Was ist denn hier los?

„Was ist denn hier los“ rief Walter Ruege nach dem dritten Tor seiner Rot-Weissen in das Stadionmikrofon. Und fügte seinem freudigen Erstaunen direkt eine für ihn ungewöhnliche Triple-Erwähnung des kurz zuvor eingewechselten Torschützen Moussa Doumbouya zum alles Entscheidenden 3:0 hinterher. Wer die stets angenehme und seriöse Spielbegleitung fernab jedweder marktschreierischer Attitüde von mittlerweile zu vielen Kollegen kennt, wusste: Walter Ruege ging in diesem Moment vor Freude aus dem Sattel. Aber natürlich immer im Rahmen seiner ihm stets auszeichnenden Fairness der gegnerischen Mannschaft und ihrem Anhang gegenüber.

Als vor dem Spiel sein Backup Andreas Crom die Mannschaftsaufstellung übernahm, hatte das einen ganz besonderen Grund, denn der übertragende Sender Magenta-Sport hatte einen wirklich feinen Geistesblitz und lud Walter Ruege vor dem Spiel zum Interview mit Moderator Thomas Wagner. Das sollte man viel öfter machen, sich mit einer Seele des Vereins medial auf das Spiel einzustimmen. Dank der Re-Live Option konnten auch wir Stadionbesucher später auf dieses Interview zugreifen. Vielleicht wäre der bekennende HSV-Fan Wagner (ich behaupte mal frech, mittlerweile ist er nicht mehr nur Fan der Raute…) noch emotionaler gewesen, wäre ihm bewusst gewesen, dem ersten Träger der Georg-Melches Verdienstmedaille gegenüberzustehen.

Walter Ruege hat also nun nicht nur die Fragen beantwortet, sondern ihm blitzte auch der Stolz auf seinen Verein Rot-Weiss Essen aus den Augen. Magenta-Sport macht wirklich einen guten Job und hat im Gegensatz zu manch anderen Sendern auch Experten mit Substanz an seiner Seite. Aber sie alle haben teilweise eine klassische Sportlerkarriere mit vielen Vereinswechseln hinter sich. Sie können uns also das Spiel erklären. Aber nur jemand wie Walter Ruege kann den Zuschauern Rot-Weiss Essen erklären.

Eines ist aber ganz klar: Betrachtet man ein und dasselbe Fußballspiel in weniger als 24 Stunden zuerst live im Stadion und dann am heimischen Empfangsgerät: Nichts, wirklich gar nichts kann einen Besuch im Stadion ersetzen. Und niemals sollte man vor Abpfiff das Stadion verlassen. In Essen schon mal gar nicht. Erschreckend, wie der Stadionton bei den TV-Übertragungen oftmals gen Flüsterlautstärke reduziert wird. Die Faszination Hafenstraße kann sich also nur im Stadion entfalten. Nun waren wir im Stadion in der ersten Halbzeit in punkto Lautstärke und Mitmachquote zwar oft den Gästefans aus Sachsen unterlegen, aber in Essen funktioniert Fußball und seine Atmosphäre glücklicherweise noch sehr oft über die Intensität des Spielverlaufs und ist somit weniger an langweiligem Dauersingsang angedockt. So hat uns unsere Mannschaft nach dem Führungstreffer auf eine emotionale Reise mitgenommen, welche die Lautstärke im Stadion trotz geöffneter Ecken regelmäßig auf Warnstufe-Gehör anschwellen ließ und dabei keine Tribüne vergaß. Wechselwirkung in seiner schönsten Form.

Exkurs: Die Fans von Dynamo Dresden haben ihr allseits bekanntes Musikrepertoire gebracht, ihrer Herkunft gefrönt und mit der Trillerpfeife genervt. Sie taten dieses lautstark und durchgängig. Aber es ging nichts hoch, flogen keine Böller  oder sonst was durch die Gegend und wurde auch am Trennzaun zu „G1“ nicht wilde Sau gespielt. Es wurde nur lautstark angefeuert. Was soll man dazu sagen, außer: Danke, das hat Spaß gemacht!

