Balsam. Seele. Und so.
Wie ist das eigentlich zu erklären, dass nach den Ergebnissen der letzten beiden Spielen zuzüglich einer die Medien beherrschenden Personalentscheidung die eigenen Fans in Rekordzahl ihrer Mannschaft nach Dortmund hinterherfahren, um sie dort über die gesamte Spielzeit hinweg zu einem eigentlich fast unerwarteten Sieg zu tragen? Es ist eben wie üblich bei Rot-Weiss Essen: Rational betrachtet gibt es dafür keine Erklärung. Der normale Reflex unter Fußballfans nach solch stressigen Tagen wäre doch der gewesen, erst einmal Abstand zu gewinnen und den Stadionbesuch zugunsten einer anderen, nervenschonenderen Tätigkeit, abzusagen. Oder wenigstens im Stadion reserviert und motzig auftreten, um der eigenen Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen.
Doch es kam ganz anders! Und eigentlich kann keiner wirklich sagen, warum es so wundervoll passiert ist. Es gab ja nicht einmal einen Aufruf führender Fangruppen, ein Statement von XY, oder irgendetwas in der Art. Und somit war es wohl der innige Wunsch und das dringende Bedürfnis aller Rot-Weissen im Stadion und vor den Bildschirmen, die Mannschaft und unseren Verein voller Inbrunst und zu 1907% zu unterstützen. Schon vor dem Stadion bekam die Mannschaft ein Gespür für das, was sie im Stadion durch das Spiel tragen könnte und verlor so nicht nur durch die intern veränderte Konstellation einiges an Ballast, sondern erst recht durch den Zuspruch von außerhalb.
Selbst der ausrichtende Ballspielverein Borussia hatte wohl nicht damit gerechnet, auch noch an den Tageskassen dermaßen viele weitere RWE-Fans begrüßen zu dürfen, so dass es im Stadion zu einer Blockbelegung kam, die irgendwie an ein verunglücktes Tetris erinnerte. Anstatt direkt nahtlos über dem Unterrang anzuschließen wurden die Rot-Weissen Fans aller Herren Länder erst an der Seite schmal nach oben, und von dort aus weiter seitwärts über freie Blöcke hinweg verteilt. Aber vielleicht war das auch nur Bestandteil eines geförderten Bewegungsprogramms zur Unterbringung auswärtiger Fußballfans. Wir wissen ja: Der Aki jammert immer über zu wenig Geld.
Wie viele RWE-Fans nun insgesamt im Stadion zugegen waren, darüber herrscht wohl auf ewig Unklarheit. Ich finde, fünfstellig ist hier schon ein ganz guter Ansatz und der Realität entsprechend. Aber unter dem Strich auch Wumpe und eher wichtig für die entsprechenden Portale und ihre Statistiken. Die bloße Zahl ist ja immer das eine. Aber die Wucht und Zuneigung für die eigenen Mannschaft, die diese vielen Fans in den Koloss Westfalenstadion gebracht haben, das ist doch letztendlich das, was unter dem Strich zählt. Was auch zur absoluten Symbiose zwischen unserer Mannschaft und uns Fans beigetragen hat. An diesem Abend wurde eine erratische Mannschaft auf einer Welle der Begeisterung hin zur Stabilität der Spiele vor Unterhaching und Verl getragen.
Zum Spiel eigentlich nur ganz kurz, denn das zu beschreiben, können andere immer viel besser. Aber das Musti Kourouma das erste Tor nicht für sich verbuchen darf, finde ich sehr schade. Ein klassisches Eigentor sieht für mich anders aus. Auf jeden Fall war diese Führung ein weiteres Puzzleteil an diesem Abend, welches die Begeisterung noch einmal zu untermauern wusste. Der Gang zur Halbzeit in die Kabinen somit schon von Beifall untermalt. Es kam der Elfmeter mit dem Ausgleich und ganz kurz zuckte man dann doch zusammen und dachte: „Bitte nicht!“ Aber die kurze negative Anwandlung wurde direkt in einen Angriff umgekehrt, welcher schöner nicht sein konnte: Lucas Brumme – Isaiah Young – Lucas Brumme – Torben Müsel – TOR! Das war so schön vorgetragen, das schaue ich mir immer wieder gerne an. Dieser Lauf nicht nur von Lucas Brumme, sondern fast parallel dazu der von Torben Müsel, der genau den Ball so vor der Stirn haben wollte. Dazu noch vor dem Sekunden später ausrastenden, eigenen Block.
