sein, getreu dem Motto: „Warum haste nicht einfach daneben geballert?“ Nee, muss man nicht, denn man kann sich viel mehr auf einen Sportler freuen, der schon bald alles für das zukünftige Kleeblatt auf der Brust geben wird. Und zwar (leider) dann auch gegen RWE kommende Saison, sollte man sich im Pokal wiedersehen. Lieber Oguzhan, dass hatte Stil! Und so hatte das Drehbuch Pokalfinale für alle der drei scheidenden Musketiere besondere Momente vorgesehen. Das Tor von Simon Engelmann, den Elfmeter für Oguzhan Kefkir und die Kapitänsbinde und das Megafon für „Rampensau“ Felix Herzenbruch.

Das war dann in Summe mit dem Titelgewinn und den Abschieden zuzüglich des noch angegriffenen Nervenkostüms nach unglaublich aufreibender Saison alles in allem der Nährboden für manch feuchte Augen. Ein großer Dank auch allen anderen Spielern, die unseren Verein nun verlassen werden. Vielleicht gingen Eure Abschiede ein wenig unter, aber Ihr wurdet gebraucht und wart da. Danke!

Da waren vergangenen Samstag im Glutofen Hafenstraße auch viele Anhänger aus Oberhausen. So viele wie eigentlich noch nie bei uns im Stadion. Und man hat sie nicht nur sehr gut gehört, sondern auch optisch durchaus ansprechend wahrgenommen. Das lag zum einen an den einheitlichen Trikots, über dessen Motto man sich in diesen Tagen sicherlich trefflich streiten könnte, aber auch am Intro. Und da die Pyrotechnik wirklich nur zu Spielbeginn als „Vorspann“ eingesetzt wurde, nicht die berühmte Hand verlasen hat und in Verbindung mit den Fahnen ein wirklich stimmiges Bild abgegeben hat, könnte es der ganzen Diskussion um Pyrotechnik sogar als Beispiel dienen, wie es gehen kann. Wie es nicht gehen darf, hat man ja zuvor in Wiesbaden und am selben Abend noch im Berliner Olympiastadion erleben müssen. Raketen auf das Feld, in andere Blöcke geworfene Fackeln, diese ganzen üblen Böller…nee, Fußballkultur am Arsch! Selbst nach dem verlorenen Pokalfinale zeigten die Fans des Nachbarn Größe, respektierten die Leistung ihrer Mannschaft und feierten sie dafür. Und das nach einer Niederlage ausgerechnet gegen den doch so verhassten Nachbarn aus Essen. Auch das Verhalten der Gästefans hatte also, so fair muss man bei aller Rivalität sein, einen großen Anteil daran, dass der ganze Rahmen um das Pokalfinale ein äußerst stimmiger war.

Dieser Niederrheinpokal kommt in der Bewertung bei uns oftmals zu schlecht weg, aber man kommt eben nicht umhin, ihn seit vielen Jahren erfolgreich spielen müssen, um immer wieder mal im DFB-Pokal vertreten zu sein. Den einfachen Weg über die Ligen Zugehörigkeit haben wir schließlich viele Jahre selbst vermasselt. Ich bin also froh darüber, dass es diesen Pokal gibt. Ein Wettbewerb klassischer Prägung ohne Gruppenphase oder anderes Gedöns. Weiterkommen oder rausfliegen: Ist doch schön! Wem das aber unter der eigenen Würde ist, der sollte dann so viel Anstand besitzen, auch in der ersten DFB-Pokalhauptrunde auf einen Stadionbesuch zu verzichten. Es wird wohl noch einige Jahre dauern, bis wir wieder in einen anderen Topf wandern, wenn es um die Auslosung in der Sportschau geht. Bis dahin bin ich um jeden Gewinn des Niederrheinpokals dankbar.

Dieser zehnte Titelgewinn aufgrund der Leistungssteigerung in der zweiten Halbzeit letztendlich verdient, aber noch in der ersten Hälfte war einmal mehr viel Demut auf den Tribünen der Heimfans angebracht. Unser Motor läuft, aber stottert einfach viel zu oft. Irgendein Warnlämpchen leuchtet fast immer. Wenigstens hat die Wartung zur Halbzeit nicht nur innerhalb unserer Mannschaft etwas bewirkt, sondern dadurch bedingt, auch die Atmosphäre im Stadion ordentlich angeheizt. Zusätzlich zu den Temperaturen. Das Stadion, die Kulisse, die beiden Vereine…unser Spiel war schon ein wenig abgekoppelt vom Slogan „Finaltag der Amateure“ und in einer eigenen Liga unterwegs. Es war also glücklicherweise ein stimmiges, letztes Mal in der Saison 2022/23 mit Pokal hochstemmen, Ehrenrunde und nochmal Abschied nehmen. Weiter gehts somit in der Saison 2023/24. Und sollte unser Verein unter anderem dafür noch einen Abwehrspieler von Format, Ligatauglichkeit und mit 1907% Herz für die Sache auf der Findungsagenda haben: Wir wüssten da einen….

„Was hilft das Glück, wenn’s niemand mit uns teilt? Ein einsam‘ Glück ist eine schwere Last.“ (Christian Dietrich Grabbe)

Es war insgesamt für alle Beteiligten im Stadion Essen an diesem finalen Tag der Amateure eine schwere Last. Ein Wettbewerb sollte sein Ende finden, der wie so vieles andere auch, zunächst hinter den besonderen Begebenheiten zurückstecken musste. Der zugleich aber auch die Qualifikation für die kommende DFB Pokalhauptrunde beinhaltet. Zuzüglich des (zumeist einmaligen) Taschengeldes der dann übertragenden TV Anstalten. Es ging also in Zeiten ohne Einnahmen um eine Einnahme, die mindestens eine Art finanzielles Trostpflaster bedeuten dürfte. Aber ging es wirklich nur um Geld?

Es ging um so viel mehr. Es ging um ein Heimspiel an der Hafenstraße 97a. Und mindestens darum, dass unser eigenes Wohnzimmer seiner Seele beraubt wurde. Denn die Seele von Rot-Weiss Essen waren, sind und werden immer seine Fans sein. Diejenigen, die an diesem Finaltag nicht ihre gewohnten Plätze einnehmen durften. Die Zahlen steigen leider wieder, es ist wie es ist. Und wir alle müssen aufpassen. Dieser „Drops“ ist noch lange nicht gelutscht, begegnen wir ihm allzu lässig.

Dreihundert waren also im Stadion. Und im persönlichen Gespräch ist mir keiner begegnet, der nicht mit dem ersten Satz seinen Kummer darüber kundtat, dass es sich nicht gut anfühlt. Dort wo Happo ansonsten seine Kumpels am Bierstand zu begrüßen pflegt, stellte er nun sein Fahrrad ab und wirkte irgendwie verloren. Schön, dachte ich so bei mir, bin ich mit dieser Empfindung dann doch nicht alleine. Nee, war ich somit glücklicherweise nicht, denn die Traurigkeit pflanzte sich über das Gespräch mit Happo bis in das Stadion hinein fort.

Einmal abgesehen von der Entourage des 1.FC Kleve herrschte auf Essener Seite das Gefühl von „Muss ja“. Angenehm reduziert in seiner Lautstärke die Musik, dem Umstand angemessen. Angenehm lecker dann doch die erste Stadionfrikadelle seit März. So viel Ehrlichkeit muss sein. Dreihundert können nicht die Einnahmen von Elftausend bringen, aber es war ein ganz kleiner Schritt in die Richtung, dass der gemeine Fußballfan seine Lebensmittelgrundlage mit Bier und Wurst wieder als ausgeglichen in die App des Vertrauens eintragen kann.

Im Stadion selbst hat unser RWE vorgelegt und eine unaufgeregte Situation geschaffen, die der aktuellen Situation zu gefallen wusste. Das war auf den Punkt gebrachte Umsetzung des Maßnahmenkataloges. Und die Leute waren zudem verdammt diszipliniert. Der Ellenbogen nun das Körperteil der Begrüßung, das Augenzwinkern als Lächeln der Pandemie. Gefühlt gar nicht einmal so viel der Einschränkungen, aber eben doch nicht das, was eines Tages unter dem Begriff  Fußballkultur zu finden sein wird.

Somit kann ich die Argumentation der aktiven Fans (sind wir nicht alle aktive Fans?) absolut nachvollziehen. Das Statement zur Thematik „Alle oder keiner“ durchdacht und emphatisch dem Verein und der Mannschaft gegenüber. Es wird leider in absehbarere Zukunft  keinen Fußball geben, der eine freie Entfaltung zum Beispiel auf einer großen Stehtribüne oder allgemein im Stadion zulassen wird. Der kollektive Gesang und der ekstatische Torjubel; die Bierdusche und das gemeinsame „Aaaaah“ und „Oooooh“. Das gelebte Opa Luscheskowski und herbeigesehnte „Adiole“…alles vertagt auf die Zeit danach. Die Fanbasis wird sich somit auf unbestimmte Zeit ungewollt teilen: In diejenigen, die trotz der Einschränkungen ihren Verein spielen sehen möchten und somit auch für wichtige Einnahmen sorgen. Und in diejenigen, die ihren Fußball nicht so leben dürfen, wie es das eigene Fanleben gerne hat, die sich all ihrer Emotionen dadurch beraubt sehen. Das Verständnis füreinander ist trotzdem gegeben, so nehme ich es wahr.

Rot-Weiss Essen seinerseits muss natürlich gewappnet sein für viele nächste Schritte. Offen sein für jeden Fan, der mit einer kommenden Stufe endlich wieder seine Roten im Stadion spielen sehen darf. Und der RWE ist gewappnet! Ist seiner Zeit zwar nicht voraus, wer kann das aktuell schon, aber immer „just in time“.

Unser RWE hat mit dem 3:1 gegen den 1.FC Kleve bereits zum zehnten Mal den Niederrheinpokal gewonnen. Und es gestaltete sich zwischendurch nicht ganz einfach, diesen Pokal einmal mehr an die Hafenstraße zu holen. Zwar hätte man nach den ersten zwanzig Minuten schon einige Tore zu null Tore führen können, aber das Runde wollte einfach nicht in das Eckige. Was zur Folge hatte, dass Kleve Hoffnung schöpfen durfte. Wenigsten so lange, bis der Engelmann das tat, wofür er verpflichtet wurde. Ein Engelmann trifft also doch nicht nur nur im Land der Küchen und seiner Erbauer, sondern auch mitten im Pott. Da auf beide Halbzeiten verteilt, gilt es keinen lupenreinen Hattrick zu vermelden, aber es war schon cool, mal wieder einen klassischen Goalgetter in den eigenen Reihen zu sehen.

Zwischen der fünfzigsten und siebzigsten Minute ungefähr gönnte sich der RWE dann eine kreative Spielpause, ließ die berühmten Zügel fast ein wenig zu locker. So wurde der 1.FC Kleve aufgrund der eigenen Nachlässigkeit fast ein wenig aufmüpfig und suchte seinerseits das gegnerische Tor. Was hatte das zur Folge? Richtig: Die Hafenstraße begann ganz zart zu murren ob der minutiösen Rot-Weissen Lethargie. Manche Dinge ändern sich dann doch nie. So muss das! Letztendlich haben unsere Jungs das Finale dann aber doch verdient gewonnen, was dem Nervenkostüm unter anderem von Marcus Uhlig sicher gut getan haben dürfte. In seinem Gesicht war nach Abpfiff keine bloße Freude zu erkennen, eher in sich gekehrte Gedankenwelt. Auch hielt sich der Jubel auf dem Feld in Grenzen. Man kann die Spieler verstehen: In solchen Momenten getragen von dem Jubel der Tribünen, muss man sich diesbezüglich momentan selbst bespaßen. Irgendwann aber fanden sich Mannschaft und alle, die dazugehören doch zueinander und besprachen im großen Kreis das Erlebte. Vielleicht wurden von Trainer Neidhart aber auch schon Bestellungen für den Pizzaboten aufgenommen. Man weiss es nicht. Wenigstens wurde das verdiente Stauder direkt schon auf dem Feld kredenzt.

