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„Vollidiot“

Bis zum Ausgleich der Münchner Löwen war so weit alles in Ordnung, es gab ja auch erstaunlich viel Aufregendes von unserer Mannschaft zu sehen bis dahin. Auf jeden Fall so vieles von dem, was wir speziell in Meppen vermisst hatten. Spielerische Magerkost waren wir schon seit längerer Zeit gewohnt, aber nun gesellte sich auch noch fehlende Hingabe hinzu. Glücklicherweise hat das unsere Mannschaft wohl selbst auch so gesehen und zeigte gegen München Blau von Anbeginn an eine ganz andere Leidenschaft.

Stellvertretend dafür das Solo von Lawrence Ennali bis an die Grundlinie und die akrobatische Abnahme von Ron Berlinski, die tatsächlich sogar noch gefährlich auf das Tor kam. Oder die gigantische Rettungstat von Rios Alonso, bei der wohl so ziemlich jeder Fan eher mit einem Elfmeter rechnete, anstatt sich Sekunden später in torjubelähnlicher Ekstase von Spieler und Heimtribünen wiederzufinden. Und können wir endlich mal aufhören, ständig nur über Ballverluste von Isi Young zu lamentieren, anstatt mal festzuhalten, dass er unseren beiden Toren assistiert hat und mit Pferdelunge versehen immer wieder die Bälle nach vorne schleppt, wenn es sonst kein anderer macht? Der Blut spritzende und frisch tamponiert in die Runde grinsende Berlinski machte das Bild dann so richtig rund. Allen Unkenrufen zu Trotze hat die Mannschaft von Rot-Weiss Essen bewiesen, dass sie lebt, wie es so schön heißt.

Sie wollte das Drama Klassenerhalt endlich klären. Und das wollten auch die, die uns verlassen müssen. Feines Gespür hier auf der Tribüne in Richtung Simon Engelmann, Oguzhan Kefkir und Felix Herzenbruch mittels Produktlinie aus dem Tapetenfachhandel. Vor allem für Ötzi hat es mich sehr gefreut, kochten die Emotionen da nie so hoch wie bei den beiden anderen genannten. Im Falle von Felix Herzenbruch werde ich es weiterhin nicht verstehen, dass von Vereinsseite kein Angebot für eine Weiterbeschäftigung erfolgt ist. Selten wurde eine positive sportliche Entwicklung im Laufe einer Saison so wenig belohnt wie in seinem Falle. Zuzüglich Kapitänsbinde, Eintrag in die Torschützenliste und optimaler Außendarstellung. Was muss man denn als Spieler noch mehr anbieten?

Zurück zum Spiel: Es herrschte also nicht nur am Himmel eitel Sonnenschein, der den einen oder anderen Sonnenbrand zur Folge hatte. Eigentlich hatte es doch immer nur geregnet in unserem Zuhause. Der Klassenerhalt also greifbar nahe, bis zur 65. Minute, da fiel der Ausgleich. Und justament kippte auch die Laune einiger in G1. Nicht, dass sie trotzdem schon auch vorher gemeckert hatten, aber nun wurde so ziemlich jeder Spieler bei einer nicht gewinnbringenden Aktion als „Vollidiot“ bezeichnet. Nach dem 1:2 war eigentlich nur noch Vollidiot zu hören, oder wilde Pöbelei über das Bemühen unserer Spieler. Irgendwann reichte es dann, und mir platzte der Kragen, um für etwas mehr Respekt zu werben. Ich bilde mir ein, es hat gewirkt, denn weitere Beleidigungen in Richtung unserer Spieler blieben danach aus. Gerne können wir gegen Verl darauf zusammen in G1 ein Stauder trinken, aber dieses Kontra musste sein, sonst wäre ich selbst auch eskaliert.

Wo ist er hin, der Respekt vor unseren Spielern? Selbst nach dieser sportlichen Wiedergutmachung weit über eine Stunde bis zum ersten Gegentor und darüber hinaus? So geht das nicht, so können wir nicht mehr miteinander umgehen. Das hat nichts mit rauer Hafenstraße oder Ruhrpott-Charme zu tun, das ist einfach nicht mehr in Ordnung. Wenn doch alles so scheiße ist, dann kann man einfach auch vor sich hin schimpfen und gehen. So als Alternative. Oder unterstützen, wenn ich denn trotz Gegentor die Bemühungen erkenne. Und die waren im Gegensatz zum Meppen Spiel absolut vorhanden. Dort war es völlig in Ordnung, die Unterstützung einzustellen, so sprachlos, wie wir im Gästeblock gespielt wurden. Aber gegen 1860, das war doch ein ganz anderes Auftreten. Das muss doch auch mal honoriert werden. Natürlich gab es in den vergangenen Wochen viele Dinge auf dem Feld zu bemängeln und spielerisch wurden wir wirklich um die Freuden der 3. Liga gebracht, die wir uns nach so vielen tristen Jahren erhofft hatten. Aber das rechtfertigt in keinster Weise, dass wir die Spieler, die unsere Farben vertreten, dann einfach nach Belieben lautstark durchbeleidigen dürfen.

