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Es gibt für alles eine Zeit. Auch dafür, Abschied zu nehmen.

Das Unentschieden zum Ausklang der ersten Saison in der 3. Liga verstärkte noch das eigene Empfinden, recht unentschieden in der Bewertung dieser zu sein, obwohl es doch so viele davon gab. Aber wenigstens war unsere Mannschaft konsequent und hat uns auch zum Abschluss keine spielerische Leichtigkeit des Seins vorgetragen, dafür aber wie immer bis zum Schluss alles gegeben. Das Ron Berlinski mit sämtlichen Produkten des örtlichen Sanitätshauses versehen zu Spielbeginn auf dem Platz stand, hat dann verwundert, stehen seiner Spielweise Maske und Schiene eher hinderlich gegenüber. Aber wenigstens wurde Simon Engelmann ja noch eingewechselt. Auf jeden Fall freue ich mich mehr über den Klassenerhalt als gefühlt der Münchner Komödienstadl über die ausnahmsweise recht spontan errungene siebenundachtzigste Meisterschaft in Folge.

Wir wurden tatsächlich für ein weiteres Jahr übernommen, haben somit den Patch bekommen und sind keine Prospects mehr. Kurz mal ausgemalt, wie sich die Woche vor dem Verl-Spiel gestaltet hätte, wären wir bis dato noch nicht gerettet, und ganz schnell festgestellt, die Gedanken nicht weiterzuführen. Es ist jetzt alles gut so wie es ist. Danke an alle bei RWE für den Klassenerhalt! Eine Premierensaison voller Hindernisse und vielen überflüssigen Nebenschauplätzen. Dazwischen dann doch die nötigen Punkte zu sammeln war sicherlich nicht einfach. Eines hatte mich vor dem letzten Saisonspiel sehr stark beschäftigt, und das war der Zeitpunkt der Verabschiedungen. Pokale werden nach dem Spiel überreicht, aber verabschiedet wird sich davor, so will es doch das ungeschriebene Fußballgesetz. Meine Sorge galt schlicht einer negativen Atmosphäre bei möglicher Niederlage. Aber ich hätte besser wissen müssen, dass die Hafenstraße sehr wohl in der Lage ist zu differenzieren und somit den passenden Rahmen zu einer in Gänze würdigen Veranstaltung gegeben hat. Alles richtig gemacht also. Richtig lässig wäre es gewesen, eine Verabschiedung in ein neues Vertragsangebot umzuwandeln, als Fan darf man ja solch Fantasien haben.

Zu den schmissigen Melodien rund um Felix Herzenbruch und Simon Engelmann kamen diesmal langgezogene Rufe hinzu, um auch die Verdienste von Oguzhan Kefkir rund um Rot-Weiss Essen zu würdigen. Das war dann wirklich der Moment, um festzuhalten, dass wir an der Hafenstraße nicht immer nur kollern können, sondern auch die Wichtigkeit und den Fleiß eines Spielers für die Mannschaft würdigen, der in der öffentlichen Meinung bisweilen zu schlecht weggekommen ist. Der Fußballer Ötzi war für RWE tausendmal wichtiger als DJ Ötzi für die Musikgeschichte beispielsweise. Fußball ist aber auch ein Wechselbad der Emotionen, das ist schon komplett irrational. Vergangene Saison haben wir mit Kevin Grund und Marcel Platzek zwei RWE-Ikonen verabschiedet, die so viele Jahre länger noch die Knochen für RWE hingehalten haben als unsere drei Hauptprotagonisten des aktuellen Abschiedsschmerzes. Aber diese drei haben eben das erleben und gestalten dürfen, was Kevin Grund und Marcel Platzek leider versagt geblieben ist. Was hätte man doch gerade ihnen den Aufstieg gewünscht. Wir hätten auch für sie eine passende Melodie gefunden.

