„Wie ein zerrupfter Straßenköter“ (5/22 für 11Freunde verfasst)
In der Regionalliga West bahnt sich ein episches Aufstiegsfinale an. Hier erklärt RWE-Fan Uwe Strootmann, warum sein Verein das Rennen macht. Und warum es ohne das ganz große Drama gar nicht geht.
Der 14. Mai 2022 wird in die Geschichtsbücher des Fußballs eingehen. Denn nach vielen und gefühlt endlosen Jahren der sportlichen Bedeutungslosigkeit wird Rot-Weiss Essen wieder in den bundesweiten Fokus rücken und aufsteigen. Eine mutige und steile These, weil die beiden Spiele bei uns an der Hafenstraße und in Münster noch gar nicht gespielt sind? Mag sein, und schon gar nicht spreche ich Rot Weiss Ahlen die fußballerischen Qualitäten ab, uns morgen einen heißen Tanz und schwere Minuten zu bescheren. Nein, aus mir schreibt der unerschütterliche Glauben an den Aufstieg, der mich endlich einmal eine ganze Saison getragen hat.
Gut, möglicherweise mit kurzfristigen Wacklern rund um den 33.Spieltag, als das heilige St. Preußen nach sportgerichtlicher Begradigung der Tabelle dank unseres Patzers in Aachen nun auch ganz regulär die Tabellenführung zu übernehmen wusste. Aber es ist doch so: Wir alle kennen unseren RWE und wissen: Rot-Weiss Essen wird niemals elfengleich und locker mit großem Vorsprung oder gar schon Wochen vor Saisonende einem sicheren Aufstieg entgegen schweben. Das ist nicht in unserer DNA verankert. Wir brauchen das ganz große Drama. Unser RWE, so wie wir ihn lieben und er uns zugleich quält, wird sich somit wie ein vom Leben gezeichneter und von vielen Rückschlägen und Auseinandersetzungen zerrupfter Straßenköter mit letzter Kraft in sein neues Zuhause 3. Liga schleppen, um dann dort endlich wieder so richtig aufzublühen.
Es war der vergangene Samstag, der 37. Spieltag, der den immer noch vorhandenen Optimismus wieder in richtige Euphorie umzuwandeln wusste. Das Auswärtsspiel bei den traditionell unbequemen Küchenjungs aus Rödinghausen wurde aus Sicherheitsgründen ans Lotter Kreuz in das Stadion der dortigen Sportfreunde verlegt, was einerseits einen nicht zu leugnenden Vorteil in Sachen Fanuntersützung brachte, andererseits aber auch eine Spielfläche, die in dieser Saison mehr Verkehr erlebt hat, als manch Freudenhaus. Rein spielerisch konnte man das auf diesem Untergrund also nicht lösen.
Gelöst hatte sich der Verein zuvor in einer turbulenten Woche von Cheftrainer Christian Neidhart. Es kam plötzlich und unerwartet und doch leider auch konsequent. Der „Reibungsverlust RWE“, eine von den Kassen leider noch nicht anerkannte Volkskrankheit, hat bei Christian Neidhart dazu geführt, die Mannschaft nicht mehr zu erreichen – um mal eine Floskel zu bemühen. Da Christian Neidhart in seiner Zeit bei RWE aber auch einen unglaublichen Punkteschnitt zuzüglich faszinierender DFB-Pokalspiele vorzuweisen hat und zudem noch ein überaus sympathischer Mensch und Vertreter seiner Zunft ist, traf seine Demission die Fans mitten ins Herz. Ein Gefühlsbrei bahnte sich einen Weg, der mit einer stagnierenden Mannschaft, aber eben auch mit Dankbarkeit für das Geleistete klarkommen musste. Man war sich schnell einig: Wenn wir aufsteigen, ist das auch das Verdienst von Christian Neidhart und wir lassen uns noch was einfallen, um ihn zu würdigen.
Zeitgleich wurden aus dem Westfälischen noch einige Stöckchen geworfen, die wir mal wieder nicht ignorieren konnten, sondern in allen Foren und Gruppen emotional überkochend mitnehmen mussten. Den eigenen schwachen Auftritt beim überraschenden Unentschieden in Wiedenbrück versuchte man im Münsterland nämlich in gewohnter Manier auch wieder RWE in die Schuhe zu schieben, schließlich hätten die Essener den Kurztrip der wackeren Wiedenbrücker nach Malle finanziert. Allein schon: Als ob wir irgendwas mit so einer Plörre wie Sangria aus Eimern finanzieren würden. Wenn wir motivieren, dann nur mit Stauder.
