Fußball ist die Kunst des Möglichen

Der Antrag ist bereits gestellt, kommende Saison steigen wir erst am zweiten Spieltag in den Ligabetrieb der 3. Liga ein. Somit bleibt uns die fast schon traditionell anmutende Niederlage zu Saisonbeginn erspart. Und damit uns keine Einnahmen entgehen, ist der Antrag so formuliert, die Saison 25/26 faktisch auswärts zu beginnen, um dadurch am zweiten Spieltag ein Heimspiel zu haben.

Ja gut, ist jetzt so lustig nicht, die Hoffnungen gegen euphorisierte Aufsteiger aus Aachen waren eigentlich eher zwischen einem und drei Punkte ausgelegt. Aber was sind schon die Wunschvorstellungen und Planspiele der Fans gegen die Realität auf dem grünen Rasen? Menschen, die viel Geld in Sportwetten investieren und dabei kaum Gewinn machen, dürften verständnisvoll nicken. Rot-Weiss Essen hat gegen Alemannia Aachen mit 1:2 verloren. Und auch wenn viele das anders sehen mögen: Es gibt schlimmeres als eine Niederlage im Sport, die gehören schließlich einfach dazu. Das reine Resultat ist also nicht das Problem. Die Art und Weise jedoch, wie die Niederlage vor allem in Halbzeit zwei auf dem Feld akzeptiert wurde, tat mir weh und beschäftigt mich im Nachgang immer noch. Vor allem auch die Frage: Wieso wird eine Seite auf dem Spielfeld immer so missachtet? Man möchte den dort „verhungernden“ Spielern am liebsten einen Campingstuhl bringen, damit sie sich wenigstens mal setzen können, wenn es wieder einmal zu lange dauert.

Wo war das Aufbäumen und der Wille, den Ball doch noch irgendwie in das gegnerische Tor zu bekommen? Zur Not eben mit der Brechstange. Klar, eventuell hätte der Ausgleich noch einmal Kräfte bei unserer Mannschaft freigesetzt, aber der Pfosten hatte sein Veto eingelegt. Es hilft jetzt nicht weiter, Spielern nachzutrauern, die nicht mehr bei uns sind. Da halte ich es mittlerweile mit Glockenhorst und seinem Pragmatismus: „Weg ist weg, der kommt auch nicht wieder“.  Es müssen immer die richten, die aktuell für unsere Farben auflaufen, und die bekommen auch maximale Unterstützung. Samstag jedoch wurde mit jeder gespielten Minute mehr klar, dass es diesmal gegen Ende des Spiels keine Aufholjagd mit Last-Minute-Treffer für uns geben wird. Dafür war das alles viel zu langsam, irgendwie gehemmt. Ein jeder Einzelne wollte es vor dieser Kulisse wohl besonders gut machen, aber das Gemeinsame, dieses „Wir gegen die anderen“, dass fehlte mir. Da wurde sich auf Aachener Seite deutlich mehr auf dem Feld, vor allem aber auch im Zusammenspiel mit dem eigenen Auswärtsblock gegenseitig gepusht.  Gerade so, als wenn es bei drei Punkten Freiprinten für alle geben würde.

Ich bin nun sehr sehr weit davon entfernt, von einem Spiel irgendwelche Rückschlüsse auf die komplette Saison ziehen zu können. Also wer das kann, oder glaubt das zu können: Respekt! Aber wovon ich fest überzeugt bin: Dieses Spiel wird sich so sicherlich kein zweites Mal wiederholen, dafür wird der Trainerstab das Geschehene schon jetzt entsprechend analysiert haben. Sicherlich mit der Folge, dass harte Trainingseinheiten auf unsere Spieler warten. Eine neu zusammengestellte Mannschaft muss sich finden, leider manchmal auch über den Saisonstart hinaus. Aber jetzt schon die Köpfe hängen lassen oder schlechte Hafenstraßen-Laune verbreiten? Im Leben nicht.