So unspektakulär wie das eigentliche Finale auch die Siegerehrungen danach. Das war solide Pokalübereichung mit angezogener Handbremsenfeier im Anschluss. Die Situation bedingt das einfach. Für den Moment nach dem Spiel sorgten dann wieder die RWE Spieler, indem sie Spalier standen für die Mannschaft aus Kleve, als diese ihre Medaillen in Empfang nehmen durften. Eine sehr schöne Geste.

Nun also Arminia Bielefeld. In den kommenden Wochen kann viel passieren, eine fundierte Planung rund um das Spiel einmal mehr kaum machbar. Das Spiel gegen Kleve hat aber gezeigt, wozu man in Essen fähig ist. Auf und neben dem Rasen. Danke, Dir RWE!

Europapokalfunktionsteam 1994!

Was wäre eigentlich, wenn es die drei Bremer Tore nicht gegeben hätte? Was wäre also gewesen, wenn in diesem Finale nur Rot-Weiss Essen durch Daouda Bangoura in jener 50. Minute das Tor getroffen hätte? Richtig, dann wäre das Finale mit 1:0 für uns ausgegangen, iss klar. Gleichbedeutend aber auch mit der Qualifikation für den damaligen Europapokal der Pokalsieger. Daran hätte uns nicht einmal der DFB hindern können. Ok, es kam jetzt vor 25 Jahren nicht dazu: Wir verloren ja das Finale, die Lizenz war eh schon weg und der Respekt vor dem DFB latent auch nicht mehr vorhanden. Mindestens seit 1971. Trotzdem waren wir an diesem Abend in Berlin gefühlt doch der Sieger!

Grund genug also, uns fünfundzwanzig Jahre später doch noch für den Europapokal der Pokalsieger 1994/95 zu qualifizieren und ihn als Konjunktiv auszuspielen: 

Der Jubel über den Pokalsieg gegen den SV Werder war gerade erst verklungen, als allen Verantwortlichen im Verein bewusst wurde, dass man sich ab sofort nicht nur mit der drittklassigen Regionalliga West/Südwest, sondern auch mit dem Europapokal und der dafür anstehenden Auslosung zu beschäftigen hatte. Wer aber sollte sich darum kümmern, bei all den Zwistigkeiten unter den Herren Himmelreich und Arnold? Ein harmonierendes Europapokalfunktionsteam musste also her, um unseren Verein bestens zu vertreten: Die Wahl fiel schnell auf Günter Barchfeld (als einer der wenigen mit Europapokal Erfahrung), Lothar Dohr (spezialisiert auf laute Zwischenrufe) und Detlev Jaritz (Der machte das mit den Fähnchen und Wimpeln). Die drei machten sich also am 15. Juni 1994 auf nach Bern, wo im noblen Hotel Savoy alljährlich die Auslosungen für die verschiedenen Europapokalwettbewerbe durchgeführt wurden. Im Falle des RWE die zur Qualifikation für den eigentlichen Europapokalwettbewerb. Für Günter, Lothar und Detlev ein gutes Omen, bei dem Namen „Bern“ klingelten allen direkt dem Horst seine Glocken. Übrigens die letzte, in Bern stattfindende, Auslosung, war für das kommende Jahr 1995 der Umzug der UEFA in das schweizerische Nyon geplant. Ein gutes Omen also.

Es war der späte Vormittag des 16. Juni, als der Ziehungsleiter der UEFA, Cash Moneypenny, zu den Lostöpfen schritt und die Losfee Kevin Keegan bat, zur Tat zu schreiten. Es ging ganz schnell, denn schon die ersten beiden Namen aus dem Topf zur Qualifikation brachten Rot-Weiss Essen und Tiligul Tiraspol aus Moldawien zusammen. Den drei Essener Vertretern stand zunächst das Fragezeichen auf die Stirn geschrieben: „Tiligul Watt?“ Aber, der Erstkontakt mit den Vertretern von Tiligul konnte weitestgehend alle Fragen klären. Tiraspol hat immerhin 148.917 Einwohner und wurde 1792 gegründet. Eine Stadt also, nur unwesentlich älter als unser RWE. Gespielt wird dort im „Stadionul Municipal“. Auf die zwei Spieltermine konnten sich die Delegationen beider Vereine abends an der Theke schnell einigen. Es gab ein Hin- und ein Rückspiel. Fettich! Ruhrpottpragmatismus eben. Erst später fiel den Dreien auf, dass man ja gar nicht über die Termine verhandelt hatte. Das konnte dann aber fernmündlich doch noch geklärt werden.

Und so betrat Rot-Weiss Essen am 11.08.1994 erstmalig nach dem 12.10.1955 in Edinburgh wieder europäischen Fußballboden. Ein geschichtsträchtiges Datum somit. Das Spiel eher weniger für die Geschichtsbücher, konnte das holprige Geläuf im warmen Tiraspol kaum zu einem hinreissenden Spiel verleiten. Und doch konnte der Drittligist Rot-Weiss Essen einen hart erkämpften 1:0 Erfolg mit zurück an die Hafenstraße nehmen. Die 97a mitgereisten RWE Fans feierten stürmisch ihre Mannschaft und gönnten sich noch ein verlängertes Wochenende am Schwarzen Meer. Jürgen Wegmann sagte anschließend im Anpfiff Interview zu Uli Potofski: „Zuerst hatten wir kein Pech, und dann kam auch noch Glück dazu.“ Der Europapokalauftakt also mehr als gelungen. 

Dreizehn Tage später kam es zum Rückspiel an der Essener Hafenstraße. Aus Sicherheitsgründen durfte der RWE nur 1.907 Eintrittskarten verkaufen. Es haperte also ein wenig an europäischem Flair auf den Rängen, dafür aber war das Spielfeld an diesem 24.08.1994 ein Gedicht: Jupp Breitbach hatte Grashalm für Grashalm zu einem wunderschönen Grasteppich wachsen lassen. Reinreden durfte ihm dabei keiner. Wehe wenn…! Das Spiel ein wesentlich besseres als noch im Hinspiel, der 0:1 Rückstand durch Lugilit Lopsarit konnte schnell durch Wolfram Klein egalisiert werden. Adrian Spyrka war es dann, der mit einem Doppelpack zum 3:1 Endstand traf. Welch ein Jubel nach Abpfiff. Helmut Rahn und Willi Lippens lagen sich auf der Tribüne in den Armen und selbst die Kontrahenten Himmelreich und Arnold nickten einander zu. 

Nur unser Europapokalfunktionsteam bekam plötzlich richtig Brassel: Es dämmerte den Herren Barchfeld, Dohr und Jaritz, dass es schon wieder nach Bern gehen würde, stand doch die nächste Auslosung vor der Tür. Wenigstens hatte sich der Verein in seinen Strukturen langsam erholt und brachte die Qualifikationsrunde auch die ein oder andere Mark in die sanierungsbedürftige Vereinskasse. Somit wurde ein nagelneuer Neunsitzer angeschafft, mit dem nun relativ bequem am 30.08.1994 nach Bern gefahren wurde. Durch stetige Fahrerwechsel kam man flott voran und wer nicht gerade am Steuer saß, konnte die Zeit anderweitig nutzen: Günter aktualisierte seine Statistik der Anzahl an Berlinern, die er mittlerweile der Geschäftsstelle vermacht hat. Lothar übte verschiedene Tonlagen, um seinen Schreck noch schreck….äh schöner durch das Stadion schallen zu lassen und Detlev bastelte an Ideen für den Fanshop und verwaltete die Reisekasse. 

Der nächste Vormittag, wieder im noblen Hotel Savoy. Tag der Auslosung. Geschlafen wurde aus Kostengründen im Neunsitzer, drei Zimmer im Savoy saßen finanziell nicht drin. Ritualisiert begann Cash Moneypenny mit der Auslosung, bevor es zu einem Eklat kam: Losfee heute war „Erwin“. Als unsere drei Essener Jungs das Gelsenkirchener Maskottchen an der Lostrommel stehen sahen, machten sie auf der Stelle kehrt und ließen das Gremium und die UEFA wissen, dass der Gegner dieser ersten Runde nur unter Protest angenommen wird.

Ungefähr eine Stunde später sollte der draußen wartenden RWE Delegation der Erstrundengegner des nun wirklich richtigen Europapokal der Pokalsieger mitgeteilt werden: Der Deutsche Austauschschüler und Praktikant der UEFA, Uwe H. wurde angewiesen, die Essener wieder hineinzubitten. Zudem hatte er sich im Namen der UEFA dafür zu entschuldigen, mit der Wahl von „Erwin“ als Losfee die Gefühle der Essener verletzt zu haben. Das empfand Uwe H. als eine solche Erniedrigung, so dass er sich schwor, eines Tages selbst bei RWE zu arbeiten, um den Bergeborbeckern dann als Akt der Rache von innen heraus zu schaden. 

Wie dem auch sei: Der Gegner stand fest, stammt aus Finnland und heißt Helsingin jalkapalloklubi. Kurz: HJK Helsinki. Mehr Europapokal geht nicht, dachte Detlev, während Lothar stumm auf seiner Knifte kaute und dabei sinnierte, was „Schreck vom Niederrhein“ wohl auf finnisch bedeuten könnte. Günter hingegen machte Nägel mit Köpfen, holte die Berliner aus seinem Aktenkoffer und begab sich damit zu der Delegation des HJK. Irgendwann will man ja auch die Dinge geklärt wissen und zurück nach Hause. Schließlich gilt es wie immer dem Training beizuwohnen. Schon nach den ersten Minuten der Unterredung stellte man fest, dass man einander sehr sympathisch fand und es wurde gar euphorisch, als beide Delegationen entdeckten, dass ihre Vereine im Jahre des Fußballgottes 1907 gegründet wurden. Bevor man sich nun in launiger Atmosphäre ganz in den Geschicken seit 1907 verlor, einigte man sich noch auf die Austragungstermine. 

Diesmal hatte der RWE zuerst Heimrecht. Und Recht auf volles Heim. Die UEFA hatte eingesehen, dass an der Hafenstraße nur sympathische Fans unterwegs sind und wollte aus möglichen Problemen nun keinen Löwen machen. Zudem waren aus Helsinki nicht unbedingt viele Fans zu erwarte. Somit war das Georg-Melches Stadion an diesem lauen Herbstabend des 13.09.1994 pickepackevoll, die Stimmung ziemlich toll. Was folgte war ein beinhartes Kampfspiel, welches die Kicker aus Helsinki den Ballzauberern aus Essen auferlegten. Leider ließ sich Jürgen Wegmann davon beeinflussen, so dass er einen gegnerischen Spieler mit dem wilden Ruf „Ich Kobra, Du Lappe“ rücksichtslos von hinten zu Fall brachte. Der RWE danach nur noch zu zehnt auf dem Platz. Dumm gelaufen. Durch die nimmermüde Unterstützung von den Rängen biss sich die dezimierte Mannschaft aber durch die neunzig Minuten und kam mit zwei Toren in der Nachspielzeit noch zu einem nicht erwarteten Heimsieg. RWE Tore in Nachspielzeit, das klingt natürlich unglaubwürdig. Aber so war es: Robert Ratkowski zum 1:0 in der 90.+2, und Dirk Helmig mit einem Distanzschuss zum 2:0 Endstand in der 90.+4. Minute!

