Lizzy & Freddie
Es war die neununddreißigste Minute und plötzlich stand es 2:0 für den Halleschen FC. Was folgte, war eine Affekthandlung: Schon als das Kissen die Hand verließ weiteten sich die Augen und ahnten, dass eine weitere Katastrophe kurz bevorstand, als sich Kissen und Kaminsims für einen Augenblick vereinten, um dann die liebevoll zusammengebaute Lego-Vespa zu Boden zu reißen. Der Aufprall war hart und sie dahin. Also in ihrer Gesamtheit. Unversehrt geblieben die direkt neben der Vespa stehende „Lizzy“. Die Queen also einmal mehr das Sinnbild für Standhaftigkeit und die Fähigkeit, jeden Rückschlag von Rot-Weiss Essen mit Würde zu ertragen. Mir hingegen fehlte sie in diesem Moment, denn kaum das die Saison begonnen hatte, sah ich unsere Mannschaft schon wieder einem ähnlichen Stimmungsbild ausgesetzt, wie eigentlich fast die komplette Rückrunde der vergangenen Saison. Das konnte ich zu dem Zeitpunkt kaum ertragen, und verbrachte die zweite Halbzeit somit auf dem Fahrrad irgendwo in den benachbarten Niederlanden.
Schön, dass wir in der heutigen Zeit einfach so zwischen zwei Ländern hin-und herfahren können, wie wir wollen. Wer in Europa ernsthaft wieder richtige Grenzen ziehen möchte, hat niemals als Kind vor Angst im Auto gezittert, als die Eltern direkt hinter der Grenze zwischen Nordhorn und Denekamp eine Stange Zigaretten und ein Pfund Kaffee mehr gekauft hatten, als es die damalige Zollbestimmung erlaubte. Das aber nur am Rande.
Das Auftaktspiel zur 3. Liga wurde also mit 1:2 in Halle verloren. Doch die Befürchtungen, dass alles so bleibt wie es ist, konnten mit den Szenen nach Schlusspfiff und Dank Magenta „Re-Live“ Funktion erleichtert begraben werden. Warum sagt einem denn auch keiner, dass sich einige Fans und Verantwortliche auf ein Kaltgetränk getroffen und ausgesprochen haben? Herzlichen Glückwunsch in dem Zusammenhang an die Rude-Fans zum 15-jährigen Bestehen. Und so wie die Vorbehalte zunächst einerseits ruhen, gab es andererseits auf dem Feld ein wirklich gutes Spiel unserer Roten zu sehen. Das war bisweilen richtig feiner Fußball, die Chemie stimmte bei uns fast noch mehr als bei den Chemikern, so dass die Niederlage im Enddefekt unter der Kategorie unverdient abgelegt werden darf. Allein unter dem Aspekt Torabschluss aber auch wieder verdient, denn einmal mehr wurden so viele und vor allem gute Chancen ausgelassen.
Das nun Zay (formerly known as Isi) unser Tor erzielt hat, freut mich so richtig für ihn und wird ihm Aufwind geben. Es gab also nichts Zählbares aus Halle mit auf den Heimweg und die vielen mitgereisten Fans wurden zusätzlich noch mit unendlichen Stunden zähflüssigem Verkehr auf Hin- und Rückfahrt gestraft. Irgendwie wieder typisch RWE: Ein verlorenes Auftaktspiel sorgt im Anschluss für optimistischere Stimmung rund um die Hafenstraße, als sie latent noch vor diesem Spiel geherrscht hat. Zu offensichtlich die positiven Veränderungen im Spiel der Roten. Das lässt auf weitere gute Auftritte hoffen und vielleicht ist der Weg unserer Mannschaft auch nach zwei Spielen noch lange nicht vorgegeben. Und am Ende des Spieltags über drei Tage haben wir es als erster Tabellenletzter der Saison sogar noch über den Strich der Grausamkeit geschafft.