Und spätestens jetzt begannen die Gesichter so vieler Protagonisten die eigentliche Geschichte des Abends zu erzählen: Egal ob auf dem Feld, direkt daneben im Aufwärmmodus und auf der angrenzenden Tribüne: Strahlende Gesichter überall. Und zwischendrin stets der Mannschaftskapitän. Gemeinschaftlich konnte nun dem Druck der Zweitborussen standgehalten werden, und dann endlich kam der Abpfiff einer kurzweiligen Reise in einem Spiel der 3. Liga. Und Dank Re-Live konnte diese noch mehrmals erlebt werden. Und mit ihm die wohl kollektive Erleichterung eines ganzen Vereins.
Marcus Uhlig hätte wohl am liebsten neben allen auch noch Georg Melches und die Helmut Rahn Statue umarmt. Paul Freier hüpfte die Humba fast so enthusiastisch wie die Spieler und auch des Trainers Lachfältchen waren schwer aktiv. Höhepunkt des ganzen Miteinanders sicher ein wohl einmaliger Vorgang im Westfalenstadion, denn plötzlich war unsere ganze Mannschaft hinter Gittern verschwunden und befand sich im direkten Handshake mit den Fans. So ganz ohne Ordner- oder Polizeikette. Wohl ein absolut schönes Momentum im modernen Fußball. Und ganz vielleicht, so meine Hoffnung, hat diese Nähe zueinander auch dem letzten Kommentarspaltenrambo klargemacht, dass unsere Spieler Menschen wir Du und ich sind. Und Gefühle haben, die sie an diesem Abend in Dortmund so offenherzig vortrugen.
Auf jeden Fall hat dieser Abend als Reaktion auf eine fast demütigenden Woche gezeigt, was es bedeuten kann, den Weg gemeinsam zu gehen. Nach vorne zu schauen und nicht immer gleich so hart im Umgang mit unserem Verein zu sein. Wenn wir den frisch gewonnenen Geist aus Dortmund auch gegen den kommenden Gegner aus Saarbrücken an die Hafenstraße transportieren können, dann wäre das sensationell. Und in Duisburg hat man dann sicher auch schon eine gewisse Vorahnung, da der Tross aus Essen als Nächstes den dortigen Zebrastall bevölkern wird. Aber eventuell verlieren wir auch direkt wieder. Man weiß das ja nie so genau, schließlich sind wir nicht umsonst Rot-Weiss Essen!
Apropos umsonst: Allein mit den Parkgebühren der Essener Fans könnte Aki Watzke wohl die auf vielen Ebenen komplett bescheuerte Rückholaktion seiner Nationalspieler bezahlen, so teuer ist das Parken in Dortmund. Wir brauchen uns wirklich nicht über eine WM auf drei Kontinente verteilt aufregen, wenn für Hunterttausend Euro hin- und hergeflogen wird, nur um eine Mütze voll Schlaf zu verteilen. Dann sagt man einfach dem DFB und dieser unnützen Länderspielreise inmitten der Saison ab und freut sich über Heimschläfer. Es war auf jeden Fall schön zu erleben, dass unsere 3. Liga nicht Opfer der Länderspielpause wurde, sondern gnädigerweise fast komplett den Spieltag bestreiten durfte.
Zu guter Letzt noch dieses: Was auch immer war, und warum: Auch Felix Bastians bleibt natürlich auf ewig Rot-Weisser Aufstiegsheld. Und so wie es auch für Herze, Engel, Ötzi und all die anderen Aufstiegshelden gilt: Mehr kann man eigentlich im Sport nicht erreichen. Alles Gute für die Zukunft.