Mehr als zwei Wochen später hieß es dann „Alle nach Helsinki“: Es waren fast 2.000 Fans des RWE, die dem Aufruf folgten und auf vielen Wegen am 29.09.1994 die Reise nach Finnland antraten. Die 1550 gegründete Stadt Helsinki mit ihren 635.181 Einwohnern ist natürlich keine reine Fußballstadt wie Essen zum Beispiel. Aber eine an Kultur und Natur reiche Schönheit, die manch Fan verzaubern konnte. Abends ging es dann aber von den Sehenswürdigkeiten weg in das eigentliche Ziel der Reise, das 1915 eröffnete Tölen Pallokenttä Stadion hinein. Recht weitläufiges, nach oben hin offenes Stadion, aber mit viel Charme. Das Spiel als solches weniger charmant, ging das wilde Getrete  aus dem Hinspiel direkt weiter. Man fühlte sich an das siebte Spiel einer Play Off Serie im Eishockey erinnert. Rolf Töpperwien unterlegte seinen Sport-Reportagen Bericht zum Spiel unter anderem mit dem Satz: „Eine unfaire Art der HJK Spieler, wie ich sie in 23 Berufsjahren außer im Parkstadion noch nie erlebt habe“. Sampo Kotiranta war es schließlich, der in der 53. Minute zum doch verdienten 1:0 des HJK traf. Lange Zeit danach sah es so aus, als würde der RWE hier nun untergehen, aber die Rot-Weissen konnten sich mit Mut und einem überragenden Zoran Zeljko im Tor aus dem finnischen Aufguss befreien und (erneut vor Schluß) ausgleichen. Oliver Grein machte ihn aus kurzer Distanz rein. Da griente der Grein. Fein. Abpfiff. Der RWE in Runde Zwei des Europapokal der Pokalsieger. Als Drittligist. Dem DFB war das in seinen Publikationen und Veröffentlichungen immer noch keine Notiz wert. Den RWE Fans in diesem Moment aber egal, sie feierten ihre Mannschaft und purzelten vor Freude in ihrem Block umher. Es wurde eine launige (lange) Rückfahrt und kostete nicht wenige Fans noch in den Folgemonaten Dispo Zinsen, da das Bier in Finnland fast unbezahlbar ist. 

Da unsere Freunde Lothar, Günter und Detlev natürlich auch in Helsinki vor Ort waren, ging es für sie diesmal nur kurz zurück nach Essen. Das „Trio Berniale“: Eben noch Fan, und am nächsten Tag schon wieder kommissarischer Funktionär. Man ahnt es, die Drei mussten wieder nach Bern. Die nächste Auslosung stand an, diesmal sehr zeitnah. Durch den sportlichen Erfolg stiegen auch die Einnahmen aus dem Europapokal und dem Europapokalfunktionsteam wurden weiter Erleichterungen zuteil: Für den Neunsitzer gab es nun eine Kühlbox und endlich durfte auch im Berner Savoy selbst übernachtet werden. Am Vormittag des 2.10.1994 erklärte Cash Moneypenny gewohnt hochnäsig die Auslosung für eröffnet und wies Lottofee Vicky Leandros an, die Mannschaften zu ziehen. Mittlerweile hatte ein jeder so seine Wünsche, wo es in der nächsten Runde hingehen sollte: Detlev wollte gegen die Grasshoppers aus Zürich spielen, schließlich kennt man den Weg in die Schweiz schon in- und auswendig. Günter würde gerne gegen Feyenoord Rotterdam gelost werden, weil nicht so weit weg von Frau und Zuhause. Lothar würde gerne gegen Sampdoria Genua spielen, da man ihm von der einzigartigen Akustik im Stadio Luigi Ferraris berichtet hat. So hingen unsere drei Helden im Auditorium sitzend ihren Zweitrundenträumen nach und bekamen fast nicht mit, als das Zettelchen mit dem Namen Rot-Weiss Essen hochgehalten wurde. Aber nur fast, denn reflexartig war die Aufmerksamkeit wieder da und steigerte sich noch, als dem RWE der Name Association de la Jeunesse Auxerroise zugelost wurde. Halleluja, es geht nach Frankreich in das schöne Burgund. 

Die drei verabschiedeten sich recht schnell von ihren Wunschgegnern und setzten sich mit der Delegation aus Auxerre zusammen. Zuerst jedoch wurde der Punkt mit den Gastgeschenken abgehakt: Der RWE bringt einige Kisten Stauder mit nach Auxerre und der AJ einige Kartons Chablis Grand Cru Les Preuses. So spielen beide nicht nur gegeneinander, sondern lernen auch Spezialitäten aus der Region kennen. dabei beließen es die Delegationen an diesem Abend in Bern aber und einigten sich flott auf die Ansetzungen: Das Hinspiel findet am 20.10.1994 an der Hafenstraße in Essen statt. Das Rückspiel dann am 3.11.1994 im Stade de l’Abbé-Deschamps der 34.000 Einwohner Stadt Auxerre. Recht schweigsam die Rückfahrt nach Essen, denn im Tagesgeschäft, der Regionalliga West/Südwest, lief es nicht so wie gewünscht. Vielleicht ist die Doppelbelastung Europapokal und Liga für die neuformierte Essener Mannschaft etwas zu viel des Guten. Aber, es ist wie es ist und Essener geben niemals auf. Also wurde die Planung Auxerre mittlerweile gewohnt routiniert in Angriff genommen. 

Die Franzosen brachten wie verabredet den guten Burgunder mit an die abermals ausverkaufte Hafenstraße mit. Leider aber auch einen verdammt guten Abend auf dem Feld, was sich in einer 2:0 Halbzeitführung zeigte. Die Wände der Heimkabine müssen gewackelt haben und der Trainer die Mannschaft definitiv erreicht, denn Christian Schreier und Christian Dondera trafen noch zum glücklichen Ausgleich. Aufgrund der Auswärtstorregel ein klarer Vorteil für die AJ Auxerre. Trotzdem wurden die Rot-Weissen Kicker einmal mehr mit Applaus verabschiedet. Ohne viel Hoffnung fuhr der RWE Tross mit 2.500 Fans im Schlepptau gen Auxerre. Und diese Hoffnungslosigkeit spiegelte sich dann an einem tristen Abend Anfang November auf dem Feld wieder: Unser RWE unterlag der AJ Auxerre mit 0:2. Irgendwie alles Scheisse an diesem Abend: Das Wetter, die eigene Leistung, die Unterstützung. Es hat halt nicht sein sollen. Traurig trottete die Mannschaft in die Kabine; etwas sprachlos blieben die Fans in ihrem burgundischen Block zurück. Doch nach einigen Minuten begriffen Fans und Mannschaft, was sie in den letzten Wochen und Monaten geleistet haben und hatten sich noch einmal am Zaun lieb. Es hallten trotzige Gesänge eines Drittligisten in den französischen Himmel, dann war sie vorbei für Rot-Weiss Essen, die Zeit im Europapokal der Pokalsieger 1994/195. 

Schön war’s in Europa. Nur der RWE!

„Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel, man weiß, dass man nur Pokal bekommt“

Prolog:

Schon die Filmutter der allseits beliebten Filmfigur des Forrest Gump ahnte, dass Rot-Weiss Essen in der letzten Dekade seiner sportlichen Schaffensphase eher dem Niederrheinpokal, als der Liga zugetan ist. Hier nämlich fängt man erst einmal ganz gemütlich an: Auf kleinen Plätzen womöglich und weitestgehend unbeobachtet von der eigenen Anhängerschaft, um sich dann vorzuarbeiten zu emotionalen Halbfinal- und/oder Finalspielen mit großer Kapelle. In den letzten beiden Jahren dann gekrönt vom Pokalgewinn und Bonusprämie Erstrunde DFB Pokal.

Kapitel 1 – 1907:

„Bäääääm“ war auch im Lostopf für die Überschrift zu diesem Text, aber das wird nun einfach aus Gründen das Schlusswort. „Angst“ war eine weitere Option, denn ich muss gestehen, dass ich vor diesem Spiel eine gehörige Portion Anspannung, ja fast Angst verspürte. Und das seit Tagen. Angst um unseren Verein; Angst um die Zeit bis Saisonende, sollte das Spiel im Tal verloren werden. Kannte ich bis dato seit einiger Zeit nicht mehr so. Die Liga wurde zwar meistens frühzeitig abgeschenkt; die Reaktionen darauf schwankten wie immer vielfältig zwischen Meckern und Meckern. Doch es gab wenigstens die kleine Stecknadel Europapokal Niederrheinpokal im saisonalen Heuhaufen. Das Bonusgeschenk für klein gehaltene Regionalligisten; der Treuerabatt für die Fußballunterschicht. Der Pokal des Dorfpolizisten in den ersten, sowie der Pokal für Wasserwerfer, Hubschrauber und Hundertschaft in den letzten Runden.

Im aktuellen Wettbewerb jedoch war die Leichtigkeit auf einmal dahin: Der Pokal wurde unter anderem durch den plötzlich und unerwarteten Rückzug eines großen Sponsors zu einem Wettbewerb von fast existenzieller Bedeutung, um den Spielraum für die kommende Saison zu erweitern, bzw. gar zu halten. Und vielleicht kann auch schon dieses Halbfinale den Einzug in den DFB Pokal bedeuten, sofern der MSV die schwere Hürde RWO überspringt und zudem in der dritten Liga mindestens auf Platz vier einläuft. Alles fokussierte sich also auf das Halbfinale gegen den WSV. Zeitgleich jedoch eilte die Mannschaft in der Liga von Unentschieden zu Unentschieden; wurden Kaderstärke, Torquote und Zuschauerzahlen minimiert. Teure Strafzettel und ein Fanleben auf Bewährung sorgten ebenso für Sorgenfalten. Alles in allem also eine eher suboptimale Situation in den letzten Tagen und Wochen vor dem Pokalhalbfinale.

Blieb also die alles entscheidende Frage, wie die Mannschaft mit diesem Druck umgehen würde. Es heißt ja durchaus in selbsternannten Fachkreisen, dass zum Beispiel der (Aufstiegs-) Druck bei RWE regelmäßig die Beine der Spieler lähmt (um ab und an beim darauffolgenden Verein aufzublühen). Und dann gibt es ja noch diese ominösen letzten Minuten, in welchen der RWE in schöner Regelmäßigkeit noch ein Gegentor kassiert. Massiver Druck kam im Vorfeld natürlich auch aus Wuppertal. Ein Aufruf zum Beispiel von epochaler Qualität, der als peinlichster Aufruf aller Zeiten, seit es peinliche Aufrufe gibt, in die Geschichte eingehen wird. Die Rhetorik Freunde Wuppertal haben alles, aber auch wirklich alles gegeben (Mal ernsthaft: geht es wirklich nur noch mit stumpfer Beleidigung gegen alles und jeden? Hat dieses Internet uns alle so im gegenseitigen Respekt verrohen lassen? Es geht doch auch kreativ und mit Witz).