Nun beginnt für uns alle die spannende Zeit des Wartens auf die Ideen der Kaderplaner und deren tatsächliche Umsetzung. Und dann ist da ja auch noch das Europapokalfinale gegen den Nachbarn aus Oberhausen. Gerne haben wir unsere Stammplätze in G1 nicht geräumt, aber es ist natürlich nachvollziehbar, dass den Kleeblättern eine ganze Tribüne zur Verfügung gestellt wird, wenn der Verband schon nicht mit einem neutralen Stadion dienen kann. Dass das Kartenkontingent für die Gottschalk-Tribüne dann aber noch immer nicht in Gänze aufgekauft wurde, konterkariert ein wenig die Forderungen auf Seiten der RWO-Fans, doch bitte schön die Hälfte der Kapazität zugesprochen zu bekommen. Aber das Lied der RWO-Fans in Richtung RWE ist nun mal die Klage. Wir kennen das. Einmal abgesehen von der sicher außergewöhnlichen Atmosphäre besteht die Faszination in diesem Finale allein schon darin, dass es kein Unentschieden geben wird. Und hoffentlich auch keinen Platzsturm.

Also das waren auch zwei Platzbegehungen vergangenes Wochenende, die einmal mehr gezeigt haben, dass man erst rübermachen sollte, wenn anderswo der letzte Pfiff erfolgt ist. Das Schicksal der Wiesbadener (wo kamen die denn plötzlich alle her?) Und HSV- (das war so klar, aber sowas von!) Fans ließ tatsächlich ein wenig schmunzeln, denn vergangene Saison wurde auch anne Hafenstraße mit Abpfiff des eigenen Spiels der Rasen gestürmt, obwohl die Begegnung in Münster noch einige Minuten andauern sollte. Ging damals Gottseidank alles gut. Ich ordne einen Platzsturm weiterhin nicht unter der Kategorie „Fußballkultur“ ein und sehe das sehr kritisch, zumal es immer mehr Leute gibt, die mit brennender Pyro-Fackel auf den Rasen rennen. Da ist dann definitiv Schluss mit kontrolliertem Abbrennen, ohne die Hand zu verlassen. Auch wenn eine Mannschaft die Fans zum rasen gebracht hat, der Rasen sollte auch im Erfolgsfall der Mannschaft gehören. Wenigstens die erste Stunde. Danach kann immer noch gestürmt werden.

Die Platzstürmer müssen also nachsitzen und somit muss für uns relevant der SV Wehen Wiesbaden in der Relegation gegen Arminia Bielefeld ran. Und da wird es dann aus emotionaler Sicht als Fußballfan wieder absurd: Ich mag Arminia Bielefeld. Ich empfände die Arminia trotz deren dann eigenen Leidens als eine absolute Bereicherung für die 3. Liga und als Gegner wesentlich attraktiver als den SV Wehen Wiesbaden. Und so kommt es dann, dass man in der Relegation dem Verein die Daumen drückt, den man als eher egal empfindet, nur um den Verein zu bekommen, den man gerne anne Hafenstraße begrüßen würde. Außerdem hätte ein Zuzug aus Bielefeld den Vorteil, dass man sich in Münster endlich wieder an der Arminia abarbeiten kann, anstatt ständig Rot-Weiss Essen für alles und jedes verantwortlich zu machen.

Straße des 5.Juni

Wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommen von irgendwo zwei Unentschieden her. Nachdem auch hier im (Jubiläums-)Blog vor einer Woche nach monatelangem Daueroptimismus die Aufstiegssegel gestrichen wurden (um nervlich wieder in ruhigere Fahrwasser zu gelangen), zeigt uns der Fußball, dass nichts unmöglich ist. Und in dieser so extremen Saison der Regionalliga West schon mal gar nicht. Der eigentlich schon designierte Meister aus Dortmund zeigt seinerseits plötzlich Nerven. Das erste Mal vergangenen Mittwoch, als es zeitversetzt zu unserem Heimspiel gegen die Sportfreunde Lotte nach Rödinghausen und somit zur alten Wirkungsstätte von Trainer Maaßen ging. Von den Rödinghauser Amigos überaus freundlich begrüßt, ging die langjährige Verbundenheit dann doch nicht über ein mühsames 0:0-Unentschieden hinaus. Dass die Amigos sich im Spiel immer wieder verbal an unserem RWE abzuarbeiten versuchten, es sei ihnen vergönnt. Sie haben doch sonst nichts!

