Wer die Glocken läuten will, der muss auch mal am Seil ziehen.
Diese bedeutungsschwangere Überschrift ist jetzt nicht das Vermächtnis einer bedeutenden Figur der Historie, die auf Kirchengeläut stand, sondern laut Drehbuch der Kodderschnauze der Kunstfigur Atze Schröder entsprungen. Der Atze mit dem fiktiven Kiosk in Essen Kray zu Beginn der 2000er Jahre. Spätestens bei den Namen Murat, Biene, Harry und Opa Pläte dürfte es klingeln. Sicher hat Atze Schröder seinerzeit nicht an den RWE gedacht, davon ist auszugehen, und doch passt dieser Spruch irgendwie zur sportlichen Aktualität von Rot-Weiss Essen.
Es ist schon ein wenig tragisch: Obwohl wir scheinbar laut diverser analytischer Spieldaten keine wirklich schlechten Spiele abgeliefert haben, diese bisweilen sogar dominant geführt wurden, und auch alle an einem Seil gezogen haben, klingelte es bislang eher leise im Tor der jeweiligen Gegner. Das große Freudengeläut lässt allen Bemühungen zum Trotz noch auf sich warten. Abgesehen vom Dortmund Spiel natürlich. Es wäre also nach der fantastischen ersten und effektiv verwalteten zweiten Halbzeit gegen die Zwote der Borussia absolut der geeignete Zeitpunkt gewesen, in Mannheim einen weiteren Dreier einzufahren. Aber leider dauert ein Rausch bei jedem veritablen Partygast aktuell noch länger als bei Rot-Weiss Essen.
Die optische Überlegenheit auf dem Waldhof hat also nichts Zählbares mit zurück nach Essen gebracht. Für uns Fans zeigte sich einmal mehr, dass Statistiken vielleicht wichtige Erkenntnisse für die sportliche Leitung liefern, das Ergebnis bei einer Niederlage aber natürlich nicht versüßen können. Das ist auch gar nicht sarkastisch gemeint, denn sollten irgendwelche wissenschaftliche Fakten oder xGoals Auswertungen das Spiel unserer Mannschaft langfristig verbessern können, hat das Gedöns natürlich seine Berechtigung. Aber grundsätzlich zählt immer noch das Endergebnis, von dem unsere Befindlichkeit bis zum nächsten Spiel abhängt. Aktuell sind wir somit ein wenig angespannt und blicken eher mit banger Hoffnung als mit grenzenlosem Optimismus auf das kommende Spiel gegen die gut gestartete Kölner Viktoria.
Aber ich bin trotzdem frohen Mutes, denn mittlerweile sollten wir alle begriffen haben, dass sowohl Spielfeld als auch Tribünen keine Einbahnstraßen sind. Möchte man also an das Flutlichtspiel der Vorwoche anknüpfen, braucht es auch bei grauem Tageslicht Geistesblitze auf dem Rasen und donnernde Anfeuerung von den Tribünen. Dann sollte das auch mit dem Glockengeläut in Form von Adiole funktionieren. Nach Viktoria daheim geht es leider schon wieder in die nächste nervige Spielpause aufgrund diverser Länderspiele zuzüglich der für uns nicht unbedeutenden Jahreshauptversammlung. Und dann geht es für unsere Mannschaft innerhalb von sechs Tagen gleich zweimal in den Osten der Republik nach Dresden und nach Rostock. Unterbrochen von einem Heimspiel unter der Woche gegen den SC Verl.
Innerhalb von sechs Tagen gleich zwei der absoluten Auswärtshöhepunkte aus Fansicht aufzurufen, die zudem nicht nur großen Reisestress, sondern auch entsprechend hohe Kosten bedeuten: Wer denkt sich so einen Mist eigentlich aus? Was sitzen da nur für emotionslose Bürokraten in den Verbandsstuben, die den Computer zur Erstellung eines Spielplans mit Parametern füttern, die so weltfremd sind wie die grundsätzlichen Ansichten eines Friedrich Merz. Es wird also wohl darauf hinauslaufen, dass sich nicht wenige der reisewilligen RWE-Fans für eines der beiden Spiele entscheiden werden/müssen, anstatt beide Spiele zu besuchen. Wer würde es ihnen verdenken wollen! Aber egal ob Jahreshauptversammlung, die beiden Auswärtsspiele oder Verl daheim: Alles noch Zukunftsmusik, denn zum Ende dieser Woche zählt einzig und allein das Spiel gegen Viktoria Köln.
Ich nerve meine Frau immer gerne damit, dass das nächste Spiel von Rot-Weiss Essen natürlich das wichtigste Spiel der bisherigen Saison ist, was meistens genervtes Augenrollen zur Folge hat. Aber wenn ich den mittlerweile angestaubten Kalauer nun am Samstag vor der Abfahrt gen Essen bringe, dann hat der vielleicht sogar endlich mal wieder seine Berechtigung. Rot-Weiss Essen gegen Viktoria Köln wird sicherlich nicht das wichtigste Spiel der Saison werden. Aber eines von tatsächlich immenser Bedeutung dafür, wie sich die spielfreie Zeit zuzüglich Jahreshauptversammlung rund um die Hafenstraße gestalten wird.
Und egal wer nun aus welchen Gründen auch immer oppositionäre Gedanken hegt, die chronische Hafenstraßen-Unzufriedenheit in sich trägt oder warum auch immer mal wieder seinen traditionellen Hals auf unseren Verein hat: Sobald Samstag der Ball rollt, sollte all das keine Rolle spielen. Dann sollten wir auf und neben dem Rasen diese unüberwindbare Einheit bilden, die Rot-Weiss Essen und der Hafenstraße schon sehr oft den Beinamen „Mythos“ verschafft hat. Denn Rot-Weiss Essen ist doch das, was uns ausmacht. Es ist schließlich unser Verein, der über Generationen hinweg in Familien weitergelebt wird. Der unzertrennliche Freundschaften ermöglicht und in Momenten tiefer Trauer eine große Stütze ist. Der für uns da ist, so wie wir auch schon für ihn nicht wenige Kerzen angezündet haben. All das macht Rot-Weiss Essen aus. All das sind wir! Und genau das sollten wir auch Samstag ab 14: 00 Uhr sein: Nur der RWE!
Mal wieder ein klasse Kommentar zur (Tabellen-) Situation, zudem eine sehr treffende Überschrift – Danke 🙂
Nur eine kleine Korrektur: Ob die „Parameter (…) so weltfremd sind wie die grundsätzlichen Ansichten eines Friedrich Merz“ ist immer noch ausschließlich Gegenstand meiner persönlichen Bewertung, das hat hier nichts verloren. Der Grund für die merkwürdige Spielverteilung dürfte wohl darin liegen, dass diejenigen, die das verantworten, nach sehr persönlichen Vorlieben planen – und da fällt der RWE, traditionell beim DFB eher unbeliebt, einfach hinten runter. Mit Merz hat das, auch im Vergleichsmodus, nichts zu tun.
Die kleine Korrektur nehme ich natürlich sehr gerne an. Natürlich hat der Spielplan nichts mit ihm zu tun, aber ich sah hier meine Chance, endlich eine kleine Spitze gegen Herrn Merz loszuwerden 😉