Wir spulen an dieser Stelle vor und erleben das Spiel auf holprigen Rasen. So empfand ich die Spielfläche. Es hat seine Zeit gedauert, bis nicht nur alle Essener Fans Einlass fanden, sondern auch die Spieler mit dem Untergrund klarkamen. Zu Beginn doch viele „Stockfehler“ auf beiden Seiten. Die erste Halbzeit insgesamt relativ Unentschieden, daher vielleicht auch das Halbzeitergebnis von Null zu Null. Die zweite Halbzeit begann mit dem Anpfiff und war gefühlt für den RWE in der 55. Minute vorbei, als der WSV zum 1:0 traf. Ein Schock, denn bislang waren die Wuppertaler eher so semigefährlich Richtung Essener Tor unterwegs. Gefühlt war da das Ding gegen uns gelaufen. Ich gestand mir diese negativste aller negativen Einstellungen zu. Ich musste mich für meinen Optimismus vor dem Spiel nun kasteien. Doch dann kamen die wilden sechziger zurück: Flowerpower am Zoo: Einundsechzigste der Ausgleich durch Benjamin Baier. Dreiundsechzigste die Führung durch (den vielgescholtenen) Timo Brauer und deren Ausbau in der neunundsechzigsten durch wiederum Benjamin Baier.

Mehr Treffer und Höhepunkte in den Sechzigern hatte wohl nur noch Keith Richards. Eine starke Vorstellung beider Mannschaften in jener zweiten Halbzeit, die sich zu einem echten und so oft vielzitierten „Pokalkrimi“ entwickelte. Ein Bundesligaspiel Wolfsburg gegen Ingolstadt kann nicht im Ansatz diese Emotionen und Atmosphäre auf die Ränge zaubern. Das ist und bleibt das Privileg der Fußballtradition. Wir haben kein Geld und kein Erfolg, aber wir haben uns! Stabil an diesem Abend einmal mehr die Abwehrreihe  um den mittlerweile langhaarigen langen Zeiger und den wiedergenesenen Windmüller. Selbst der Anschlusstreffer und die scheinbar nun in Beton gegossenen vier Minuten Nachspielzeit ließen hinten nichts anbrennen.

Bleibt die eine alles entscheidende Frage: Warum bringt man eine solche Leistung nicht auch in der Liga auf den Platz? Normalerweise gewinnt man in Wuppertal nicht. Seit Jahren nicht mehr.  Und dann auf einmal dieser Abend und diese Leistung. Zudem mit einem Minikader. Überragend übrigens, wie auch die Ersatzspieler am Spielgeschehen teilnahmen und die Tore bejubelten. Das gab ein tolles Gefühl, eine ganze Mannschaft anzufeuern. Einen Verein. Unseren Verein! Und dann wird auch noch der Betreuer zum Rastelli am Ball. Kannste Dir alles nicht ausdenken.

Abpfiff. Finale erreicht, witziges Banner präsentiert und der Mannschaft überreicht. So geht es doch auch. Und doch wird dieses Halbfinale unserem Verein erneut eine empfindliche Strafe bescheren, da gezündet wurde. Ach Mensch, man hätte doch auch mal den Bewährungsauflagen Folge leisten können. Nun hat vielleicht die Leidenschaft weniger zur Folge, dass die Leidenschaft vieler für ein Spiel verwehrt bleibt. Und doch: Warum muß eigentlich ein Verein die Strafe für etwas bezahlen, was er nicht zu verantworten hat? Wenn ich meinen Balkon abfackele, muss doch auch nicht die Stadt bezahlen! Hier muss einmal mehr miteinander gesprochen werden. Müssen Lösungen her. Bundesweit. Verbote stoßen auf taube Ohren, bringen nichts. Warum nicht doch in Maßen legalisieren? Wie auch immer geartet. Aktuell aber gilt: Die Zeche darf einmal mehr der RWE bezahlen, und das ist in Anbetracht der aktuellen Finanzlage bitter. Trotzdem haben alle Fans zusammen ihren RWE unentwegt angefeuert. Ihr für uns und wir für Euch.

Epilog:

Schlichtweg fertig nach Abpfiff, gar nicht mehr zur wirklichen Freude fähig. Sondern nur das ausmalend, was uns zum Glück erspart geblieben ist: Das Szenario der nächsten Tage im Falle einer Niederlage. Es ist nicht dazu gekommen. Hurra wir leben noch. Und nun gucken wir mal ganz entspannt, wer der Gegner im Finale sein wird. Wird es der MSV, kann es ein rauschendes, weil befreites Finale werden. Wird es RWO, bedeutet das ein Existenzendspiel für beide Vereine um den Lostopf DFB Pokal. Es bleibt spannend. Danke Jungs, speziell in der zweiten Halbzeit war es ein klasse Spiel von Euch. Bitte mehr davon.

Bäääääm!

Sunshine on Leith. Absatz Eins.

„Oh, wie ist das schön, oh, wie ist das schön. So was hat man lange nicht erlebt, so schön, soooooo schön!“

Ja es muss doch endlich einmal gewürdigt werden, was uns Funktionäre diverser Fußballverbände zur Zeit an aberwitzigen Ideen und Wünschen in die Gazetten diktieren. Natürlich ist das obige Liedchen nicht wirklich ernst gemeint! Nur lassen Vielzahl dieser aktuellen Gedanken, durchgesteckt und die Seele des Spiels tunnelnd, nur noch ironische Gesänge zu. Die Ideen der Herren Infantino und Ceferin, aber auch Rummenigge und Watzke und wie sie alle heißen, dienen nur der einen guten Sache: Dem Fußball.

Natürlich nicht, so blöd sind wir Fußballfans auch wieder nicht! Sie dienen nur den monetären Interessen und drängen auf lange Sicht den, der sich auch schon in den 80ern in einem zugigen Stadion bei Wind und Wetter den Arsch abgefroren und den Hals heiser geschrien hat, langsam aber sicher aus den Stadien. Der Fußball alter Prägung soll in Teilen „outgesourct“, die alten Ligen, Wettbewerbe und Strukturen zerschlagen werden. Natürlich nur, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Egal eigentlich, was jetzt noch an abstrusen Ideen und Umsetzungen kommt; egal ob die DFB Elf in ferner Zukunft eine EM Qualifikation gegen die Auswahl der Grafschaft Bentheim oder das Königreich Beisen zu bestreiten hat. Egal ob Willi Lippens Markenbotschafter des RWE in China wird, der HSV endlich einmal absteigt oder Tönnies Schalke löscht wie seine Firmen, um Steuernachzahlungen zu umgehen:

Der Fußball, wie wir ihn lieben gelernt haben, existiert schon lange nicht mehr. Der Drops ist gelutscht, die Blase schon lange aufgeblasen. Nur eben noch nicht geplatzt. 

Dafür könnten dann langfristig eben jene Bestrebungen sorgen wie beispielsweise die, gefühlt direkt die ganze Welt an der WM teilhaben teilnehmen zu lassen. Oder auch die angedachte Landflucht, wie sie führende Vereine in Nordeuropäischen Ländern wünschen, da ihnen die eigene Liga nicht mehr die Erfüllung zu geben scheint, die sie sich erhofft haben. Interessant auch die Idee, das Finale der Champions League außerhalb Europas stattfinden zu lassen. Warum muss das sein? Obwohl, der Wettbewerb ist doch auch schon kein Pokal der Landesmeister mehr und somit an sich schon verwässert. Dann ist es doch eigentlich Latte, wo das Finale stattfindet. An die Fans wird doch von Haus aus nicht mehr gedacht, können doch am heimischen Empfangsgerät gucken.

Das CL Finale also dann in New York, während zeitgleich das Eröffnungsspiel der Major League Soccer zwischen Dosen New York und Chicago Fire in Leipzig stattfinden wird. Noch ziemlich zeitgleicher treten Ajax Amsterdam und der FC Kopenhagen in der Weststaffel der Nordliga im Südstadion von Köln an. Die für das Spiel vorgesehene Starke Arvid Arena in Ljungskile stand unerwartet durch das Wiederholungsspiel um die asiatische Meisterschaft zwischen RW Oberhausen und Shandong Luneng Taishan nicht mehr zur Verfügung. Die Europa League kommt zunächst einmal ziemlich bescheidener daher, so als Pokal der Verlierer. Daher ist es auch nur konsequent, dass Finale ab dem Jahre 2022 immer im Stadion am Heideweg zu Nordhorn austragen zu lassen. Da wurde schließlich schon oft verloren.

Wie sich die Europa League dann letztendlich zusammensetzt, steht allerdings noch in den Sternen. Die Bestrebungen der Funktionäre gehen in die Richtung, alle Vereine jeder nationalen Liga Europas daran teilnehmen zu lassen. Um Gelder zu generieren natürlich. Ausgeschlossen nur der HSV, da ständig in irgendeine Relegation eingebunden.

Was das Ganze nun mit Rot-Weiss Essen zu tun hat? Bis hierhin noch gar nichts, aber das kann sich schon in Absatz Zwei von „Sunshine on Leith“ ändern.

Fortsetzung folgt.

Love over Gold

Keine Angst, dieser Titel hat grundsätzlich in keinster Weise etwas mit dem RWE zu tun und auch der „Pilcher Faktor“ steht hier nicht Pate. Ich höre gerade Dire Straits und suchte verzweifelt einen Titel. Das ist alles. Und doch kann der Titel ja ansatzweise mit dem vergangenen Wochenende in Verbindung gebracht werden: Rot-Weiss Essen hat Gold geholt und wird fast mit Liebe überschüttet. Aber auch wirklich nur fast. Eigentlich ist der Pokalgewinn nicht einmal ein professioneller Verband für die erlittene Saisonwunde, sondern höchstens ein laienhaftes Sprühpflaster.

Wahrscheinlich rauchen immer noch die Fanköpfe, wie unsere Mannschaft es geschafft hat, einen Gegner so zu dominieren. Und das, obwohl der Tupperwaler SV aufgrund seiner Aufstiegseuphorie doch mindestens gleichwertig, wenn nicht sogar als leicht favorisiert galt. Dass nun Daniel Grebe nicht wieder im Einkaufswagen nächtigen durfte: Er wird es verkraften. Und wenn nicht, muss uns das egal sein, denn der 1€ Express machte wieder an der Hafenstraße halt: Titelverteidiger und somit das eine Spiel im kommenden DFB Pokal nebst „Bonizahlung“ gesichert. Meine Wunschgegner: die Eisernen aus Berlin oder der VfL Bochum. Aber noch kurz zurück zum Spiel: Ist das schon die berühmte Handschrift eines Trainers? Oder doch der Druckausgleich einer Mannschaft mit durchaus kompetenten Fußballern, aller Abstiegssorgen entledigt? Man weiss es nicht. Sven Demandt wirkt übrigens für mich auf den ersten Blick nun auch nicht wie ein asketischer Trainer Marke Tuchel; sondern könnte durchaus einem Schimanski Tatort früherer Jahre entsprungen sein.

Das Abseitstor war kein Abseits und zweimal war auch Glück mit im Spiel, dass der WSV seinerseits nicht ein Tor bejubeln konnte. Fußball mit all seinen Facetten eben. Das drumherum passte einmal mehr. Natürlich wird der latent geäußerte Vorwurf, der RWE hätte an diesem Samstag einen Heimvorteil gehabt, nicht von der Hand zu weisen sein. Diese Kritik bitte aber unverzüglich und direkt an den Verband weiterleiten, der die ganze Organisation schlicht dem RWE überlassen hat. Wir wollten kein Heimspiel, sondern hätten den Pokal auch im Tal geholt!  Unserem Schnapper sollte man derweil ab sofort bei jedem Spiel mit auf dem Weg geben, dass er sich in einem  Pokalfinale befindet!  Jedes Spiel eine solch souveräne und sichere Leistung, und jegliche Torwartdiskussion wäre bis auf weiteres überflüssig. Da der Wuppertaler SV an diesem Tag Lieferando spielte, und Essen kommen ließ, ergaben sich immer wieder Chancen für unser ehemals glorreiches Emblem.