Heute nun geht es für den, mittlerweile wieder zum Aufstiegskonkurrenten degradierten, BVB im pandemischen Nachholspiel gegen den Tabellenletzten aus Bergisch-Gladbach darum, sich die bestmögliche Ausgangsposition für den kommenden Samstag zu erspielen. Naturgemäß ist unsere Vorstellung von einem optimalen Endergebnis ziemlich weit entfernt von dem, was den Erschöpften, sich kaum noch auf den Beinen halten könnenden, Dortmundern so vorschwebt. Erster gegen Letzter, das ist in den Wettbüros grundsätzlich mit schlechter Quote versehen. Aber wir wissen ja nun zur Genüge, dass in dieser Saison alles möglich ist. Und so ein drittes Unentschieden hintereinander, dass könnte zugleich der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein.

Um der temporären Anbiederung unsererseits noch etwas Tiefe zu verleihen, hier noch ein Textauszug aus dem Vereinslied der Bergischen Gladbacher. Bei dem martialischen Text machen sich die hochgradig verunsicherten Borussen Profis sicher schon beim Auflaufen ihre Gedanken und fangen direkt an zu schlottern:

„Und jetzt alle: „Steht auf, wenn ihr 09er seid.
Ein Teufel ist zum Kampf bereit.
Ist auch der Gegner noch so groß, in Gladbach wird er Punkte los.
Steht auf, wenn ihr 09er seid“

Nun, es wird kommen wie es kommt und die rot-weisse Planung für das letzte Saisonspiel nicht wirklich großartig beeinflussen. Unser RWE ist jetzt im Lindenberg-Modus und macht sein Ding: Man will das letzte Saisonspiel beim FC Wegberg-Beeck gewinnen. Wie schon so viele Spiele zuvor auch. Danach wird man sehen, was die Abschlusstabelle nach Abpfiff so auswirft. Grundsätzlich lässt sich jetzt schon sagen, dass es eine unglaublich emotionale, erfolgreiche, schmerzhafte, freudige und noch so viel mehr Saison war. Eine, die uns im Stadion dabeigewesen sicher noch mehr abverlangt hätte. Tut sie so auch, aber ich denke, man weiß was gemeint ist: Einen Monitor umarmt man eben nicht so einfach und kullert mit ihm Stufen hinunter. „Bufft“ ihm auch nicht andauernd in die Seite und schüttet auch besser kein Bier beim Torjubel über ihn aus. Wer nun in Anbetracht der erreichten Punktzahl und den Auftritten in beiden Pokalwettbewerben immer noch von „Versagern“ fabuliert, dem sei eine Abkehr von Rot-Weiss Essen oder dem Sport insgesamt empfohlen. Wer sich auch weiterhin im ständigen „Aber Ahlen etc.“ ergeht, der läuft Gefahr, sich auf die eigentlich erledigte „Lübeck-Metaebene“ zu begeben. Ständige Unzufriedenheit und Selbstmitleid eingeschlossen.

Viel wichtiger doch: Auch unsere Wirkungsstätte an der Hafenstraße öffnete vergangenen Mittwoch wieder die Stadiontore für Fans. Endlich! Welch ein Gefühl, wieder Zaunfahnen hängen und Menschen auf Tribünen stehen und sitzen zu sehen. Dieser Moment, wenn die ersten Spieler sich nicht mehr gefühlt emotionslos zum Aufwärmen auf den Platz begeben, sondern fast überrascht den Kopf heben, als dieses wieder von Applaus begleitet wird. Eine kleine Zahl an Zuschauern nur, begleitet von den restriktiven Umständen, die es dieser Tage doch noch braucht. Ein großer Schritt aber zurück zu dem, was den Fußball und viele andere Publikumssportarten so besonders macht: Die Seele war zurück. Vielleicht war es ein Stück weit den anwesenden Fans geschuldet, dass sich unser RWE und dem Timo seine Lotte in der Folgezeit ein rassiges Fußballspiel gönnten. Gefühlt frei von taktischen Zwängen und tabellarischem Druck. Vor allem unser RWE spielte Fußball, weil die Mannschaft ganz einfach Fußball spielen kann!