Ebenfalls in der Findungsphase sind wie immer alle Neuerungen zu Saisonbeginn, die mit unserem Stadionbesuch zusammenhängen. Auch hier braucht es zumeist eine gewisse Anzahl an Spielen, bis sich die neuen Gegebenheiten eingependelt haben. So beispielsweise bei den neu eingeführten Mehrwegbechern. Bargeldlos zahlen ist schon komfortabel und nicht selten gibt man auch mehr aus, als in Stadien mit reinem Bargeldverkehr. Wenn der Zwanni ausgegeben ist, wächst halt kein Bargeld in der Hosentasche nach. Isso, habe ich mehrfach getestet. Mit Karte oder mittlerweile zumeist Handy bezahlt lässt sich hingegen viel leichter ein Auge zudrücken und kann auch ungeplant noch eine weitere Rutsche Stauder geordert werden. Allerdings ergibt sich durch die neu eingeführten Mehrwegbecher jetzt ein neuer Zahlungskreislauf, der sich nicht bargeldlos gestalten lässt: Für die Rückgabe der (Boss-) Becher braucht es wieder mehr Münzgeld in den Kassen, um auch alle Retouren zu bedienen. Nicht das es am Ende wieder heißen könnte, dass es bewusst so gesteuert wird, nur um mehr Spenden für den Nachwuchs zu generieren. Klingt abenteuerlich, aber war tatsächlich schon Samstag der Fall. Auch hier müssen also Erfahrungswerte gesammelt werden, um realistisch abschätzen zu können, wieviel Pfandbecher durchschnittlich zurückgehen und wie viele 2 Euro Münzen es dann bestenfalls in der Kasse braucht. Mit dem Pfand ist es also wie mit der Mannschaft: Das spielt sich ein. Sollte übrigens der Boss-Becher eines Tages nachproduziert werden, könnte für die an sich stimmige Collage sicherlich ein neues Motiv gefunden werden, welches den Boss im MSV-Trikot ersetzt.

Zu den überaus vielen Dingen, die ich nicht kann, gehört auch die Tatsache, nicht pfeifen zu können. Aber selbst wenn ich es könnte, beispielsweise so lässig wie König Otto oder so kunstvoll wie einst Ilse Werner, würde ich meine Mannschaft definitiv nicht am ersten Spieltag einer neuen Saison mit Pfiffen begleiten. Meckern, motzen, entgeistert irgendwelche Verrenkungen veranstalten oder einfach nur paralysiert die Hände vor dem Gesicht halten. Fluchen oder laut stöhnen. All das Ausdrücke der Enttäuschung, die man mit sich ausmachen kann. Und man darf davon ausgehen, dass das auch tausendmal so passiert ist. Spätestens nach der fünfundsiebzigsten Minute. All das sind Emotionen, die einem selbst über das Spiel hinweg helfen. Die eigenen Spieler aber auszupfeifen, also wenn ich es denn könnte, dafür bedürfte es schon ganz viel mehr schlechte Spiele am Stück. Sehr viel mehr. Das hat für mich auch immer was mit Respekt zu tun. Dieses „Wir halten zusammen RWE…“ nach verlorenen Spielen halte ich daher für die wesentlich bessere Grundstimmung.

Bei Begrifflichkeiten wie Pfiffe und Pfeife ist man auch schnell bei der Spielleitung. Hier würde ich dem DFB dringend ans Herz legen, bei den regelmäßigen Fortbildungen der Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen auch das Regelwerk im griechisch-römischen Ringen mit in den Lehrplan aufzunehmen. Vielleicht hätte man mit diesem Wissen schon vergangenen Samstag die ein oder andere Aktion der Aachener entsprechend unterbinden können. Die hingen ja teilweise wie die Klammeraffen an unseren Spielern. Meine Bitte dazu an Manuel Wintzheimer: Nicht wieder versuchen nachzumachen. Die Ausflüge in den Ringersport aus Aachener Sicht betrachtet: Gegner entnervt, Ziel erreicht. Mit Fußball hat das bisweilen trotzdem nicht viel zu tun.

Sehr viel mit Fußball zu tun hatte indes die durchgehende Unterstützung der Aachener Fans. Einmal abgesehen von der üblichen Verbalerotik, gerne gesehenen Rivalen gegenüber, war es eine fortwährende Unterstützung, die in ihrer Vielfalt zu überraschen wusste. Von einfachen Schlachtrufen aus den Tiefen der herrlichen achtziger Jahre bis hin zu melodischen Mehrzeilern der Moderne war alles dabei. Ich finde es dann immer schade, wenn wir diesen lautstark und mit viel Verve vorgetragenen Gesangsdarbietungen ein eher stimmungshemmendes „Auf gehts Essen schieß ein Tor“ inklusive langatmigem Vorspiel entgegensetzen. Natürlich ist ein kompakter Auswärtsblock immer im Vorteil und ganz sicher könnten wir unserer Mannschaft noch viel besser helfen, wenn wir uns auf den anderen Tribünen nicht ständig auf die West verlassen würden, sondern viel öfter selbst den Mund aufmachen würden. Eine Kritik, bei der ich mich selbst als erster Adressat bezeichnen würde. So ehrlich sollte man schon sein. Bin da eher so emotional-spielbezogen unterwegs. Vielleicht sollten wir vor dem Anpfiff einfach nicht mehr als die lautesten Fans der Liga bezeichnet werden. Das wäre so eine Bitte an den sehr geschätzten „Ruthe“. Ich mag es einfach nicht, wenn man über uns lacht, so wie es Samstag der Fall war.