Dreimal wurden die Chancen letztendlich genutzt. Zwei Torschützen zeichneten dafür verantwortlich: Moritz Fritz und „The one and only“ Leon Binder bekamen das Runde in das Eckige. Leon Binder zudem mit einem „Strahl“. Wer nicht genau weiss, was nun ein Strahl ist, der möge sich nicht grämen: Bis vor einiger Zeit kannten wir auch noch kein „durchgesteckt“. Leon Binder hat einfach einmal auf das Tor draufgehalten und den Ball schlicht in die Maschen gedonnert. Soweit die Definition zu „Strahl“. So einen Strahl durfte ich übrigens schon 1979 als Jugendspieler bei Vorwärts Nordhorn erleben: Ich stand positionsgetreu als rechter Verteidiger irgendwo links und drehte mich Richtung eigener Torwart um, als dieser sich zu seinem Abschlag bereit machte. Er schlug also ab, der Strahl traf mich genau auf die Zwölf und ließ mich fallen wie die berühmte Eiche. Die Folge: Kein strahlen vor Freude. Das aber auch nur am Rande.

Heute sind wir schlauer und wissen, dass nun beide Torschützen unseren Verein verlassen werden. Bei Moritz Fritz wussten wir es schon etwas länger; im Falle von Leon Binder hingegen kam die Bestätigung erst nach dem Finaltag. Leon Binder war natürlich eine dieser Spielertypen, den die Hafenstraße menschlich und vom Einsatz her dringend benötigte. Es wird endlich wieder Zeit für Identifikation; der vielen Namen sind wir alle mehr als überdrüssig. Heute wurden die ersten Abgänge bekanntgegeben und wir alle so: „Wer?“  Und doch haben Verein und Spieler alles richtig gemacht: Leon Binder muß an seine Zukunft denken und hat anderswo einen Dreijahresvertrag angeboten bekommen, den er an der Hafenstraße aktuell kaum bekommen hätte. Danke Leon!

Wir halten also fest: Auch der RWE 2015/16 kann durchaus und erfolgreich Fußball spielen. Ungewohnt beides. Die vergangene Saison war schon eine denkbar schlechte. So viel schlechter Fußball in diesen wunderbaren Trikots. So viel gegen- statt miteinander. Auf so vielen Ebenen. Und dann kommt dieses Finale des kleinen Mannes. Ruhrpott statt Ronaldo. Volles Stadion und eine „Tapete“, die mich dankbar und ermutigt zugleich stimmt. Sprachlos macht. Diese aktuell zu Ende gegangene Saison hat uns alle an den Abgrund geführt und doch gerade noch davor bewahrt. Nun sollte viel geredet werden im Hause Niederrheinpokalsieger 2016. Es geht nur miteinander.

Und die Playlist wurde auch geändert: Nun gibt es Iron Maiden mit „Run to the Hills“

 

 

 

 

 

 

 

Weil wir das Glück hatten, einen Georg Melches zu haben!

Spricht man von Rot-Weiss Essen, landet man unweigerlich nach kurzer Zeit auch bei Georg Melches. Sieht man Fotos aus aus der erfolgreichen Zeit rund um Meisterschaft und Pokalsieg, kommt man auch nicht an Georg Melches vorbei. Unweit der Spieler ist immer irgendwo auch der Patron mit im Bilde. Optisch erinnert der Georg Melches dieser Zeit an eine Mischung aus Heinz Erhardt und meinem Opa. Nun kennen Sie natürlich meinen Opa nicht, aber stellen Sie sich ihn optisch in etwa so wie Georg Melches oder Heinz Erhardt vor. Und mit Zigarre. Allen drei gleich aber ihre sympathische, ein wenig listige Ausstrahlung.

Zurück aber zu Georg Melches: Geboren am 24. August im Essener Norden als Sohn eines Betriebsführers, der auf der Zeche Emil – Emscher in Lohn und Brot stand. Die schulische Laufbahn des jungen Georg Melches fand eigentlich auch schon im Dunstkreis der Hafenstraße statt: Volksschule Vogelheim; Gymnasium Borbeck und Realgymnasium Altenessen. Der nächste Schritt war dann sicher kein leichter und definitiv kein schöner, denn Georg Melches zog in den ersten Weltkrieg. Dies übrigens freiwillig. Und es dauerte vier lange Jahre, bis er wieder unversehrt nach Hause kam. Vier lange Jahre in den Kriegswirren unterwegs, seine Familie zurücklassend.

Und auch die Familie, die er mit anderen bereits am ersten Februar 1907 in Essen Vogelheim gründete: Georg Melches war bereits in jungen Jahren ein begeisterter Liebhaber der Fußlümmelei, wie der Fußball seinerzeit oftmals despektierlich  genannt wurde. Und weil er so begeistert war, gründete Georg Melches mit seinen Freunden einen Fusionsverein. Denn sie führten die bestehenden Vereine SC Preußen und Deutsche Eiche zum SV Vogelheim zusammen. Deutsche Eiche, ein an sich schon recht merkwürdiger Vereinsname und sicher eine Herausforderung für Fangesänge. Aber das nur am Rande erwähnt. Den heutigen Namen Rot-Weiss Essen bekam der Verein dann fünf Jahre nach dem ersten Weltkrieg mit auf seinem weiteren Vereinsweg. Anteil daran hatte eine weitere Fusion, diesmal mit dem Turnerbund Bergeborbeck.

Drei Jahre zuvor, also 1920, begann neben dem Hobby Fußball auch der berufliche Ernst des Lebens: Nach zwei Praktika in Schacht und Kokerei öffnete der Betrieb „Koksofen und Gasverwertung AG“ Essen seine Tore für den ehrgeizigen Georg Melches. Dort brachte er es innerhalb acht Jahren auf den Stuhl des Direktors, den er die nächsten zehn Jahre nicht verließ. Also im übertragenen Sinne jetzt. 1938 schien auch beruflich eine Fusion den Firmennamen zu verändern: Aus „Didier – Kogag“ wurde Didier – Kogag – Hinselmann. Der Direktor fusionierte nicht, nahm höchstens zu und hieß bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1959 weiter Georg Melches. Insgesamt also einunddreißig Jahre als Direktor bedeuteten auch einunddreißig Jahre Kontakte in die Spitzen von Wirtschaft und Politik. Heute würde man Netzwerk dazu sagen.

Georg Melches konnte seinen Spielern Arbeitsplätze verschaffen, an denen nicht viel geschafft werden musste, sondern sich auf das Kicken konzentriert werden konnte. Auch die legendäre Südamerikareise wurde nur durch die weltumspannenden Kontakte von Direktor und Firma ermöglicht. Der Macher der er war, zeigte sich auch in seinem Verein stets in der Pflicht. Georg Macher. Im Verein, für den zu Beginn fast nur Schüler, Bergleute und Zechenangestellte gegen die handgenähte Kugel traten, besetzte er die Positionen des Mittelstürmers und mit nachlassender Kondition die eines Verteidigers. 1927 hing er seine Fußballschuhe an den Nagel. Was nicht bedeutete, dass er sich nun aus dem Vereinsleben verabschiedete. Mitnichten und gänzlich ohne Neffen, denn administrativ war Georg Melches natürlich auch schon länger in seinem Verein tätig: Schriftführer, Geschäftsführer, Fußballobmann, Finanzobmann.

Nahezu die ganze Palette dessen, was ein Verein an Ehrenamt zu bieten hat, wurde von ihm parallel oder nacheinander ausgeführt. Rot-Weiss Essen war Georg Melches und Georg Melches war Rot-Weiss Essen. Das wirklich interessante aber ist die Tatsache, dass er nicht einen Tag als Vereinsvorsitzender fungierte. Vielleicht benötigte er den Vereinsvorsitz auf dem Papier auch deshalb nicht, da er wusste, stets auch so dem Verein vorzustehen. Um aber seine Leistung schon recht früh zu würdigen, ernannte der Verein seinen „Patron“ bereits 1950 zum Ehrenvorsitzenden auf Lebenszeit mit Sitz und Stimme im Vorstand. Und dieser Ehrenvorsitzende sollte ja bekanntlich noch mit tollen Erfolgen für seine Pionierarbeit und Engagement im Essener Norden belohnt werden.

Finales

Die Saison als solche ist ja bereits abgehakt und das Statement dazu an anderer Stelle bereits kundgetan. Wir befinden uns also im Landeanflug auf das Europapokalfinale 2016 gegen den Wuppertaler SV. Ausgetragen wieder in Essen. Essen könnte doch eigentlich direkt als ständiger Austragungsort bestimmt werden. Das Berlin des kleinen Mannes sozusagen. Die Klagen des Finalgegners  über eine Bevorteilung des RWE kann aktuell auch in keinster Weise nachvollzogen werden: Waren doch Fans und Mannschaft des RWE in der vergangenen Saison nicht wirklich eine Einheit und konnte zu kaum einem Zeitpunkt ein wirklicher Heimvorteil generiert werden; irgendetwas war doch immer. Und jammern gilt schon mal gar nicht, wenn man als Wuppertaler SV plötzlich und unerwartet in fast doppelter Anzahl zum heimischen Zuschauerschnitt auswärts anrücken möchte. Dann sollte man eher die vielen unbekannten eigenen Mitreisenden fragen, wo sie denn sonst so stecken. Punkt! Finalort? Nicht unsere Entscheidung, nicht unser Problem. Auch für den abermals letzten Platz beim ESC trägt der RWE keine Verantwortung und selbst der Preisverfall in der Causa Milch kann uns nicht angelastet werden. Das aber nur am Rande.

Rot-Weiss Essen hatte schließlich eine ziemliche Kacksaison und somit seine eigenen Probleme. Der Gewinn im Niederrhein- Europapokal könnte da ein wenig Balsam auf die Wunden bedeuten. Mit den allseits bekannten Folgen DFB Pokal und Erstrundenfestpreis. Wie schon im Finale des letzten Jahres sehe ich beide Endspielgegner auf gleicher Höhe mit Vorteilen sogar auf Wuppertaler Seite. Kommen diese doch mit der Euphorie eines Aufsteigers; sind nunmehr also auf gleicher (Ligen-)Höhe und haben definitiv die aktuell breitere Brust als die tabellarischen Hühnerbrüste der Hafenstraße. Aber vielleicht liegt genau darin der Vorteil des RWE: Wir haben endlich nichts mehr zu verlieren, wurde doch der Abstieg so gerade eben noch verhindert. Der Druck also genommen, es kann Fußball gespielt werden. Zudem möchten sich Abgänge sicher doch als Gewinner verabschieden. Und, dessen kann sich die Mannschaft sicher sein: Auch für uns auf den Rängen stellt der Pokal in seiner Endphase mittlerweile den (leider wohl einzigen) Höhepunkt einer jeden Saison da. Und somit sind wir wie ein gutes Steak auf den Punkt genau fertig, um mit Anpfiff um 17:00 Uhr auch alles dafür zu geben, dass es zur Titelverteidigung kommen wird. „Rot-Weiss Essen Du bist mein Verein, RWE so soll es immer sein“. Die Saison und alles andere gewesene komplett ausblenden für dieses eine letzte Spiel.