Bevor der gute Eindruck aus Halle nun in der Liga gegen Wismut Aue weiter ausgebaut und in drei Punkte umgewandelt werden sollte/muss (der 20:15 Uhr Klassiker Tatort fällt erstmalig aus, Videorecorder bitte entsprechend programmieren) wartet der DFB-Pokal und mit ihm der Gegner HSV. Oder wie es in den Zeitungen einhellig heißt: Jakob Golz und Vattern treffen auf Horst Hrubesch. Anstoß diesmal zur besten Frühschoppenzeit um 13:00 Uhr. Direkt nach dem Aufstehen also. Wir sollten aber alle trotzdem auf und neben dem Rasen direkt hellwach sein, um es dem Zweitligisten aller Zweitligisten so schwer wie möglich zu machen. Die Null muss stehen. Glücklicherweise gibt es im Stadion keine Kissen und wird dort auch definitiv nichts, aber auch gar nichts geworfen. Da halte ich es ganz mit Berti Vogts, der einstmals so oder so ähnlich zitatwürdig sprach: „Werfen gehört nicht ins Stadion. Die Leute sollen ihre Emotionen zu Hause in den Wohnzimmern mit ihren Kissen ausleben“.
Beim Hamburger SV scheint man den Leverkusener Weg zu gehen. Zwar war von Hamburgs Perle nichts von Freilos in Essen zu lesen, sehr wohl aber davon, dass das Geld für das Erreichen der zweiten Runde durchaus schon in den Etat eingerechnet wurde. Nun, da wir selbst jeden Cent gebrauchen können, müssen wir in erster Linie an uns denken und nicht an den Etat des HSV. Da wird dann in Hamburg wohl noch mal nachgebessert werden müssen.
Zwei Ligen höher wurde wohl auch nachgebessert, wie zu lesen war: Das finale Angebot des FC Bayern in Richtung Spurs hat nun die 100 Millionen Grenze überschritten und auch hier hyperventilieren die Medien mittlerweile. Ich finde den Betrag für Harry Kane etwas überbewertet. Das ist aber auch dermaßen losgekoppelt von der Realität, lasst sie einfach machen. Das ewige Jammern von Watzke & Co. interessiert doch schon lange nicht mehr. Sie begreifen nicht, dass der Fußball der Elfenbeintürme einfach nicht mehr der unsere ist. Wenn Du zum Beispiel ausgelaugt und komplett zufrieden ein volles Stadion an der Hafenstraße nach dem dramatischen Spiel unter Flutlicht gegen den VfL Osnabrück verlässt, dann verschwendest Du keinen Gedanken an die x-te Auflage Bayern gegen Real in der sogenannten Königsklasse unter der Woche. Denn Du warst gerade der König im eigenen Wohnzimmer und wurdest mit der gesamten Klaviatur der Emotionalität bespielt. Wo RWE spielt, ist einfach immer oben.
Was es im Fußball braucht, ist einfach eine faire Verteilung der Gelder. Es braucht Verbände, die verbinden anstatt nur noch Auflage um Auflage zu erteilen. Und was bitte in aller Welt soll die Pflicht für alle Vereine der beiden ersten Ligen, ein eSport Team aufzustellen? Wie bekloppt ist das denn? Die Bremer Brücke in Osnabrück zum Beispiel ist in ihren Räumlichkeiten so beengt, da passt nicht mal ein geeigneter Monitor rein, dessen Größe wahrscheinlich auch auf den Zentimeter vorgegeben ist. Gut, ich schweife ab, muss manchmal sein.
Sonntag also endlich wieder Hafenstraße. Endlich wieder mit dem dann noch gähnenden Tross Richtung Stadion ziehen. Endlich wieder A31 und Parkplatzsuche. Endlich wieder Altenessen. Ob wir wieder eine Pokalsause erleben werden? Wahrscheinlich nicht. Aber ich glaube fest an das Erreichen der zweiten Runde, denn an einem guten Tag sollte es möglich sein, den HSV zu schlagen. Und Sonntag wird ein guter Tag. Mein Tipp: Jakob 2, Horst 1. Und für das nächste RWE-Spiel, an dem ich nicht im Stadion anwesend bin, habe ich mir fest vorgenommen, die Emotionen auch bei Gegentoren besser im Zaun zu halten. Denn in die andere Richtung kann ich ein Kissen bei Frustration erst recht nicht werfen: Da steht Freddie. Und der ist nun mal auch Queen.