Und musste das sein, schon vor so einem wichtigen Spiel gegen den Trainer zu agieren und damit der Mannschaft ebenfalls eher zu schaden als zu nutzen? Wenn wir das alles aufzählen, was unsere Mannschaft auch durch uns Fans diese Saison auszuhalten hatte, da bin ich manchmal froh, dass sie überhaupt noch so engagiert für Rot-Weiss Essen zu Werke gehen. Diese Saison ist anstrengender als alle vierzehn anstrengenden Saisons davor zusammen. Und das soll wirklich was heißen! Da braucht es keinen Kleinkrieg gegen den Verein, den man doch über alles liebt. Ich dachte immer, wir gewinnen und verlieren zusammen. Aber scheinbar ist dem nicht mehr so. Wir gewinnen natürlich alle zusammen und natürlich nur durch die Unterstützung der Fans. Aber wenn wir verlieren, dann waren es nur die Versager oder Vollidioten auf dem Feld oder an der Seitenlinie?

Ja, klar, die Mannschaft hat das Spiel gespielt, und der Trainer hat sie darauf vorbereitet. Da können wir noch so großartig anfeuern, unser Einfluss darauf ist nun mal begrenzt. Aber wir könnten versuchen, jedes Ergebnis in Würde zu ertragen. Und es ist im Kontext Verein – Mannschaft – Fans nicht immer nur Verein und Mannschaft, die verliert. Manchmal treffen auch wir Fans falsche Entscheidungen, haben einen schlechten Tag erwischt oder was auch immer. Jetzt  haben wir nur noch zwei Spiele in der Liga, sind immer noch nicht gesichert. Vielleicht können wir da mal alle Ressentiments beiseitelegen und unseren Teil dazu beitragen, dass unser Verein, der über allen Befindlichkeiten stehen sollte, endlich diesen verflixten Klassenerhalt eintüten kann. Danach kommt hoffentlich alles auf den Tisch des Hauses, was das erste Jahr in der 3. Liga angeht. Es gibt sicher viel zu analysieren, da bin ich mir sicher. Denn eines ist klar: Wer meint etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden.

Lasst uns nun gemeinsam „Klassenerhalter“ werden und ein gelöstes Pokalfinale gegen RWO spielen. Und dann sollten wir auch noch einigen Aufstiegshelden einen mehr als gebührenden Abschied bereiten. Drei Spiele gemeinsam!

Wer einmal mit dem Löwen Samba tanzt, der schnarcht auch ohne Zähne.

Auf einmal saß er da. Die Nachbarn der ersten Hälfte konnten sich das Gewürge der eigenen Mannschaft in Meppen vielleicht nicht mehr antun. Oder sie waren solidarischer im Umgang mit den eigenen Fans als diejenigen „Kollegen“, die den kompletten ersten vier Sitzreihen im so schon kleinen Sitzplatzblock des Emslandstadions einfach mal die Sicht versperrten, indem das große Banner einer Fangruppierung dort platziert wurde. Wie egoistisch kann man eigentlich sein? Ist der eigene Lappen wichtiger als die Befindlichkeit dutzender Fans, die sich ebenfalls auf den weiten Weg nach Meppen gemacht haben und viel Geld für ein Ticket bezahlt haben? Nee, das war so nicht in Ordnung und kann ja vielleicht Szeneintern nochmal besprochen werden.

Aber zurück zu dem plötzlich und unerwartet aufgetauchten Fan, der möglicherweise schon als ganz junger Fan in Hannover vor Ort war, und die Meisterschaft im Stadion bejubeln durfte. Um mal einen Eindruck davon zu bekommen, von welcher Alterskategorie wir hier schreiben. Stolz hielt er die Fahne in der einen und den Gehstock in der anderen Hand. Aber die Augen und die Stimme verrieten große Sorge nach dieser ersten Halbzeit gegen den designierten Absteiger SV Meppen.