Danach hoffentlich zusammen feiern. Und dann miteinander reden. Aber auch mal durchatmen und gut durchlüften. Sehr gut durchlüften. Für die dann kommende Saison benötigen wir richtig frischen Wind in der Bude. Auch wenn das Gemecker spätestens dann wieder losgehen wird, sickern weitere Verpflichtungen durch oder wird das neue Trikot vorgestellt. Da uns diese unselige Relegation zur Dritten Bundesliga ja leider noch länger erhalten bleibt, als uns allen lieb ist, haben wir Fans wohl nur die Möglichkeit, uns in Gelassenheit zu üben. Und damit meine ich nicht nur uns in Essen, sondern wohl so ziemlich alle Fans, die sich einem Verein in der Viertklassigkeit verpflichtet fühlen. Es wurde noch kein Aufstieg erzwungen, sondern dazu gehört eine richtige Mannschaft; ganz viel Glück; Mut und Miteinander. Eine Truppe die Erster wird und genau weiß: Erst nach der Relegation können wir Helden sein, ansonsten sind wir nur die „DFB Deppen“, die nicht mal auf den Meistertitel einen heben können, da irgendwie doch nichts erreicht. Um aber überhaupt „Relegationsberechtigter“ zu werden, bedarf es eben jener Gelassenheit und noch mehr Geduld. Über Jahre. Schließlich wollen einige andere auch durch dieses vermaledeite Nadelöhr. Lotte zum Beispiel einmal mehr, denn ich hoffe ja, dass der SV Waldhof sich aktuell durchsetzen wird.

Vielleicht liegt der Wunsch nach Geduld und Gelassenheit auch ein wenig in der eigenen Krebserkrankung begründet. Eine solche Diagnose verschiebt die Dinge von jetzt auf gleich in einer Intensität, wie sie hoffentlich so vielen wie möglich erspart bleibt. Es ist grad nicht wichtig, in welcher Liga mein Verein spielt. Ich möchte ihn einfach nur spielen sehen, denn dann weiss ich, dass ich noch die Kraft dazu habe, einem Spiel beizuwohnen. Es ist jetzt der alleinige Wunsch, endlich operiert zu werden um genesen zu können. Dies in Ruhe und Gelassenheit. Aber in der Gewissheit, doch niemals alleine zu sein. Und auch Rot-Weiss Essen muss endlich sportlich genesen dürfen; braucht Zeit und Freunde, die zusammenstehen. Ihn nicht alleine lassen. Erst dann können jene Kräfte und Energien entstehen, die es bedarf, dass eine Mannschaft erfolgreich spielt und folgenreich die Sympathien der vielen so sehr enttäuschten rot-weißen zurückerobern kann. Ein beschwerlicher und langer Weg der sportlichen Genesung liegt an; aber wenn wir nicht den ersten Schritt machen und nur meckern, können wir auch gleich aufgeben. Aufgeben jedoch ist einfach nicht das Ding eines RWE Fans, auch wenn es bisweilen den Anschein hatte. Emotionen können wir hingegen sehr gut. Und auch die gilt es wieder wachzurütteln. In der vergangenen Saison waren so viele einfach nur müde ob der gebotenen Leistungen. So viele „Veteranen“, die einfach nicht mehr konnten und wollten. Die Ära Harttgen und Fascher; auch sie steckt noch in den Vereinsknochen, ist nicht so leicht abzuschütteln.

Wo wir aber gerade auch beim Thema Relegation sind und waren: Bis heute habe ich alle Spiele dieses sportlichen Irrsinns am heimischen Empfangsgerät verfolgen können und bin bisweilen entsetzt über die gebotenen Leistungen. Eine Relegation erzeugt einen so unmenschlichen Druck auf Spieler, Verantwortliche und Fans, so dass ein Spiel im eigentlichen Sinne kaum mehr möglich ist. Mit Ausnahme der Kickers aus Würzburg vielleicht, die zur Relegation kamen wie die Jungfrau zum Kinde und entsprechend befreit aufspielen konnten. An diesen zwei Spielen hängen Existenzen, Zugehörigkeiten und sogar Vereinsschicksale; glaubt man den aktuellen Nachrichten aus Nürnberg und Duisburg. Die TV Quoten mögen gestimmt haben, aber auf dem Felde herrschte bisweilen blanke Angst. Ergo: Auf- und Absteiger müssen klar definiert werden und Meister aufsteigen. Nur so kann sportlicher Erfolg oder Misserfolg einer Saison fair quittiert werden.

Übrigens nehmen wir in der kommenden Erstrunde des DFB Pokals nur Gegner und Fans ernst, die wie schon Düsseldorf und nun auch Tupperwal mit eigens kreierten „Anti-RWE“ Shirts anreisen. Wir brauchen das einfach. Sieht ja auch gut aus, so ein einheitlicher Gästeblock. Nur der RWE!

 

 

Europapokaaaaaal, Kapitel 64.

Am Anfang steht ja immer die Recherche. Und da galt es zunächst dreimal zu stutzen! Der Fakt: Rot-Weiss Essen spielte anno 1955, als erster Deutscher Teilnehmer überhaupt, im Achtelfinale des neugeschaffenen Europapokal der Landesmeister gegen die „Hibs“ von Hibernian Edinburgh aus Schottland.

Die Stutzer: Ein Pokalwettbewerb nach heutigen Massstäben startet doch erst gar nicht unter zweihundervierundfünfzig teilnehmenden Mannschaften inklusive dreizehn vorheriger Qualifikationsrunden. Und doch ging es damals direkt mit den Achtelfinals in Hin- und Rückspiel los? Des Rätsels Lösung: Es nahmen nur sechzehn Mannschaften an dieser Erstausgabe eines Wettbewerbes für die amtierenden Meister Europas teil. Viele Meister befanden diesen Wettbewerb als einfach nicht attraktiv genug. Ob nun aus sportlicher- oder finanzieller Sicht sei dahingestellt. Für einen Nostalgiker jedoch noch ein Europapokal der Landesmeister und nicht die heutige aufgeblähte Geldmaschine der UEFA.

Warum aber spielte der RWE dieses erstmalige und einzigartige europäische Erlebnis nicht gegen den FC Aberdeen als amtierenden Meister aus Schottland? Stutzer zum Zweiten! Aber auch hier gibt es eine schlüssige Lösung: Die Klubführung des FC Aberdeen gehörte eben zu denjenigen Vereinen, die die Idee eines Europapokals einfach nicht als attraktiv genug befanden und verzichteten somit dankend auf die meisterliche Teilnahme. Ob man sich in Aberdeen aus heutiger Sicht noch darüber ärgern sollte oder muss? An der Dominanz von Celtic und den Rangers hätte es sicher nicht viel geändert. Trotzdem bedeutete die Teilnahme für die Hibs (Allein dieser Spitzname schafft ja schon Sympathien) eine außerordentlich respektable sportliche Geschichte, da die Mannschaft schließlich erst im Halbfinale an Stade Reims scheiterte. In der eigenen schottischen Liga jedoch, da traf sich Hibernian weiter mit dem Lokalrivalen, den Hearts; eben jenem FC Aberdeen, oder den beiden Vertretern aus Dundee auf Augenhöhe. Der Rest vom schottischen Fest ist und bleibt  sportlich unerreichbar und ist als „Old Firm“ in Glasgow allseits bekannt.

Was aber ewig auf der grünen Seite von Edinburgh haften bleiben wird ist das Privileg, einmal auf Europäischer Ebene gegen Rot-Weiss Essen spielen zu dürfen. Ein Gefühl, welches sonst wohl nur noch der SV Hönnepel-Niedermörmter zu beschreiben weiß. Nun aber noch Stutzer Nummer drei: Wenn Rot-Weiss Essen als Deutscher Meister den DFB vertreten durfte, was machte dann der 1.FC Saarbrücken ebenfalls in diesem Teilnehmerfeld? Brüder im Geiste, was den finanziellen- und sportlichen Niedergang betrifft, wurden beide Vereine doch erst Jahrzehnte später. Auch hier fand sich schnell eine Lösung: Der 1.FC Saarbrücken durfte als Vertreter des 1955 noch autonomen Saarlands am Europapokal teilnehmen. Zugelost wurde den Saarländern der AC Milan, der dann auch die nächste Runde erreichen konnte.

Der 14. September 1955 wurde also ein weiterer Meilenstein in der rot-weissen Vereinsgeschichte. Das erste und bislang einzige Heimspiel auf europäischer Ebene stand an. Übrigens streiten sich die Gelehrten auch heute noch, ob an der heimischen Hafenstraße oder am Uhlenkrug der Lackschuhe im Essener Süden gespielt wurde. Unstrittig leider die Kulisse auf VfL Wolfsburg Niveau der heutigen „Königsklasse“: Lediglich Fünftausend Fans wohnten dieser, von dem Niederländer Jan Bronkhorst geleiteten, Begegnung bei. Der neue Wettbewerb sorgte eben nicht sofort für kollektive Begeisterung! Und die Schotten geizten zudem nicht mit Toren, sondern erzielten derer gleich Vier. „Hibs,hibs hurra“ möchte man da schreiben. Mit Null zu Vier endeten die ersten neunzig Minuten in diesem Wettbewerb sehr ernüchternd, daran konnte im Anschluss auch kein Stauder etwas ändern.

Das Rückspiel musste aber trotzdem noch gespielt werden, und Edinburgh ist sicher auch immer eine Reise wert. Der Spielort in Edinburgh selbst ist unstrittig, es war die Easter Road, an welcher knapp einen Monat später, am 12. Oktober 1955, aufgelaufen wurde. Der Engländer Arthur Ellis leitete das Spiel, welches unser RWE hochachtungsvoll unentschieden gestalten konnte. Es endete 1:1 und für das historische Tor aus Essener Sicht sorgte Fritz Abromeit. Fritz Abromeit ist keiner der bekannteren Namen aus diesen großen sportlichen Jahren. Er stand zwar im Pokalfinale, jedoch nicht in der Meisterelf. Kein Stammspieler, aber in seiner ganzen Karriere zwischen 1942 und 1957 ausschließlich für unseren wunderbaren RWE am Ball. Sofort einsatzbereit, wenn ein anderer Spieler ausfiel. Und auf ewig der Schütze des einzigen Europapokaltreffers in der Geschichte von Rot-Weiss Essen. Also natürlich doch ein ganz großer!

Emotional flexibel

Den Staubsauger in der linken, mit der rechten am Schrank abgestützt. Kaum mehr wahrgenommen, was rund um einen passiert. Gefühlte 56 Minuten einen Quadratzentimeter Boden mit genanntem Reinigungsgerät bearbeitet. Solche Extremsituationen bescheren Dir entweder die Vorarbeiterin einer Reinigungsfirma oder ein Elfmeterschießen des eigenen Vereins. Und dann auch noch am Bildschirm. Einem kleinen Bildschirm zudem.

Aber immer noch besser als ein Liveticker, welcher in der 90. Minute noch von einer Großchance berichtet, um dann erst einen Tag später den Abpfiff zu verkünden. Natürlich ist es grundsätzlich im Stadion schöner, aber am Vortag der eigenen Hochzeit galt es noch, diverse Vorbereitungen zu treffen. Die emotionale Flexibilität war bereits um 13:45 Uhr dahin, als es noch kein Bewegtbild aus der Schnäppchenbude Stadion Essen gab. Mit Anpfiff gab es dann jene bewegten Bilder; gut gefüllte Tribünen, eine mir fehlende Zaunfahne und die schönsten Trikots der letzten Jahre auf einem Fußballrasen.