Vor der West prangte ein großes Banner der „Rude Fans“ mit ebenso großem Dank an Marcel Platzek für die vielen Jahre bedingungslosen Einsatz. Leider hat es aufgrund einer Verletzung nicht zu einem letzten Einsatz gereicht, aber wenigstens durfte sich „Platzo“ vor Fans auf den Tribünen verabschieden und wurde von diesen zu Recht gefeiert. Ebenso wie eigentlich die ganze Mannschaft und besonders auch das gesamte Trainerteam noch lange nach Abpfiff endlich und lautstark im Stadion für die bisherige Saisonleistung gewürdigt wurde. Man war also an diesem Mittwoch ein Stück weit mit sich im Reinen, es hatte sich mittlerweile irgendwie auch genug ausgeregnet. Schließlich strahlte direkt über der Hafenstraße ja auch noch die Vertragsverlängerung von Daniel Heber. Es heißt also weiterhin: „Egal wie der Gegner auch verfährt, #heberklärt“. Dieser Kontrakt ist ein starkes Stück rot-weiss und auch eine Zusage an eine baldige, sportlich bessere Zukunft.

Dieser sportlichen Zukunft entgegen blickt nach Tagen der Spekulation das Essener Dreigestirn in unveränderter Besetzung entgegen. Schön, dass der Weltbeste Fußballverein mittlerweile auch bundesweit wieder aufhorchen lässt. Klar, Fußball und Geschäft und so. Da wo ein Vertrag manchmal nicht die Tinte wert ist, mit der er unterzeichnet wurde. Und man kann es Christian Neidhart nicht einmal verdenken, dass ein Werben aus der Heimat zugleich erfreut und nachdenklich macht. Oder die Geschichte mit 96 und Jörn Nowak. Da bekommt man es zwischenzeitlich immer mal mit Verlustängsten zu tun, um dann aber schnell wieder zu entspannen: Alle drei aktuell Essener und somit prinzipiell schon mit den höchsten Weihen versehen, die ein Mensch erreichen kann.

Die Zukunft ist Rot-Weiss. Egal wie das nun Samstag ausgehen mag. Der Anlauf dafür war ja auch lang genug.

Wie begegnet man jetzt diesem kommenden Samstag und letzten Spieltag, von dem man eigentlich gar nicht mehr dachte, ihn noch dermaßen intensiv erleben zu müssen dürfen? Wir werden hier im Fan-Office alles anders machen als noch zum Spiel in Köln. Andere Trikots, anderer Ablauf, noch eine Blutdrucktablette mehr. Alles, was den Fußballgott milde stimmen könnte. In „normalen“ Zeiten würde das Spiel aufgrund der zu erwartenden Fankarawanen aus Essen wohl in den Borussia Park verlegt werden müssen. Diese Zeiten haben wir nicht, die kommen erst langsam aber sicher wieder. Macht es nun trotzdem Sinn, sich auf den Weg gen Wegberg-Beeck zu machen, so wie es vielfach schon kolportiert wird? Ich bin da sehr zwiegespalten und hoffe, dass der Ratgeber Vernunft dass unbändige Gefühl Sehnsucht ein wenig einfangen kann. Als Rot-Weiss Essen stehen wir schließlich immer mehr unter Beobachtung als so viele andere. Man ahnt, wie gerade auch auf Wolke 1907 die Vorbereitungen für Samstag schon in vollem Gange sind und all die von uns Gegangenen dem letzten Spieltag bei Berlinern entgegenfiebern.

Danke alle für diese Saison!

Pokalfinale 1994! Von Freilos bis Berlin.

