Das ungeschriebene Gesetz Viktoria
Englische Woche, oder auch: Nichts ist so schnell überholt wie die am Spieltag vor Anpfiff veröffentlichte Kolumne. Aber so ist nun mal der Fußball: Während Wüterich Bernhard am Mittwochabend wieder über beide Backen strahlen durfte, wird uns Uwe vor allem die Leistung der eigenen Mannschaft in der ersten Hälfte wohl um den verdienten Schlaf gebracht haben. Da ist der Mannschaft möglicherweise der temporäre Status als beste Mannschaft des Landes ein wenig zu Kopfe gestiegen. Anders ist dieser pomadige Auftritt der ersten fünfundvierzig Minuten kaum zu erklären.
Man hatte da bisweilen das Gefühl, einer Aufnahme im Slow Motion Verfahren zu folgen, so ungewohnt behäbig und langsam war das. Frei nach: „Wer meint etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden“. Aber solche Halbzeiten passieren, und vielleicht war sie nötig, um die Sinne wieder dafür zu schärfen, worum es von Spieltag zu Spieltag geht: Den Abstieg um jeden Preis zu vermeiden. Uwe Koschinat wird daher in der kurzen Fuffzehn sicher deutliche Wort gefunden haben, da das Spiel in der zweiten Halbzeit endlich auch vor dem Tor der einmal mehr anstrengenden Tante Viki stattfand. Was uns dieser Verein in den letzten Jahren an Nerven gekostet hat, das ist schon auffällig. Gefühlt ist jedes unserer Spiele auf der rechten Rheinseite seit Jahren gleich schlecht. Da gibt es einfach keine Ausschläge nach oben oder unten, die RWE-Lethargie dort ist wohl ungeschriebenes Fußballgesetz.
Die zweite Halbzeit war aus Sicht der Rot-Weißen dann wesentlich besser, es ergaben sich Torabschlüsse, einmal stand dabei leider der Pfosten im Weg. Die Mannschaft nun wacher, aber es kam, wie es kommen musste: Viktoria macht das Tor! Das zeigt dann doch wieder die Klasse dieser Mannschaft, die zurecht sehr weit oben in der Tabelle steht und sich auch nicht durch die Grippe- oder andere Wellen irritieren lässt. Unser RWE hat also nach sieben Spielen mal wieder ein Spiel verloren. Und zwar zuallererst durch den Auftritt in der ersten Halbzeit. Es ist nicht schlimm, ein Spiel zu verlieren, und wirklich kein RWE-Fan hat damit gerechnet, ohne weitere Niederlagen durch die Saison zu kommen.
Aber eine solche Halbzeit brauchen wir nicht nochmal. Zu allem Überfluss fehlt nun Tobias Kraulich ausgerechnet im kommenden Spiel gegen Dynamo. Auch damit hat wohl keiner gerechnet, denn wir hatten alle nur die vier gelben Karten von Klaus Gjasula und Julian Eitschberger im Hinterkopf. Aber manchmal hat man dann sogar ein wenig Glück im Unglück, denn wie Klaus Gjasula das Spiel in Köln ohne die fünfte gelbe Karte überstanden hat, bleibt wohl das Geheimnis des Unparteiischen. Gut für uns natürlich! Oder auch das Foul von Dominik Martinovic, welches komplett ohne Bestrafung geblieben ist. Man stelle sich das Foul vergangene Woche gegen den Waldhof vor: Der Trares wäre ja bei Nichtbestrafung komplett eskaliert und hätte Strafanzeige in Den Haag gestellt.
Halten wir also fest: So gut wie der vorherige Spieltag am Wochenende in Summe aller Ergebnisse richtig gut für uns gelaufen ist, so suboptimal lief der aktuelle unter der Woche. Hannover 96 und Unterhaching dürften wahrscheinlich die ersten beiden Absteiger stellen. Aber wir anderen rücken einmal mehr immer enger zusammen. Das ist Faszination und Anstrengung zugleich. Macht Mut und Angst. Gibt Kraft und lähmt bisweilen. Je nachdem, wie die Ergebnisse ausfallen. Nennt sich Fußball.
Und da es Fußball ist, und wir eine großartige Mannschaft haben, werden wir schon Samstag wieder gegen Dynamo Dresden einen ganz anderen RWE sehen. Voll des Lobes war gestern, nun ist wieder richtig Maloche angesagt. Schaut man sich dann auch noch die Ausrutscher der Dynamos an den vergangenen Spieltagen an: Warum nicht auch an der Hafenstraße abermals verlieren?
Was uns aus dem vollen Gästeblock erwartet, ist lautstarke Anfeuerung (und bitte nur die, alles andere nervt so langsam richtig), die streng nach angeordneter Playlist vorgeht. Es wird zu Ostdeutschland marschiert, es wird die Pfeife geben, es wird „Dü Dü Dü, Na Na Na…etc.“ gemacht. Ich glaube nicht, dass die Gründerväter der Ultrakultur im Sinn hatten, dass die neunzig Minuten straff orchestriert werden, aber das muss ja auch jede Szene für sich selbst wissen. Ich habe den spontanen Wechsel unser Anfeuerungen vor allem zum Ende hin gegen den SV Waldhof genossen. Das war sie, die Hafenstraße, die alle mitnimmt und auf das Spiel reagiert. Da sind alle Tribünen mit dabei, werden die offenen Ecken stimmlich kompensiert. Genau das brauchen wir am Samstag wieder.
Viki vergessen. Ab heute gilt wieder: Keiner soll es wagen, unseren RWE zu schlagen.
Wundervoll geschrieben! Toll. So nutzt man die Macht der richtigen Worte.