Oberhausen hat wohl jeden Einwohner zwangsverpflichtet, denn sonst ist die Diskrepanz zwischen Liga- und Endspiel im Gästeblock wohl kaum zu erklären. Das einheitliche Bild dort konnte gefallen. Den Pyro Auftritt nach der Halbzeit gab es jedoch schon in der Liga, ist somit geschenkt. Was den jetzt wirklich gravierenden Unterschied ausmacht, ist die Tatsache, keinen „buffen“ zu können. Jemals im Stadion gewesen, ohne den Steh- oder Sitznachbarn „gebufft“ zu haben? Siehste, geht nicht. Vor dem kleinen Bildschirm aber ist keiner da, den es zu „buffen“ gilt. Guckt ja keiner mit, haben alle zu tun. Fürchterlich. Also halt der Staubsauger.

Intensives Spiel da am Bildschirm im eigentlichen Wohnzimmer an der Hafenstraße. Die Augen werden größer, geht es in Richtung Oberhausener Tor und verschwinden ängstlich hinter einem Schrank, nähert sich der Gegner dem eigenen Tor. Man vertraut der eigenen Mannschaft halt nicht wirklich. Die Atmosphäre kommt gut rüber, gefällt sehr. Drei Tribünen, ein Verein. Kurzzeitig fällt der Staubsauger zu Boden, als der Kommentator den aktuellen Trainer erwähnt. Der ja Nachfolger seines besonders beliebten Vorgängers sei. Äh…nee, nicht wirklich. Letzteres jetzt. Dann passiert das Unvermeidliche: Es klingelt an der Tür. Auch wieder etwas, was im Stadion so nicht passieren kann. Vielleicht wird man höchstens für alle vernehmbar aufgefordert, sein Auto umzuparken. Aber auch das dürfte in einer Häufigkeit passieren, die so wahrscheinlich, wie eine Meisterschaft auf Schalke.

Die ersten fünfundzwanzig Minuten der zweiten Halbzeit fehlen somit in der ureigenen Endspielhistorie. Weiterhin torlos Unentschieden. Die Schlussphase nähert sich. Die Phase eines jeden Spiels also, in welcher der RWE sich in schöner Regelmässigkeit seinem tragischen Schicksal ergibt und einen ganzen Verein glanzvoller sinken lässt, als seinerzeit der Eisberg die Titanic. Es gab aber kein Gegentor. Keinen Eisberg. Leider auch kein eigenes Tor. Weitersaugen in der Verlängerung also. Whattsapp meldete sich auch mal zu Wort; zeugte von Hitze in Essen.

Hitze auch im Staubsauger. Abpfiff der Verlängerung und Elfmeterschiessen. Somit war eigentlich klar: RWO gewinnt den Pokal und der RWE schafft das Double [ bereits Zwiebelpokalsieger] nicht. Kenner der Materie wissen um diese Gedankengänge vor einem Elfmeterschiessen mit rot- weisser Beteiligung. Und nein, der FC Bayern ist an dieser Stelle nicht gemeint. Unsere sind da in der Vergangenheit nicht wirklich immer  im Thema gewesen. Union Berlin einmal und ausdrücklich ausgenommen. Der Staubsauger nur noch in Fragmenten auf dem zuvor in 120 Minuten ekstatisch gereinigten Boden.

Hier und jetzt half nur noch Alkohol, auch wenn der erst einen Tag später zum Einsatz kommen sollte. Hingucken oder weggucken, das war hier die Frage. Die Antwort lautet: Das 55er Meistertrikot musste für einiges herhalten. Gab es jemals schöner geschossene Elfmeter? Nein! Gab es jemals eine solidere Antwort darauf? Auch nein! Und gab es jemals einen souveräner gehaltenen Elfmeter durch einen Torhüter, welcher in der ganzen Saison dermaßen auf das Fell bekommen hat, wie kaum einer seiner Kollegen? Nein! Wahnsinnig gemacht hat mich unser Torhüter in der Saison bisweilen. Aber wahnsinnig habe ich mich auch über diesen gehaltenen Elfmeter gefreut. Für ihn. Ok und für mich.

Ja, jaaa, jaaaaa… brüllte es durch die Wohnung. Kinder suchten verschreckt das Weite. Die Zukünftige wähnte sich schon einen Tag später im Standesamt; der Staubsauger erfreute sich inniger Umarmung. Rot- Weiss Essen hat den Europapokal 2015 gewonnen und sich damit die Teilnahme am DFB Pokal 2015/2016 gesichert. Es war ein aufregendes Finale. Kein hochklassiges, sondern schon der Liga entsprechend. Aber spannend. Dramatisch, und mit einer anschließenden Party, die Nachahmer finden wird. Dazu bedarf es lediglich einen Euro oder einen Chip nebst Einkaufswagen. Das nun Oberhausen die Abrechnungsmodalitäten moniert, gehört zur Folklore. Wunschgegner für die erste DFB Pokalrunde meinerseits: Der 1. FC Union Berlin und Frühdienst. Und Aufstieg. Aufstieg wäre wichtig. Herzlichen Glückwunsch, Ihr vielgescholtenen. Nur der RWE!

Ein Double winkt verschüchtert aus der Saisonecke.

Alles wird teurer. Benzin, Milch, das Stadion Essen; natürlich auch Energie. Vieles lässt sich erklären, manches stößt gemeinhin auf taube Ohren, und in punkto Stadion sind wir dann einfach mal sprachlos. Das aber nur am Rande. In einigen Stunden ist nämlich Pokal. Das Finale! Der „wo ihr Ziel nicht erreicht haben“ Pokal, besser bekannt auch als „Niederrhein Pokal“ wird ausgespielt. Dem Gewinner winken einige Euros für die Vereinskasse und das DFB Pokal Finale der kommenden Saison in Berlin. Die Kostenfalle namens Stadion Essen ist gut gefüllt, es gibt Stauder statt Hugo und pfeifen keine Spatzen von den Dächern, sondern singen Fans auf den Tribünen.

Dann noch zwei Spiele gegen Zweitvertretungen und eine weitere Saison ist geschafft. Die war richtig gut. Hat Spaß gemacht. Sind wir doch bereits Zwiebelpokalsieger und können heute das Double perfekt machen. Scherz beiseite: Es kann nur besser werden. Und es wird auch besser. Ob wir das allerdings noch erleben dürfen, das weiss natürlich keiner so genau. In diesem Sinne: Nur der RWE!

Halbfinale

Februar 2008; Auswärtsspiel bei RW Ahlen. Die zum Monat gehörende Sonne knallte ordentlich vom Himmel, als ein RWE Fan vor den Kassenhäuschen,und somit der kompletten Gästewarteschlange lautstark kundtat, seit zwei Tagen nicht mehr onaniert zu haben. Nun, wir wissen heute nicht mehr, was zu diesem traumatischen Erlebnis geführt haben mag; und ehrlich gesagt wollen wir es auch gar nicht wissen. Damals wie heute! Eines aber wurde deutlich: Der Fan von Rot-Weiss Essen hält mit seiner Meinung nicht hinter den Berg, sondern posaunt diese hinaus. Er kann gar nicht anders. Das entspricht seinem Naturell.

Einige Wochen später in Emden: Auswärtsspiel bei den Kickers [Ältere Nordhorner werden sich noch an den Verein Kickers Emden erinnern]. Ältere Fans des RWE hingegen an die allseits bekannte Zaunfahne „RWE Fans Zetel“. Jahrelang hatte sie ihren Platz ziemlich in der Ecke zwischen „Nord“ und abgerissener „West“. Im Matsch von Emden sah ich sie also das letzte Mal hängen, ohne ihren Aufhänger ausfindig machen zu können.Wer sind oder waren also die RWE Fans Zetel?

Meppen, Ende Februar 1988: Der RWE zu Gast im Emsland [Das ist das Gebiet hinter der Grafschaft Bentheim]. Aus Angst vor den marodierenden Menschen aus dem Ruhrpott wurde vor dem Anpfiff als Gastgeschenk „Adiole“ intoniert. „Kenne ich nur frohe Stunden“…. [wer um alles in der Welt hat ein Lied mit diesen Zeilen an die Hafenstraße gebracht?] „Frohe Stunden“, da lache ich mir doch den selbigen ab, um mal einen Fußballtrainer zu zitieren. Es ist natürlich nichts passiert, an diesem Tag im Emsland. Wie eigentlich doch nie etwas passiert, ist der RWE zu Gast in Deiner Stadt.

Aber natürlich gab es Tage und Spiele, die dazu beitrugen, dass Rot-Weiss Essen auswärts stets mit einer Mischung aus Angst, Respekt und übertriebenen Vorsichtsmaßnahmen empfangen wurde. Löwen machten der Gelsenszene Beene. Umgekehrt natürlich auch. Nachzulesen alles ohne Gewähr im „Fan Treff“, seinerzeit das Spaßblatt für viele Fußballfans. Fakten und Mythen schufen die Begrifflichkeit einer äusserst schwierigen Fanszene. Hochgradig emotional, mitunter fest zupackend. Aber immer den Verein liebend. Dem Arbeitermilieu entstammend. So will es die Sage.

So hatten es zum Beispiel die 2002 gegründeten Ultras auch erst sehr schwer, Fuß zu fassen. Neumodischer Scheiss an der Hafenstraße. Kam erst gar nicht gut. Zu vergleichen vielleicht noch mit Strukturen am Bieberer Berg zu Offenbach. „UE“ ist seinen Weg jedoch unbeirrt weitergegangen, stellt heutzutage somit eine ernstzunehmende, und wohl auch zahlenmässig die grösste  Fangruppierung an der Hafenstraße dar. Und, wie das in einer tiefen Liebesbeziehung nun mal so ist, besteht der Alltag aus Höhen und Tiefen im gemeinsamen Miteinander. Aktuell leben wir mal wieder in einer schwierigen Phase. Es fehlen einfach die Höhepunkte, die es bedarf, um gemeinsam glücklich zu sein.

Rot-Weisse Höhepunkte aber immer wieder die Vielschichtigkeit derer, die sich um das Wohl und Wehe eines sportlich eher schlechten Ruhrpottvereins kümmern: Wir haben ein exquisites Fanzine zu bieten, gute Fotografen, Barden und Bands, Rapper und Rhetoriker, Fahnengirls und Fanbuchautoren. Wir, also der RWE, haben einen Lothar, einen Happo einen Cappo. Also Capo. Wir haben auch Fans, die nicht massenkompatibel sind, Fans mit fragwürdiger Weltanschauuung und doch Rot-Weiss. Es gibt also nicht den typischen RWE Fan. Es gibt aber den RWE. Diese Katastrophe im Vereinsregister, unser aller gemeinsamer Nenner. Nur der RWE!

Nur nach vorne Geh`n [Der Prolog]

Es funktioniert nicht. Nicht einmal in Anbetracht dieser bisher so schmerzhaften Saison. Auch nicht in Anbetracht der eigenen kritischen Worte und Beiträgen mit fast schon bettelhaften Charakter um selbigen auf dem Spielfeld. Das mittlerweile gelegentlich vorbeischauende Abstiegsgespenst konnte nichts daran ausrichten und schon gar nicht der Status Quo eines Viertligisten.  Der Dienstag als ungewohnter Spieltag, inklusive Verlust eines Urlaubstages, wird ignoriert und diverse Viertelfinals in einem anderen Pokalwettbewerb ebenfalls.