Ironischerweise hat einmal mehr mit Felix Herzenbruch noch derjenige den meisten Einsatz auf dem Feld gezeigt, der unverständlicherweise in der kommenden Saison nicht mehr das Trikot von Rot-Weiss Essen tragen darf. Das so viele Fans in seinem speziellen Falle etwas allergisch reagieren, hat nichts mit irgendeiner Verklärung oder so zu tun. Hier geht es ausschließlich um die Anerkennung einer sportlichen Leistung in dieser so anstrengenden ersten Drittligasaison seit ewigen Zeiten. Es geht auch nicht darum, unseren neuen sportlichen Verantwortlichen schon im Vorfeld das Vertrauen zu entziehen. Aber wenn wir gewohnt sind, miteinander Tacheles zu reden, so darf dann auch mal die Reaktion erfolgen, dass das so für uns nicht in Ordnung war. Ich bin immer noch dafür, sich nochmal zusammenzusetzen. Gefühlt bekommt zudem derjenige kein Arbeitspapier, der fast als einziger keine gesundheitlichen Ausfälle zu verzeichnen hatte. Und wir sind ja wirklich gebeutelt in unserer Premierensaison, was Krankheiten und Verletzungen angeht.

Ich bin nun also sehr gespannt, was die neuen Ideen rund um RWE angeht, und wann die ersten Neuverpflichtungen auf uns warten. Was nun den Abschied von Simon Engelmann angeht, so ist auch das schade, denn seine Tore haben einen großen Anteil am Aufstieg und an dieser unnachahmlichen Pokalsause in ansonsten tristen Corona-Zeiten. Aber hier steht der Wunsch nach Veränderung im Einklang mit der familiären Situation, und das gilt es zu respektieren. Etwas befremdlich finde ich dann allerdings immer, wenn Spieler sich schon im klassischen Fotoformat mit neuem Trikot bei aufnehmendem Verein zeigen, während sie noch bei abgebendem Verein unter Vertrag stehen. Das sollte anders geregelt werden, denn „Engel“ ist noch Rot-Weisser. Und als solcher hat er nun noch alles dafür zu geben, dass er die Hafenstraße ausschließlich als Aufstiegsheld verlässt.

Ich bin frohen Mutes, dass er das nicht nur tun, sondern auch noch mit Toren garnieren wird. Kein Aufstiegsheld möchte ein gutes Jahr später als Abstiegsdepp dastehen. Auch Oguzhan Kefkir muss seinen Spind nach dieser Saison räumen. Und auch hier tut es mir sportlich sehr leid, denn ich habe ihn nie so kritisch gesehen, wie es gelegentlich der Fall war. Ich mochte sein Spiel. Danke für alles, lieber „Ötzi“! Na ja, im Grunde genommen können sämtliche Befindlichkeiten auch mit dem normalen Lauf im Fußball umschrieben werden. Da gibt es schließlich immer Umbrüche, nach der Saison ist vor der Saison, und wie schon der große Willy Brandt wusste: „Besinnt Euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will“.

Wir Fans von Rot-Weiss Essen sind also schon so richtig gespannt auf die Antworten, die wir auf unsere vielen Fragen in Sachen Kaderplanung bekommen. Und vielleicht würde ich mir auch wünschen, Christoph Dabrowski nur einmal in anderen Klamotten am Spielfeldrand agieren zu sehen. Vielleicht würde ein solcher Kniff mal der berühmten Küchenpsychologie unter die Arme greifen und etwas Neues suggerieren. Einfach mal ein Spiel in Rot coachen. Wir haben da doch genug Schickes im Fanshop.

Sonntag also wieder einmal ein Spiel von immenser Wichtigkeit. Und dann auch noch um diese unchristliche Uhrzeit. Den anreisenden Fans der Löwen mag das egal sein, Weißwurst und Weißbier gibt es eh zum Frühstück. Aber an der Hafenstraße ist 13:00 Uhr eine Anstoßzeit, die höchstens für das erste Konterbier taugt, da man eigentlich gerade erst zu Bett gegangen ist. Es nutzt aber alles nicht, Sonntag muss nicht nur unsere Mannschaft mal wieder aus dem Tal der Untätigkeit aufwachen, sondern auch wir Fans. Wir sollten unseren Verein dermaßen laut besingen, so dass den Löwen in ihrer tabellarischen Einöde die Ohren klingeln. Der Mannschaft helfen, endlich den Deckel drauf zu machen, damit der Problempraktikant RWE für ein weiteres Jahr planen kann und übernommen wird. Meppen war gestern, Sonntag ist Klassenerhalt.