Wo wir sind, ist grundsätzlich immer erste Liga, aber wir sind nun mal nicht die lautesten Fans der aktuellen Liga. Weder zuhause noch auswärts. Wir sind verdammt viele, wir sind verdammt emotional. Und wir sind in richtig großer Zahl auswärts unterwegs. Und natürlich sind wir auch laut. Vor allem haben wir eine große Klappe. Aber wir sind einfach nicht die lautesten Fans der Liga. Was auch überhaupt nicht schlimm ist. Vielleicht stellt es sich eines Tages ganz anders dar, wenn die Ecken im Stadion an der Hafenstraße geschlossen sind. Aber bis dahin sollten wir einfach realistisch bleiben. Wir sind Rot-Weiss Essen und können, wenn wir wollen, die lautesten sein. Aber dafür müssen wir uns ab und an ein Stück weit aus unserer Lethargie befreien. Der Rest ist bisweilen verklärter Mythos.

Schon kommenden Sonntag werden wir auf jeden Fall lauter sein als die Fans von Hannover 96. Was sich allein schon dadurch erklären lässt, das wir Gast der dortigen Zweitvertretung im großen Niedersachsenstadion sind. Bedeutet also wenig aktive Heimfans, da die gerade dem eigenen Sieg in Münster beiwohnen und richtig gute Akustik für uns. Dort die ersten drei Punkte der Saison holen, und die Köpfe sind frei, der Betriebsmannschaft aus Fuschl am See so gut es geht Paroli zu bieten. Gegen jede andere Mannschaft wäre die Hafenstraße definitiv schon ausverkauft. Ein weiterer Beleg dafür, wie dieses Konstrukt dem Fußball geschadet hat und weiterhin schaden wird. In Leipzig einfach nur Chemie, Lok und Roter Stern. Ich kann nachvollziehen, wenn jemand nun seine eigene sportliche rote Linie gezogen hat und auf den Besuch des Spiels verzichtet. Aber kurz überlegt möchte ich lieber meine Mannschaft dabei unterstützen, einen Sensation gegen diesen Wahnsinn zu schaffen.

Also: Es war eine schmerzhafte Erfahrung, dieses erste Spiel der Saison gegen Alemannia Aachen. Aber wir sind immer noch ganz am Anfang. Und noch lange nicht am Ende.

4 Kommentare

  • Avatar von A.N.

    immerhin DU zeigst dich in der Form der Vorsaison, danke !

  • Avatar von rueweigel

    Man kann das Spiel vorgestern auch anders deuten: es wurde versucht, ruhig und überlegt Fußball zu spielen. Der Eindruck allerdings war ein anderer. Die Aachener schienen – wie der liebe Ralf immer zu sagen pflegt – galliger gewesen zu sein.

    Gerade zum Schluss wurden die beiden Chancen von Wintzheimer gut herausgespielt und auch während des gesamten Spiels haben wir einige gefällige Kombinationen gesehen.Beide Gegentore sind mit großzügiger Hilfe unserer Hintermannschaft gefallen. Insgesamt hatte wir sogar die meisten Gelegenheiten. Wir haben aber auch gesehen, dass die Mannschaft noch nicht eingespielt ist und einige Spieler unter ihrem Leistungsvermögen geblieben sind. Mal sehen wie wir uns in Hannover schlagen. Aber für Leipzig sehe ich ehrlich gesagt schwarz, wenn nicht mehr, mutiger und präziser nach vorn gespielt wird. Dazu ist die individuelle Qualität vorhanden.

    Und das sehe ich auch so: Nach einem solchen Spiel wäre es komisch gewesen, wenn die Mannschaft gefeiert worden wäre. Auspfeifen geht gar nicht.

    • Avatar von isdt

      In Hannover haben wir uns, bis auf die ersten zwanzig Minuten dann ja recht ordentlich „geschlagen“. Auch wenn es durchaus jederzeit noch hätte anders ausgehen können. Aber aus solchen Spielen holt man Selbstvertrauen (habe einen Fünfer ins hiesige Phrasenschwein geworfen).

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