Roadmovie Kreisklasse
Für ein Roadmovie „Kreisklasse“ ins Auto zu steigen und eine Stunde zum Zielort zu fahren ist fast Frevel den ganzen Nordhorner Vertretern wie Waldsturm Frensdorf, Blau-Weiß Bookholt, FC Blanke oder auch Alemannia Nordhorn gegenüber. Selbst die größeren Vereine wie VfL WE, Vorwärts oder Sparta haben diese Liga ja auch im Portfolio. Wenn auch nicht mit der Erstvertretung. Meistens wird sogar noch auf Rasen gebolzt inklusive ordentlich Baumbestand rund um das Spielfeld. Dieses atmosphärisch problematische Produkt namens Kunstrasen ist bei uns glücklicherweise noch nicht in der Anzahl vorhanden, wie proportional in Essen. Dafür gibt es dort noch den ein- oder anderen Ascheplatz. Bergeborbeck beispielweise hält sich wacker, weswegen der Verein eventuell auch Wacker Bergeborbeck heißt.
Da ich nun kein Groundhopper bin, gab es schlicht und ergreifend nur einen Grund für diesen Trip, und zwar den Algorithmus eines großen Videoportals. Dieser kennt mich natürlich bestens, so funktioniert leider das „Spiel“. Also besteht meine Startseite auf diesem Portal fast zu 99% aus Fußball. Musik. England. Fußball. Stadien. Eishockey. Schottland. Fußball. Schweden. England. Und erstaunlicherweise aus Camping. Was fast schizophren erscheinen mag angesichts der Tatsche, dass im Leben kein Camper mehr aus mir werden wird. Vielleicht danach. Trotzdem sind aber die ganzen Geschichten immer wieder auch eine Fundgrube an skurrilen Charakteren und schönen Orten. Der Algorithmus hat mir also den SuS Steenfelde angeboten und ich habe nicht zugegriffen, aber reingeschaut. Was zur Folge hatte, dass sich irgendwann sämtliche „Spin-Offs“ der Clique aus Westoverledingen auf die Startseite gemogelt hatte.
In Anbetracht der hohen Zugriffszahlen möglicherweise doch eher Personenkult als Fußball. Und genau das galt es herauszufinden, denn Personenkult ist einfach nicht meine Sache. Kultige Vereine mit schön gelegenen Fußballplätzen und dem Charme besserer Tage im Miteinander dafür umso mehr. Das mir beispielsweise Selfies erst gar nicht in den Sinn kommen, musste 1982 schon leidvoll Diego Maradona in Meppen erfahren. Ich wollte das nicht, da hätte „El Pibe de Oro“ damals noch so bitten können. Der RWE im Pokal in Hilden kam klar, wenngleich auch mühevoll, somit war der Weg frei für den Besuch des Spitzenspiels in der Ostfrieslandklasse B4: Der SuS Steenfelde empfing die Zwote des Ortsnachbarn und Tabellenführers VfL Viktoria Flachsmeer. Mehr Derby geht kaum in Ostfriesland.
Kurz hinter Papenburg ist man dann auch gleich da, und die erste Überraschung erfolgte gleich auf dem ausgewiesenen Feld: Diesen Algorithmus hatte ich definitiv nicht allein. Sie kamen den Kennzeichen nach aus Neuburg-Schrobenhausen, Borken, Rostock, Hannover, Kleve, Aachen, Seesen, Bad Kreuznach. Steenfelde vereinigte die Republik, so hatte es den Anschein. Am Platz selbst tatsächlich alles so wie auf dem Bildschirm. Das ist also echt hier. Selbst der notorische Lügner Trump käme hier mit seinem ewigen Fake an die Grenzen. In der Schlange vor dem Kassenhäuschen kam ich aber fast an meine, denn Unbehagen machte sich breit. Irgendwie war keiner da, mit dem ich hätte über Fußball reden können. Da war er deutlich zu spüren, der Personenkult.
Das, was im Internet zu oft eine zweite Realität ermöglicht, je nachdem wie tief man dort eintaucht. Die Befindlichkeiten der Protagonisten waren wichtig, nicht die vorherigen Ergebnisse, oder ob der Aufstieg dieses Jahr endlich gelingen wird. Aber vielleicht ist das grundsätzlich in der 2. Kreisklasse auch einfach nicht das Thema und bin ich zudem fußballkulturell zu sehr von der notorisch schlechten Laune an der Hafenstraße geprägt. Hier war das Thema eher, wie es Udo geht, wann Wilke kommt, ob Torben wieder Lack bekommt und Didi abgeht wie Schmitz Katze. Aber es gab kein zurück mehr, da musste ich jetzt durch. Beim Eintritt von 2,50€ noch gelächelt wich dieses in Anbetracht der Verzehrkarte im Wert von 15€. Darunter ging es leider nicht, weshalb die Pommes nicht getestet werden konnte. Das manche Besucher unter den letztendlich (offiziell) 850 Zahlenden gleich mehrere Verzehrkarten geordert hatten, könnte vielleicht erklären, das direkt ganze Bierkisten auf die jeweiligen Plätze rund um das nicht wirklich richtig Eckige getragen wurden. Wahlweise die Flasche Osborne oder Schnappes obendrauf. Zuzüglich Cola. Es kommt immer auf die richtige Mischung an.