Rot-Weiss Essen stand am 15. März 1994 um 13.04 Uhr endgültig als frischgebackener lizenzloser Zwangsabsteiger fest. Dieses teilte das ständige, natürlich neutrale Schiedsgericht des Deutschen Fußballbundes dem Anwalt des RWE, Dr. Reinhard Rauball (Seit April 2019 erneut kommissarischer (Mit-)Präsident des Deutschen Fußballbund) mit. Zwar wurde die Lizenz schon im November 1993 entzogen, aber die Hoffnung und Einspruchsfristen sterben bekanntlich zuletzt. Die verbleibenden Spiele bis Saisonende wurden in Gänze für den jeweiligen Gegner gewertet. Weiterhin wurde Rot-Weiss Essen kompromisslos an das Tabellenende und die ganzen, schon erspielten Punkte auf Null gesetzt. Jeder Verkehrssünder würde weinen vor Freude, an der Hafenstraße aber flossen einmal mehr Tränen der Verzweiflung, der Wut und Trauer. Besonders bitter, hatte doch der RWE in diesen Jahren eine richtig gute Mannschaft zusammen. Ein Team im eigentlichen Sinne zudem!

Als Baumeister kann getrost ihr Trainer Jürgen Röber bezeichnet werden; zudem mein persönlicher Lieblingstrainer bei RWE. Jürgen Röber hat neben Fachkompetenz auch eine ziemlich mitreissende, begeisternde Art; beherrschte scheinbar Teambuilding. Sympathisch obendrein. Leider bat Jürgen Röber einen Monat später am 13. Dezember um seine Vertragsauflösung. Gerüchten zufolge wollte er die Hafenstraße und seine Mannschaft eigentlich nicht im Stich lassen, wohl wissend, welche Truppe er beisammen hatte. Vielmehr erhoffte er sich, so dass Gerücht weiter, durch eine eventuell anfallende Trainerablöse doch noch dem Verein die Lizenz erhalten zu können. Soweit die Gerüchteküche. Ist auch nur ein Fünkchen Wahrheit an diesem Gerücht dran, so bestätigt es den Eindruck, den ich aus der Ferne von Jürgen Röber als Mensch habe. Dass er allerdings schon am 15. Dezember für eine neues Engagement beim VfB Stuttgart unterschrieb, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie: Der damalige Vorsitzende des DFB-Ligaausschusses Gerhard Mayer-Vorfelder hatte sich in seiner Eigenschaft als Präsident des VfB kurz zuvor von seinem Meistertrainer Christoph Daum (Die Älteren unter uns werden diesen Trainer noch kennen) getrennt und stand ohne Mann an der Seitenlinie da. Zur richtigen Zeit in der richtigen Verhandlung also. 

Zurück aber zu den harten Fakten des endgültigen Aus aus dem März 1994: Netterweise durfte der RWE aber das mittlerweile erreichte DFB Pokalfinale in Berlin gegen den SV Werder Bremen spielen. Im Falle eines Pokalsieges hätte der Verein dann auch als drittklassiger Regionalligist im Europapokal der Pokalsieger antreten dürfen. Man hätte auch die Erlöse aus dem Husarenritt Pokal einbehalten können und damit die Strafe finanziell begleichen können. Hätte, hätte…. Pokalfinale als lizenzloser Zweitligist mit toller Mannschaft also erreicht. Doch wie kam es dazu? 

Zunächst einmal mit einem Freilos. Wie auch für 11 Erstligisten, 12 weitere Zweitligisten und 28 Amateurvereine. Freilose sind eine tolle Sache: Kein Stress, kein Pokalaus, kein anderes Bier. Einfach lässig Weiterkommen. In der zweiten Runde, noch als lizensierter Zweitligist, ging es am Mittwoch, 25. August 1993 nach Bocholt an den Hünting. Der 1.FC Bocholt war ein ziemlich schwerer Brocken bei seiner bis heute vorerst letzten Teilnahme am DFB Pokal und verlangte den Rot-Weissen alles ab: Mit 3:2 konnte sich der RWE in die dritte Hauptrunde retten. Diese bescherte ein Heimspiel gegen den Ligarivalen FC St. Pauli. Ausgetragen wurde das Spiel am 10. September 1993. Und das Flutlicht leuchtete noch so schön bei Abpfiff, denn das Pokalspiel ging über 120 Minuten. Endergebnis wieder 3:2 für den RWE. Erste Euphorie machte sich breit. 