Aber zurück zum Auftritt in Lotte und dem daraus resultierenden, letzten Puzzleteil für den Aufstieg: Die Mannschaft legte eine komplett andere Einstellung an den Tag, als noch in den Begegnungen zuvor und jagte den SV Rödinghausen geradezu in 75 von 90 Minuten über den Platz. Bisweilen mit heruntergelassenen Stutzen, dem offenen Visier der Fußballer. Fantastische Standards waren zudem die effektive Antwort auf diese Platzverhältnisse. Und von den Fans eine Unterstützung, die man so geschlossen auch schon eine Weile nicht mehr erlebt hat. Alles, was da war, peitschte die Mannschaft nach vorn: Auf der einen Tribüne die Generation aktive Ultras mit vielen anderen Fans als Impulsgeber und auf der gegenüberliegenden Seite die Gründerväter der Ultrabewegung in Essen. Der Vorruhestand wurde mindestens für dieses eine Spiel aufgegeben.
Und so entstand eine faszinierende Melange aus Mannschaft und Fans, die dem Mythos Hafenstraße wieder ganz nahekam. Am Ende sprang nicht nur ein 3:0-Auswärtssieg für RWE heraus, sondern auch die Rückkehr an die Tabellenspitze. Da stehen wir nun, und keiner denkt auch nur ansatzweise daran, diese wieder abzugeben, was die endgültige Eruption der Emotionen am Samstagnachmittag bei Abpfiff bedeuten wird.
Diese Mannschaft wird sich das nicht mehr nehmen lassen. Dieser Verein wird sich den Aufstieg nicht mehr nehmen lassen. Ganz viele Fans in Essen sind immer noch auf „Ja aber….“ gepolt, was nach einer solch langen Leidenszeit im Fußballkeller leider nicht von ungefähr kommt. Schließlich war auch diese eine weitere verrückte Essener Saison, mit all den Steinen, die uns in den Weg gelegt wurden oder die wir selbst platziert haben. Wie dieser hirnlose Vollpfosten, der mit seinem Böllerwurf die Gesundheit der Münsteraner Gästespieler attackierte, unserem Verein einen Stich ins Herz versetzte und uns am Ende wichtige Punkte kostete. Dann die Corona-Tage, die ganzen Mauscheleien aus Münster. Die Selbstoffenbarung von RW Oberhausen und die bemitleidenswerten Kundgebungen der Fans von RWO oder aus Uerdingen, die lieber eine eigene Niederlage in Kauf nehmen, anstatt uns das Schwarze unter den Fingernägeln zu gönnen: All das kann nur in einem Aufstieg münden, denn wir sind endlich einfach reif dafür. „Stell dir vor, du bist RWE-Fan. Da kannst du jeden Tag nur noch saufen“, sagte Manni Breuckmann einst aus Mitleid über uns. Am Samstag werden wir ihm nicht mehr leidtun und aus Frust saufen. Samstag werden wir dieses glückselig tun. Und vielleicht Sonntag auch noch. Der Aufsteiger in die 3. Liga heißt dieses Jahr Rot-Weiss Essen.
Fast genau zwei Jahre später steht unser RWE kurz vor Ende der Saison wieder vor der kaum noch geglaubten Option, aufsteigen zu können. Diesmal gar in unser traditionelles Habitat 2.Bundesliga. Und wieder ist Preußen Münster mit von der Partie. Und Verl gar nicht so weit entfernt von Wiedenbrück, während Sandhausen einen Hauch Lotte versprüht. Die Protagonisten auf allen Seiten nicht in geringer Zahl ganz andere. Aber irgendwie ist dieser Text gut gealtert und könnte der zerrupfte Straßenköter auch zwei Jahre später wieder für Ekstase bei all denjenigen sorgen, die es mit Rot-Weiss Essen halten. Man soll sich ruhig noch drei Spieltage an uns reiben. Reibungsverluste sind bei uns gerade mal so gar nicht zu verspüren. Nur die Lust auf Erfolge.