Sie versorgten sich also, egal ob Anhänger eines Internet-Phänomens oder eben klassischer Fußballfan. Was vielleicht auch die Musikauswahl vor Spielbeginn erklärt, war doch Otto mit seiner Hymne an den Alkohol zu hören. Vor oder nach Geier Sturzflug, ich weiß es nicht mehr so genau. Auf jeden Fall werde ich nie wieder über die Playlist anne Hafenstraße schimpfen. Ich bin trotzdem geneigt zu behaupten, dass es am Ende allen tatsächlich doch um den Fußball ging und nicht nur um reinen Personenkult oder den Alkohol. Denn zum einen fielen die Protagonisten gar nicht auf, was einen wirklichen Mehrwert ergab. Die sind also immer so wie sie sind. Egal ob die Kamera läuft oder nicht. Macht das Ganze schon mal authentisch und wirklich sympathisch. Und der Hauptplatz des SuS Steenfelde, da haben wir eine wirkliche Perle der Kreisklasse. Ganz besonders im Herbst, wenn sich der üppige Baumbestand drumherum in seinen schönsten Farben zu zeigen beginnt.
Was einen aber wirklich abholt, dass sind die Maße des Spielfeldes. Dieses ist niemals rechteckig, die beiden Tore stehen sich zwar gegenüber, aber nicht wirklich direkt. Kann man nicht beschreiben, muss man selbst erlebt haben. Mein innerer Monk in Sachen Symmetrie ist fast kollabiert. Dazu die modernen Spieler- und Trainerbänke auf Rollen links und rechts neben einem Hochsitz als Sprecherkabine, der selbst auf freier Wildbahn keine TÜV-Abnahme bekommen dürfte. Komplettiert mit einer kleine Tribüne und Werbetafeln in so großer Zahl rundherum, dass selbst die Vertriebler bei RWE blass vor Neid um die Nase werden dürften. Abgerundet das Ganze dann um einen kleinen Marktplatz bestehend aus Fanshop (alter Camper) und Verköstigung. Und nicht wenige Zuschauer trugen Trikots (die Harten) oder Steppjacken (die Weichen) des gastgebenden SuS. Ansonsten waren Heim- und Auswärtsfans nicht sonderlich zu unterscheiden: Das lakonische „Moin“ und grundsätzlich entspannte ostfriesische Naturell war allen gemein.
Dieser Erfolg dank Internet offenbart leider auch Probleme, die dann schon mal im realen Leben auftauchen können: Der Platz des SuS ist einfach nicht für diese Zuschauerzahlen ausgelegt, vor allem wenn die Blase nach zu viel Bier zwickt. Den vielen Ansagen und Schildern zufolge wurde wohl so oft die Natur rund um das Spielfeld bewässert, so dass es jetzt einen Toilettenwagen gab. Oder eben den Platzverweis, wenn der Reisverschluss trotzdem geöffnet wird. Das muss dann jeder mit sich selbst abmachen. Zu Beginn des Spiels gab es Pyro aus der Heimecke, aber wo kein DFB-Kläger, da nun mal kein Richter. Und dann gab es ihn endlich: Kreisklassenfußball, der wirklich Spaß gemacht hat. Zudem unter Flutlicht. Da war dann alles nur noch Fußball. Das nächste Kreisklassenspiel sicherlich wieder mit dem Rad und bei Waldsturm Frensdorf. Der Besuch bei diesem Phänomen SuS Steenfelde hat aber trotzdem Freude bereitet, und die eigene Fragestellung zufriedenstellend beantwortet: Am Ende gewinnt doch immer der Fußball. Da kann man den Personenkult schon mal tolerieren.
Gimmick des Abends: Der „KLEB MIR EIN!!!“ Aufsteller für die fußballkulturelle Errungenschaft schlechthin. Und so sah der Aufsteller dann auch alle paar Minuten anders beklebt aus. Herrlich beklebt, diese Typen da in Steenfelde.




