Die nächste Runde war offiziell keine Runde mehr, sondern schon ein Finale: Das Achtelfinale stand an und bescherte einen Gegner aus der direkten Nachbarschaft: Der MSV Duisburg gab sich am Mittwoch, 27. Oktober 1993 um 20.00 Uhr die Ehre und mit ihm eine picke-packe volle Gästetribüne. Das Flutlicht beleuchtete an diesem Tage schon weit vor Anpfiff das herbstliche Georg-Melches Stadion. Wieder fielen viele Tore, wieder traf der Gegner zweimal. Doch der RWE traf an jenem Mittwoch Abend gleich vier Mal in einem packenden Pokalspiel in des Gegners Tor. Faszination und Mythos Hafenstraße lebten dieser Tage so intensiv wie nie. Auch deshalb war der dann bald folgende Lizenzentzug ein Stich in das Herz all derer, die es mit dem Verein hielten. Auch heute noch wird dieser Lizenzentzug als der tragischste erlebt und seine Konsequenz als unverhältnismässig. Sogar Landesvater Johannes Rau hatte eine Bittschrift an den DFB mit unterschrieben.

In der Liga also nunmehr ohne sportlichen Antrieb (höchstens noch mit dem allerletzten Fünkchen Resthoffnung namens Einspruch), fokussierte sich bei RWE nun alles auf das Viertelfinale im Pokal: Die Lizenzlosen hatten am Dienstag, 30.11.1993 um 17:30 Uhr im Schneetreiben bei Carl Zeiss Jena anzutreten. 5240 Fans waren im Wintersportparadies Ernst-Abbe-Sportfeld zu Gast. Trainer auf Seiten der Jenaer der Mann mit der spitzen Zunge, Hans Meyer. Gehen Sie davon aus, dass ihn dieses Spiel viele Nerven gekostet haben dürfte. Nach regulärer Spielzeit stand es Null zu Null, und das Elfmeterschiessen stand an. Aber diese unsere Mannschaft meisterte auch diese Prüfung! Beim Stande von 6:5 für den RWE hielt Frank Kurth den Elfmeter eines später nicht ganz unbekannten Bernd Schneider. Der Rest war Jubel und Halbfinale. Der Rest war aber auch das letzte Pokalspiel für Jürgen Röber als Trainer von Rot-Weiss Essen, da das Halbfinale erst im März 1994 ausgetragen werden sollte. 

Halbfinale. Dienstag 08. März 1994 um 20:15 Uhr. Der Gegner an der Hafenstraße wieder ein Zweitligist. Tennis Borussia Berlin hieß der Kontrahent. Übrigens in der späteren Abschlusstabelle ebenfalls als Absteiger auf Platz 17gelistet. Allerdings sportlich, was sich in diesen Tagen fast noch besser anfühlen durfte. Hier also auch der Pokal das Pflaster für die Seele. Wenige Fans begleitete TeBe an die Hafenstraße, die Osttribüne daher auch fast komplett in heimischer Hand. Auf der Essener Bank der viel zu früh verstorbene Wolfgang Frank anstelle des Neuschwaben Jürgen Röber. Und auch die verlustige Westkurve wurde mittels Stahlrohrtribünen wieder temporär errichtet, um das Fassungsvermögen zu erhöhen. Die Emotionen kochten unter dem Eindruck der letzten Wochen und Monate über, so wurden die eigenen Helden nicht nur angefeuert, sondern immer wieder lautstark die Meinung über den DFB und seine zu harte Entscheidung kundgetan. Hier und heute reichten zwei Tore um das Endergebnis zu ermitteln: Mit 2:0 gestaltete der RWE dieses Halbfinale erfolgreich gegen violette Berliner, um zu einem weiteren und finalen Pokalspiel in deren Stadt fahren zu dürfen. Trotziger Stolz nach Abpfiff. Feiern mit Würde und immer noch Tränen der Wut. 