Das ganze Spiel hat in Summe wohl nur uns Fans des magischen RWE Spaß und Freude bereitet. Auch wenn ich speziell in den ersten zwanzig Minuten noch befürchten musste, null zu einigen Gegentoren unterzugehen. Da war viel Sand in unserem Getriebe, während der Dynamo direkt auf Hochbetrieb lief. Pässe kamen zu selten an und zu oft liefen wir dem Gegner hinterher. Hinten brannte aber trotzdem erstmal nichts an, der Dynamo war nicht genau justiert! Aber dann kam eine Ecke und mit ihr Felix Götze gefühlt aus dem Nichts, um den Ball wundervoll und unhaltbar einzunicken. Ein Tor nach einem Standard, wie toll war das denn? Der Rahnsinn übernahm ab sofort das Kommando, selbst der Ball wurde immer mehr zum Freund. Hafenstraße pur die Folge.

In der zweiten Halbzeit wurde es dann ein wirklich wilder Ritt auf den Gefühlen beider Fanlager. Eine emotionale Achterbahn, die auf Seiten der Dresdner einige Komponenten der Benachteiligung beinhaltete. Denn so fair muss man sein: Bei Anwesenheit des unsäglichen VAR hätte Vinko Šapina wohl Rot gesehen und wäre das 2:0 von Eintänzer Felix Bastians durch Abseitsstellung einkassiert worden. Davon mal ab: Wir hätten trotzdem gewonnen! Aber mal ganz ehrlich: Ja, Dynamo fühlte sich nach Spielende zurecht benachteiligt und ging trotzdem erstaunlich gut damit um. Aber schon im nächsten Spiel kann es wieder eine Entscheidung der Unparteiischen zugunsten der Sachsen geben. Oder zuungunsten unserer Rot-Weissen. Aber das ist doch in Summe völlig in Ordnung, denn wir in der 3. Liga dürfen noch die Emotionen und das Spiel leben, die den beiden Ligen über uns genommen wurden.

Meine Fresse, was wäre das für ein zähflüssiger Brei gewesen, bis Schiedsrichter Tobias Reichel jegliche strittige Entscheidung mit seinen Kellerkindern kommuniziert und beschlossen hätte. Er selbst geht natürlich mit keiner guten Bewertung aus diesem Spiel heraus! Aber er hat ein Spiel geleitet und keine inszenierte Veranstaltung. Der VAR mag nachvollziehbare Tatsachen schaffen, aber er macht in erster Linie das Spiel und seine Emotionen kaputt. Fußball in Echtzeit und Entscheidungen aus dem direkt Erlebten ist unter dem Strich immer gerechter und gleicht sich irgendwann aus. Rot-Weiss Essen hat also die Schränke von Dynamo Dresden durchaus überraschend mit 3:1 bezwungen und macht sich heute auf die Reise gen Unterhaching.

Sonntag daheim gegen Dynamo Dresden, Mittwoch drauf bei der SpVgg Unterhaching und schon Samstag erneut anne Hafenstraße gegen den SC Verl. Manchmal frage ich mich ernsthaft, was bei der Spielplanung so an bewusstseinserweiternden Substanzen gereicht wird. Der gemeine Fan interessiert diese Spezies Fußballverantwortliche doch einen Scheiss! Unter der Woche nach München… Wenn wenigstens für unsere Feierbiester noch das Oktoberfest geöffnet hätte. Aber das schließt zu allem Überfluss exakt einen Tag vor dem Anpfiff im Sportpark zu Unterhaching. Wann endlich formuliert es mal ein DFB-Verantwortlicher öffentlich, dass Fans eigentlich nur das Business Fußball und die Spielplanung stören? Das wäre wenigstens mal ehrlich.

Unsere Bilanz nun ist gegen die Münchner Vorstädter erstaunlich bescheiden und darf daher gerne Mittwoch aufpoliert werden: Einem Sieg stehen zwei Unentschieden und fünf Niederlagen gegenüber. Aber das waren andere Zeiten. Unglaublich, wie beschwingt man nach einem Sieg der eigenen Mannschaft nach Hause fährt. Erst Sonntag erlebt wünsche ich das Mittwoch auch den erstaunlich vielen Unterhaching-Fahrern und Fahrerinnen.

Was war sonst noch so los im Fußball? Ach ja: Die goldene Himbeere des vergangenen Fußballwochenendes geht uneingeschränkt an die Ultras von Borussia Mönchengladbach. Wer Fluchttore nicht akzeptiert und stattdessen unter Getöse lieber selbst die Flucht ergreift stellt sich über den eigenen Verein. Das war mal so richtig peinlich. Kann uns egal sein, denn ich glaube, bei Rot-Weiss Essen wächst gerade einiges zusammen, was in Summe immer nur eines bedeutet: Nur der RWE!

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