Nichts hat also Abhilfe schaffen können. Diese Saison wird wohl auf ein Spiel des Jahres reduziert werden. Was einzig zur Folge hat, dass es sich nun einen Tag vor Anpfiff anfühlt, wie das Champions League Finale des kleinen Mannes. Man möchte die Minuten zählen, den Zeiger der Uhr einfach vordrehen. Ein Spiel kann eine ganze Saison retten, hüben wie drüben. Natürlich könnte ein optionales Finale grandios versemmelt werden, auch der Abstieg sitzt noch drin. Wovon wir natürlich nicht ausgehen.

Nun aber gilt es: Rot Weiss Essen vs MSV Duisburg. Ausverkauft. Rot gegen Blau, hier die Guten, da der MSV.  Schimanski gegen Haferkamp. Alles bisher gewesene mit Anpfiff vergessen und einfach nur Fußballleidenschaft leben. Den da draußen an den Empfangsgeräten zeigen, dass sich auch unterklassiger Fußball im Stadion lohnen kann. Allen gegenteiligen Bemühungen des DFB zum Trotze. Und, wo wir schon mal dabei sind: Ein ganz klein wenig Mythos an einem flachen Dienstag würde uns allen mal wieder gut zu Gesicht stehen.

Mikroorganismen (Pornobalken reloaded)

Abpfiff. Das Spiel des Lebens gerade gewonnen oder verloren. Von Emotionen gezeichnet. Sieger oder Verlierer! Aber, wir haben doch keine Zeit. Hektisch stürmen mobile Kameras mitsamt Träger das Spielfeld; Begleitet von Mikrofonen, deren Träger nur einen Auftrag haben: Erste Stimmen einzufangen.

Im Hintergrund sieht der Zuschauer am Empfangsgerät wichtige Menschen, mindestens mit Headset, meistens mit fliegendem Jackett durch das Bild huschen. Mitunter einen der Sieger oder Verlierer (nachfolgend Sportler genannt) sanft in Richtung Kamera und Mikrofon drängend. Blitzschnell tauchen aus dem Nichts ganze Raumteiler mit Sponsorenlogos auf. Hintergrund für Vordergründiges. Bei den ganz großen Finalspielen werden gar ganze Triumphbögen für das Siegerfoto erschaffen.

Und dann ist er da, der unausweichliche Moment für den ausgepumpten Sportler: Die erste Frage! Erinnert zumeist an qualitativ hochwertige Reflektionen in Folge einer pädagogischen Übung: „Wie fühlen Sie sich ?“ oder: „Was geht (Alternativ: ging) in Ihnen vor ?“. „Möchten Sie noch jemanden grüßen ?“, oder: „Wann geben Sie Ihren Wechsel bekannt ?“ Die Frage nach dem „Was haben Sie sich dabei gedacht ?“ geht dabei schon etwas mehr ins Detail. Wird dem Sportler doch vorab das Prädikat verliehen, zu denken.

Aber was denkt denn nun ein Sportler, wenn er in Bruchteilen einer Sekunde zum Eigentorschützen oder Schützen des goldenen Tores wurde ? Und, möchte ich das sofort wissen ? Möchte ich überhaupt direkt nach Abpfiff als Fan mit dieser Methodik konfrontiert werden ? Oder möchte ich mich auch als Fan zunächst einmal sammeln, sowie sich auch Sportler und Fans im Stadion sammeln sollten. Stumm oder laut vor Freude, mit Tränen in den Augen oder schluchzend vor Trauer.

Ich möchte das nicht! Möchte ein paar Minuten nur eine Kamera, die mir die Emotionen von Sportlern, Verantwortlichen und Fans wiedergibt. Ohne diese und mich zu nötigen. Wenn es geht, ohne Kommentar für den Moment. Bei allem Verständnis für die Synergieeffekte zwischen Sport, Medien und Wirtschaft: Weniger ist manchmal mehr. Zum Glück haben scheinbar die Verantwortlichen der Vereine aus dem DFB Fauxpas von 2008 gelernt und kommen nicht sofort mit „Danke für Eure Unterstützung“ Planen auf das Feld gerannt. Sieger T -Shirts und Bierduschen sind schon schlimm genug.

Aber wenn zudem noch bei der Ankunft am Flughafen fast exakt die selben Fragen wie Stunden zuvor warten, da gefriert auch schon einmal die mediale Eloquenz eines Jürgen Klopp zwischen den Bartstoppeln ein. Das Finale verloren und eine Frage doppelt gestellt bekommen: Matthias Sammer hätte den Reporter wohl aufgegessen. Manchmal möchte man doch einfach nur nach Hause.

Definitiv die Frage „Was haben Sie sich dabei gedacht“, gehört den Organisatoren des Schlachtengebildes vor dem Finale am Samstag gestellt. Wie viele Fans jeglicher Kategorie wurden nicht mit Stadionverbot belegt, als sie ähnliche Szenarien auf das Spielfeld gebracht haben. Vielleicht etwas zu unorganisiert und gegen die Anweisung der Regie, was dann den Tadel und die vergebliche Akzeptanz für das Schauspiel zur Folge hatte. Zwei Deutsche Armeen in London in die Schlacht ziehen zu lassen, ist grundsätzlich eine mutige Entscheidung.

Gehen wir aber davon aus, dass diese Idee grundsätzlich schon weit im Vorfeld für das Endspiel geplant war. Es hätten also auch Schotten gegen Engländer in die Schlacht ziehen können, Spanier gegen Katalanen, Heineken gegen Budweiser. Wie dem auch sei: Paul Breitner konnte seine ganze schauspielerische Erfahrung dank „Potato Fritz“ in die Waagschale werfen, während bei Lars Ricken Talent alleine ausreichte.

Das Finale aber, das ließ das Vorspiel schnell vergessen. Welch ein Fußball, was für ein Spiel. Es hätte einige Minuten des Innehaltens für alle bedurft, statt der sofortigen ersten Frage. Ohne Frage.

Ansaugatmung

Kommenden Samstag, 25. Mai 2013,  ist es endlich soweit! Millionen Fußballfans freuen sich auf die beiden Höhepunkte des diesjährigen europäischen Fußballkalenders: Zunächst trifft Rot Weiss Essen auf die Sportfreunde Siegen und im Anschluss dann der FC Bayern München auf Borussia Dortmund. Es ist mit Einschaltquoten zu rechnen, die alles bisher Erlebte in den Schatten stellen dürften. Ja, auch Nick Tschiller oder Florian Silbereisen.

Wer an diesem Tage das ZDF einschaltet, darf sich umfassend informiert fühlen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dann wieder der Ansaugatmung von Oliver Kahn. Dieses leicht zischende Geräusch als Vorbereitung auf einen längeren Exkurs, welcher zumeist in der eigenen Erfahrung als Profi mündet. So etwas musst Du eben aushalten, wenn Du auf diesem hohen Niveau Fußball guckst. Das ist der Druck für den die Eier erfunden wurden. Aber, eines wird in diesen Tagen schlichtweg vergessen: Diejenigen unter uns, die mit dem Fußball nichts am Hut haben!

Wir Fans können uns ja noch bis Samstag durch die Woche schleppen: Donnerstag promoviert der 1. FC Kaiserslautern, Freitag relegieren der VfL Osnabrück und Dynamo Dresden, Samstag Nachmittag geht es noch schnell an die Hafenstraße. Das Leben ist rund. Was aber bietet nun der Samstag ab ca. 20.00 Uhr für ein Leben ohne Finale ? Wir haben uns einmal in der Fernsehlandschaft sowie der näheren kulturellen Umgebung umgesehen und einige Tipps herausgesucht:

Fernsehen:

N24 verzichtet an diesem Abend auf die sonst üblichen Panzerdokumentationen und strahlt ab 20.15 Uhr eine Naturdokumentation aus: „Unser blauer Planet – An der Küste“ Wir unterstellen dem Sender einmal, damit bei den Schalker Fans punkten zu wollen.

VIVA steigt um 20.30 Uhr mit einer Show namens „World`s Sexiest Bodies“ in den Quotenring. Das zu dieser Sendung keine weiteren Informationen vorliegen dürfte nicht verwundern, selbst Oliver Pocher und Matze Knoop haben für diesen Abend abgesagt. Lothar Matthäus fühlte sich nicht in Form.

Bibel TV hat an diesem Abend extra seinen gewohnten Weg der Predigt verlassen und setzt sich auf einen Blockbuster: Mit der Erstverfilmung des Bühnenstückes von Carl Zuckmayer „Der Hauptmann von Köpenick“ hofft man, die Fans des 1.FC Union vom ZDF fernhalten zu können.

Das Erste: Die ARD fährt ganz brutale Geschütze auf, um den Hausfrieden vor den Empfangsgeräten zu stören: Die Schmonzette „Stürme in Afrika“ dürfte die Fußballfremden zu Tränen rühren.

KIKA: Das Kind in uns kann den Abend ohne Fußball mit einer Comedyserie gestalten und wird doch nur veräppelt: „Bernd das Brot mit den besten Witzen aller Zeiten“. Bernd das Brot hat noch nie Witze gemacht und ist alles, aber keine Comedy. Womit wir wieder bei Oliver Pocher wären.

Kultur:

GOP Varietè Theater Essen: „La fète – ein französisches Varietè Spektakel. Das hier versucht wird, auch ahnungslose Fußballfans anzulocken, auf Glanzstücke eines Franck Ribèry hoffend, dürfte auf der Hand liegen.

Aalto Theater: Hier werden Fußballfremde Kulturfreunde mit dem Stück „Tristan und Isolde“ beglückt. Ein Zitat dieses Dramas dürfte aber so oder ähnlich durchaus im Hause Lahm vor dem Abflug gefallen sein: „Wenn Du heimkommst, ohne Deiner Mutter etwas mitzubringen, wird die Hölle los sein“

Alter Bahnhof Essen – Kettwig: „Seitensprung für Zwei“. Etwas plumpe Anregung, den Fußball guckenden Partner sich selbst und seinem Schicksal zu überlassen, um zur Tat zu schreiten.

Ruller Haus, Wallenhorst: Ab 20.00 Uhr findet eine Lesung statt. „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“. Hier ist sicher nicht von Franz Beckenbauer die Rede, welcher keine Lust mehr auf das nächtliche Bankett hat. Genauere Informationen können wir zu dieser Veranstaltung nicht bieten.

1. Burgtor Bad Bentheim: Dieser Nachtwächterrundgang dürfte ausnehmend interessant werden, sind doch viele feiernde oder trauernde Spezies in Fußballkostümen nächtlich im Anschluss an das Finale unterwegs. Nicht zu empfehlen, will man sich dem Fußball komplett entziehen.

ZAK: Der Abend hier steht unter dem Motto „Models & Bottles“. Und irritiert zudem: Sind jetzt Models Flaschen ? Ist das Motto des Abends eine Hommage an George Best, hat sich Ansgar Brinkmann angekündigt ? Wir wissen es nicht.

Es gibt sie also durchaus, die Alternativen für einen fußballfreien Abend. Wer sich aber dem Partner zuliebe doch für das Endspiel, die Ansaugatmung und menschliche Dramen entscheidet: Sie oder ihn an diesem Abend einfach so nehmen, wie es das Spiel entscheidet.

Gegebenenfalls stumm in den Arm nehmen oder laut kreischend um den Hals fallen. Gucken, ob das Bier sich dem Ende neigt und gegebenenfalls ein Neues öffnen. Nicht fragen, was Abseits bedeutet oder warum gestandene Männer in neonfarbenen Fußballschuhen über den Platz laufen. Fußball ist schließlich Kultur.