Einen Tag später konnte Werder Bremen unter Otto Rehhagel auswärts bei Dynamo Dresden ebenfalls mit 2:0 gewinnen und so stand die Finalpaarung fest: Rot-Weiss Lizenzlos Essen traf auf den SV Werder Bremen. Viele Essener machten sich am 14. Mai 1994 auf den Weg gen Berlin. Vielleicht auch schon einen oder mehrere Tage früher. 15.000 Karten gab es wie immer offiziell für jeden Verein. Euphorische sprachen von 35.000 Rot-Weissen, sachliche von 20.000 und nüchterne von 15.000. Und doch gehörten die Sympathien im Stadion zumeist dem RWE. Der neutrale Zuschauer hält halt immer irgendwie zum „Underdog“ und auch die  Bremer Fans zeigten sich solidarisch gegen den DFB, feierte es sich doch so schön zusammen. Der DFB selbst hingegen zeigte sich in seiner Großmut eher wie die SED bei einem Aufmarsch und ließ alle regimekritischen Plakate und Banner entfernen. Die Stimmen waren allerdings gut geölt und so lederte es sich lautstark von den Rängen immer wieder gegen die Granden der Führungsspitze. Auch eine Autobesatzung aus Nordhorn war in Berlin und verbrachte die Nacht nach dem Spiel in selbigem. Keimzelle der kleinen Reisegruppe der Heideweg in Nordhorn, wo am Rande eines Eintracht Spiels die Fahrt beschlossen wurde. Ich zog seinerzeit das heimische Empfangsgerät vor. 

Rot-Weiss Essen bot einen packenden Pokalfight, verlangte Otto Rehhagel und seinen Spielern alles ab. Werder in der ersten Halbzeit 2:0 in Führung gegangen, konnte sich seiner nie sicher sein und musste in der 50. Minute den Anschlusstreffer hinnehmen. Bis zur 88. Minute hofften alle RWE Fans auf den Ausgleich und eine mögliche Sensation, ehe ein Handelfmeter alle Hoffnungen zerstörten. Pokalsieger also der SV Werder Bremen. Moralischer Sieger aber in allen Belangen Rot-Weiss Essen! Sowohl auf dem Platz, wie auch auf den Rängen und tags drauf auf dem Kennedy Platz in Essen. Die Lizenz verloren, aber nie aufgegeben. Den Stolz behalten und Ehre gewonnen. Was eine Mannschaft in dieser Saison.  

Ein Double winkt verschüchtert aus der Saisonecke.

Alles wird teurer. Benzin, Milch, das Stadion Essen; natürlich auch Energie. Vieles lässt sich erklären, manches stößt gemeinhin auf taube Ohren, und in punkto Stadion sind wir dann einfach mal sprachlos. Das aber nur am Rande. In einigen Stunden ist nämlich Pokal. Das Finale! Der „wo ihr Ziel nicht erreicht haben“ Pokal, besser bekannt auch als „Niederrhein Pokal“ wird ausgespielt. Dem Gewinner winken einige Euros für die Vereinskasse und das DFB Pokal Finale der kommenden Saison in Berlin. Die Kostenfalle namens Stadion Essen ist gut gefüllt, es gibt Stauder statt Hugo und pfeifen keine Spatzen von den Dächern, sondern singen Fans auf den Tribünen.

Dann noch zwei Spiele gegen Zweitvertretungen und eine weitere Saison ist geschafft. Die war richtig gut. Hat Spaß gemacht. Sind wir doch bereits Zwiebelpokalsieger und können heute das Double perfekt machen. Scherz beiseite: Es kann nur besser werden. Und es wird auch besser. Ob wir das allerdings noch erleben dürfen, das weiss natürlich keiner so genau. In diesem Sinne: Nur der RWE!