Endlich Einlenken.
Ganz, aber wirklich nur ganz eventuell kann man sich das so vorstellen: Der ermattete Hansa-Krieger kehrt nach vielen Stunden Auswärtsfahrt nach Hause zurück, begrüßt Frau und Kinder, setzt sich an den Küchentisch und sagt zu seiner Familie: „Es war eine erfolgreiche Kaperfahrt! Ich habe des Gegners Sitzschalen heldenhaft aus der Verankerung getreten, den Wänden reichlich Klebeopfer gebracht und mich spirituell mit Farbe ausgelebt. Seid stolz auf mich und erzählt noch lange von meinen Taten“. Ob die Familie sich nun in Grund und Boden schämt, oder ihn dafür anhimmelt, werden wir nie erfahren.
Ebenso wenig, was man(n) wirklich dabei fühlt, fremdes Eigentum wie Müll zu behandeln, es zu zerstören und zu verwüsten. Ist man dann im Flow, wie auf Speed, oder emotional wie nach einem Lottogewinn oder der Geburt des ersten Kindes unterwegs? Toppt es die Hochzeit oder den allerschönsten Urlaub? Ich möchte es nur verstehen. Was gibt es Euch, sich zumeist auswärts in Teilen dermaßen danebenzubenehmen, so dass es dem eigenen Verein mehr als unangenehm und teuer ist? Es ist jetzt nicht das alleinige Problem des FC Hansa, sondern betrifft mittlerweile viele Vereine hüben wie drüben.
Wie würde man selbst empfinden, wenn Gäste in den eigenen vier Wänden zugegen sind, die einfach mal grundlos die eigene Bude verwüsten? Das ist mit keinem Kodex mehr zu erklären, das ist lediglich sinnlose Zerstörungswut. Der neuesten These des renommierten Soziologen aka Godfather of Fanforschung, Gunter A. Pilz, möchte ich dann doch nicht folgen: Sitzschalen rausreißen als Zeichen mangelnder Bildung? Das ist mir viel zu einfach, viel zu plakativ. Ich finde die aktuelle Entwicklung sehr anstrengend. Sehr traurig sogar, das trifft es besser. Was haben Euch eigentlich Klos getan, außer oftmals den eigenen Arsch zu retten?
Dabei geht es doch auch anders, können Sanitäranlagen in einem Stadion zu fußballkulturellen Ausstellungsstücken werden, wenn man im Rahmen klebt und zeichnet. In Freiburg (Dreisamstadion), Lübeck oder auch Meppen wird die Keramik respektiert, dafür aber drumherum geklebt oder getaggt, was der Edding hergibt. Da sind mittlerweile Kunstwerke entstanden, die Ausdruck der Subkultur Ultra sind. Sinnlose Zerstörung oder Raketenbeschuss ist nichts davon. Die einzigen, die wirklich von einer Kleberattacke in dem Ausmaße, wie wir sie aktuell zu oft erleben müssen profitieren, sind die Hersteller der Kleber und Sticker.
Gut gemachte Kleber rund um ein Stadion und in Maßen angebracht sind das Fußballmuseum des kleinen Mannes. Haben oftmals Witz und wirklich gute Motive zu bieten. Natürlich auch die Dinge, die man je nach Fasson nicht lesen will. Auf jeden Fall leben Vereine, die die Kultur der angemessenen Gestaltung (Gestaltung! Nicht Zerstörung!) in den Sanitärbereichen aushalten und nicht nach jedem Spiel alles auf Teufel komm raus entfernen wollen oder laut Nutzungsvertrag müssen, auf Dauer sicher günstiger und entspannter.
Etwas mehr an Entspannung würde ich mir als langweiliger, in die Jahre gekommener Normalo der Kategorie AA+ aber auch auf Ultra- und Szeneebene wünschen. Oder wenigstens ein bisweilen augenzwinkernden Umgang mit den Dingen. Mir kommt das alles immer so verbissen vor, es fehlt gänzlich die Leichtigkeit der Anfangsjahre. Meine Güte, wenn die Zaunfahne nun der Grund dafür ist, ein etwaiges Sicherheitsproblem hervorzurufen, ja dann hänge ich sie einfach etwas um. Da bricht mir doch kein Zacken aus der Krone. Im Gegenteil, das ist ein Zeichen von Stärke. Diese langwierigen Diskussionen am Zaun, oder das Verlassen des Stadions nur wegen einiger Zentimeter nach links oder rechts: Das hat am Ende nur Verlierer zur Folge. Das ist für mich nicht mit berechtigtem Protest gegen überzogene Polizeimaßnahmen, ungerechtfertigte Einkesselung oder inflationären Pfeffersprayeinsatz zu vergleichen.
Was mich beispielsweise triggert: Wenn eigenen Fans im Block mittels Schwenkfahnen oder Doppelhalter sehr oft die Sicht auf das ganze Spielfeld genommen wird. Dies dann natürlich kein Problem. Da kann man tatsächlich der Kogge fast etwas Gutes abgewinnen, wird dort wohl auf optische Stilmittel verzichtet, um jedem Fan die freie Sicht auf das Spielfeld zu ermöglichen. Nicht falsch verstehen: Ich liebe Fahnenmeere, allein was vor kurzem bei der AS Roma zu sehen war, war ein optisches Fest der Extraklasse. Ich freue mich daher jedes Mal wie Bolle darauf, wenn die Westtribüne in Essen zu einem Heimspiel den Fahnentag ausruft. Ein Stadion voller Fahnen ist Poesie auf den Rängen. Aber sobald der Ball rollt, wird eingeholt, meiner Meinung nach. Fußball ist schließlich für alle da.
Ich weiß nicht, wie sich nun das nächste Heimspiel in der Liga gegen Hansa Rostock gestalten wird, und ob unser Gästebereich dieses Spiel unversehrt übersteht. Aber vielleicht gibt es endlich das so dringend benötigte interne Einlenken. Diesen überaus wichtigen Moment des: Jetzt ist es wirklich „gut“ gewesen. Die Ultrakultur kann durchaus faszinierend sein, oftmals sogar karitativ. Sie ist wichtig, wie eben alle Fans im Stadion. Aber Sanitäranlagen und Fluchtwege sind es auch. Schließlich ist keiner allein im Stadion. Es sind immer auch die anderen zigtausend da.
Selten die wirklich wichtig, die denken, sie wären am wichtigsten.