Sie gehen raus und sie spielen Fußball (frei nach Franz Beckenbauer)
Manchmal gibt es sie dann doch noch, diese Momente, in denen man bei einer eigenen Führung inständig Stoßgebete zum Fußballhimmel schickt, bei eigenen Elfmetern erst gar nicht hinschauen mag, oder regelrecht dem Schlusspfiff entgegenzittert, damit es nicht doch noch den alles entscheidenden Treffer gegen uns gibt. Den gab es zwar dann tatsächlich in Aue zu unser aller Leidwesen, aber dieses Spiel hätte ja auch ganz anders ausgehen können, so ausgeglichen wie es unter dem Strich dann doch war. Aber dazu vielleicht später immer mal wieder kurz.
Diesen nur kurzen Moment des „Bitte nicht schon wieder“ hatte ich also nach einer Dekade der Enttäuschungen gegen die olle Vikki und dem etwas unglücklich wie überraschend dahergekommenen Anschlusstreffer der Kölner. Doch unsere Mannschaft ließ sich davon nicht verunsichern, sondern drehte im Gegenteil jetzt erst richtig auf, so dass auch meine Körpersprache wieder auf äußerst selbstbewusst gestellt werden konnte, nachdem ein Ball nach dem anderen durchgesteckt wurde. Das Blitztor im eisigen Erzgebirge schon ein echter Hingucker, nachdem Isi Young und Leo Vonić wie auf Schienen durch den Strafraum der Auer gepflügt sind. Die beiden hätte nicht mal der kleine Bahn-Napoleon Weselsky lahmlegen können.
Aber dann erstmal die drei Tore an der einfach nur noch klatschnassen Hafenstraße gegen die Viktoria: Jedes auf ureigene Art wunderschön. Unser Capitano haute seinen ganzen Frust aus dem vorherigen Spiel vom Elfmeterpunkt dermaßen arschcool in das Netz, da blieben keine weiteren Fragen offen. Und dann das zweite Tor in der erneuten Co-Produktion zwischen Isi und Vonić. Mittlerweile pflügten unsere Spieler des Öfteren durch Kölner Mittelfeld und Abwehr wie die einstmals berühmte Frankfurter Büffelherde (immer wieder in Szene gesetzt durch mehr als aufmerksame Defensivarbeit).
Von Herzen gerne hätte ich Isi Young diesen lässigen Lupfer als eigenen Torerfolg gegönnt, denn sein Spiel in jegliche Richtung auf dem Spielfeld war eine mehr als sehenswerte Leistung. Und ich gönne es ihm allein schon, da seine ständigen Kritiker ihn scheinbar ausschließlich an Toren und/oder direkten Torvorbereitungen messen. Aber einen Kreativspieler wie Isi Young, den kann man einfach nicht in eine Schublade stecken und nach Schema F bewerten. Der funktioniert auf dem Platz so nicht. Und schon gar nicht funktioniert jede seiner Ideen, was natürlich des Öfteren für Aufstöhnen auf den Rängen sorgt. Aber er versucht es immer und immer wieder, ist dadurch neben der individuellen Klasse grundsätzlich ein Mannschaftsspieler par excellence. Und als Typ einfach auch unglaublich großartig. Ich würde ihn als Schwiegersohn sofort in meine Familie aufnehmen. Ich schweifte ab, aber war mal wichtig.
Der Lupfer also kein Tor, aber kongenial stand der Vonić Leo dann dort, wo man mit dem Gespür eines Stürmers stehen sollte, und nickt den Ball ein. Tor und der Jubel danach: Es passt aktuell einfach so viel bei uns. Doch es war immer noch nicht das Sahnehäubchen an Toren, denn das war Thomas Eisfeld überlassen. Allerdings muss er sich dieses Prädikat zur Hälfte mit Ron Berlinski teilen. Ron Berlinski, auch so ein Spieler, der uns in seiner Kreativität bisweilen die Haare raufen lässt, um dann mit einer dermaßen feinjustierten Vorlage zu glänzen, die man selbst in einer schweizerischen Uhrmanufaktur nicht präziser hätte hinbekommen. Und ob nun letztendlich Thierry Henry oder meinetwegen Vinnie Jones Pate für diesen herrlichen Treffer gestanden haben: Ich halte es da mit Andy Möller: Hauptsache Thomas Eisfeld!
Thomas Eisfeld, Andreas Wiegel, Ron Berlinski, Musti Kourouma und all die anderen, die nicht in der Startelf standen, beziehungsweise vielleicht nicht einmal zum Einsatz kamen: Wir haben so unglaublich großartige Fußballer, die allein schon im gemeinsamen Jubel ihre menschlichen Stärken ausspielen. Selbst dann, wenn sie das wohl kaum gemochte Aufwärmleibchen tragen müssen. Aber dann endlich auf dem Platz stehend, sofort ihre Wirkung entfalten. Da braucht keiner eine lange Anlaufzeit, die wissen alle ganz genau, was zu tun ist.
Was mich zu folgender Überlegung bringt: Können wir nun bald den Vertrag mit Christoph Dabrowski verlängern? Denn ich mag mir gerade ganz naiv vorstellen, dass es auch die Unterschrift des einen oder anderen Spielers zur Folge hätte, den wir ebenfalls unglaublich gerne weiter an der Hafenstraße sehen würden. Wir bekamen letzte Saison oft Grütze geboten, das kann man nicht wegdiskutieren, war aber so schlecht auch nicht, in Anbetracht der vielen Jahre Regionalliga. Aber Dank der Ruhe der Vereinsoberen, der Entwicklung der Mannschaft als Folge der pädagogischen und sportlichen Kompetenzen unseres Trainerteams und, ziemlich sicher auch, der kompetenten und akribischen Arbeit von Christian Flüthmann und Marcus Steegmann im für uns nicht immer ersichtlichen „Stillen Kämmerlein“: Wir dürfen gerade etwas genießen, wofür der Fußball eigentlich erfunden wurde: Wir dürfen das Spiel als solches genießen.
Rot-Weiss Essen spielt Fußball, zelebriert ihn bisweilen. Selbst wenn es manchmal, wie in Aue bedeutet, dass man sich in der Anfangsphase dann doch etwas überspielt hat und erkennen muss, dass wir nicht allein das Spiel beherrschen. Wismut Aue – RWE und RWE – Viktoria Köln waren einfach zwei tolle Fußballspiele. Das ging in beide Richtungen rauf und runter, da gab es keine übertriebene Härte oder peinliches Zeitspiel. Auch die Unparteiischen trugen ihren Anteil dazu bei. Das waren zweimal neunzig Minuten, für die wir den Fußball lieben. Nun geht es nach Münster zu den Preußen. Die lieben wir nicht. Aber ich bin mir sicher, auch dort wird unsere Mannschaft wieder Fußball in seiner schönsten Form spielen. Und wenn wir dann im Anschluss auch nur über ein weiteres geiles Fußballspiel unserer Mannschaft reden, dann sind wir weiterhin auf der richtigen Spur. Außerdem ist auch der Blick in unser Forum ein gleich viel entspannterer, spürt man doch auch dort die Zufriedenheit mit unserer Mannschaft.
Mal wieder (wie immer) sehr unaufgeregt die aktuelle Lage eingefangen. Es macht wirklich Spaß, dieser Truppe beim Spielen zuzusehen.
Nur das Sahnehaupt irritiert mich 😉 du meinst bestimmt die Sahnehaube.
Puh, was ein Fauxpas. Sahne über mein Haupt. Natürlich ist das Häubchen gemeint 😃. Dankeschön.