Monatsarchive: September 2022

„Es ist besser, eine Brücke als eine Mauer zu bauen“ (Sir Elton John)

Das hat man sich wohl auch 1933 in Osnabrück gedacht, und das Stadion an der Bremer Brücke erbaut. Wohl eines der schöneren Ereignisse in diesem ziemlich bescheidenen Jahr. Die vergangenen drei Auswärtsspiele in der ersten und hoffentlich nicht vorerst letzten Saison in der 3. Liga brachten den reisefreudigen RWE-Fans Stadionerlebnisse, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Und sie wurden, einmal abseits der sportlichen Ergebnisse betrachtet, von Mal zu Mal schöner. Rein subjektiv betrachtet natürlich. Dem Monumentaltempel Westfalenstadion folgte das Oldschool-Erlebnis „HaWaWi“ in Bayreuth und mündete vergangenen Freitag im Osnabrücker Ortsteil Schinkel. Man hätte aber auch an der Kenilworth Road in Luton sein können, so tief die Tribünen der Brücke, und fast so nah die umgebenden Häuser.

Im Stadion selbst ist jede noch so kleine Ecke für Steh- oder Sitzplätze genutzt, alles was machbar war, wurde mittlerweile verbaut. Und auch „Omas Ecke“ nicht mehr die legendäre Stadionlücke, sondern mittlerweile fester Bestandteil der Gegengeraden, dem Pendant zu unserer „Rahn“. Von außen wurde viel in der Farbe Lila und all ihren Abstufungen gearbeitet, sowie den Vereinslegenden massig Platz zugesprochen. Es mangelt nicht an Gittern drumherum, die manchmal paradox willkürlich ineinander übergehen und die dröftausend Kabelschächte an den Decken der Umläufe dürften jedesmal die Herzen passionierter Hobbyelektriker höher schlagen lassen. Spätestens an den vergitterten Verpflegungsständen, von denen nicht selten der Lack abblättert, wirkt das bargeldlose Bezahlprinzip fast wie aus der Zukunft gekommen. Ein Hauch „Outlander“ in Osnabrück.

Ja und wenn dann auch noch das Flutlicht an, und die Sonne untergeht, beide gut aufgelegten Fanlager das ganze Szenario auch noch in etwas „Herbstnebel“ hüllen, dann weiß man, das man in einem der schönsten Stadien der Republik zu Gast ist. Auf jeden Fall das für mich zweitschönste der Liga. Ganz oben thront natürlich die Hafenstraße. Weil es zuhause immer am schönsten ist! Der Osnabrücker, die Osnabrückerin auf den Sitzplätzen im Spielverlauf übrigens etwas vornehmer unterwegs, als das bei uns der Fall ist. Es wird zwar genau so schnell gemeckert, aber es bedarf seine Zeit, bis man auch mal aus dem Sattel geht und sich an der allgemeinen Stimmung beteiligt. Mag ganz eventuell daran liegen, das definitiv und unwiderruflich viel weniger Bier konsumiert wird, als das an der Hafenstraße der Fall ist. Was sich möglicherweise dadurch erklären lässt, dass in Osnabrück Herforder Pils ausgeschenkt wird. Und man kommt natürlich auch schlecht wieder raus, wenn erstmal der Platz eingenommen wurde.

Eine ähnliche Liebeserklärung wie an die Brücke selbst kann es für das Spiel natürlich nicht geben. Dafür hätten wir mindestens einen Punkt mitnehmen müssen. Aber der leidenschaftliche Kampf auf dem Rasen passte zum Stadion und auch das Wetter reihte sich nahtlos in einen Brückenabend ein, der alle Attribute beinhaltete, warum man nicht aufhören sollte, den Fußball zu lieben. Dringend anfangen hingegen muss unser RWE nun mit ruhiger und konstanter Spielweise. Das war abermals viel zu hektisch und zerfahren auf dem Feld. Jetzt stehen wir hinten viel sicherer als zu Beginn der Saison, dafür wurde dem Spiel nach vorne der Stecker gezogen. Irgendwas ist halt immer, was uns momentan daran hindert, etwas entspannter in die sportliche Zukunft von Rot-Weiss Essen zu schauen. Und meistens ist es das Endergebnis. Nur der RWE!

„Am besten überzeugt man mit den Ohren – indem man anderen zuhört.“ (Dean Rusk)

Die vielen Gemälde auf den Körpern nicht weniger Fans von Rot-Weiss Essen brachten die vornehmlich für die Wagner-Festspiele angereisten, distinguierten Passanten aller Herren Länder in der schönen Bayreuther Innenstadt weit vor Spielbeginn in Verzückung. Als Teil der selbsternannten Fußball-Unterschicht war man sich der vorsichtig neugierigen Blicke der kulturellen Oberschicht sicher, sobald man bei einem Hellen und einer Meerrettich Bratwurst in der Fußgängerzone verweilte, um sich die Zeit bis zum Anpfiff zu vertreiben.

Vor diesem Anpfiff machten wir Fans von Rot-Weiss Essen das mit den Fähnchen, was so herrlich zu diesem Oldschool-Ambiente des Hans-Walter-Wild-Stadions in Bayreuth passte. Durch einen Pufferblock waren jedoch die Auswärtsfans in der Gästekurve und die auf der Sitzplatztribüne soweit voneinander entfernt, dass man gar nicht auf die Anfeuerungen der jeweils anderen RWE-Fans eingehen konnte. Man hörte sich einfach so gut wie gar nicht. RWE einmal mehr mit Akustikproblemen.

Der verbindende Faktor zwischen den Rot-Weissen somit Glockenhorst, platzierte er sich doch mittig auf der Tartanbahn. Möge er ewig für seinen RWE und uns die Glocke schwingen. Es zaubert immer ein Lächeln in viele Gesichter, wenn er keck mit seinem Glockomobil angebraust kommt. Und wenn er dann auch noch, wie zugetragen wurde, mit dem 9€ Ticket (Ruhe in Frieden) von Essen angereist ist, dann ist Glockenhorst einfach der Gewinner eines Spiels, das unter dem Strich keinen Gewinner hatte. Halleluja!

Der sportliche Turnaround in der neuen Liga, er konnte in Bayreuth noch nicht vollzogen werden. Kein Dreier in der Liga, dafür aber gleich vier Neue im Kader. Jörn Nowak dürfte sicherlich nun an „Telefonarm“ laborieren. Von Abwehr bis Sturm: Für jeden Mannschaftsteil war etwas dabei. Einer der neuen Spieler hat sogar einen Bruder. Erzgebirge Aue nun der nächste Anlauf, um unter Flutlicht an einem Freitagabend endlich den…..nä, das schreibe ich jetzt nicht….ersten Sieg zu erringen.

Und es hat tatsächlich geklappt: Eine starke Mannschaftsleistung, hintenraus wieder mit der (fast verständlichen) Angst, doch noch am Erfolg zu scheitern. Gepaart mit einer nimmermüden Unterstützung von den Rängen konnte das Punktekonto somit verdoppelt werden. Der erste Sieg im Profifußball seit ganz langer Zeit. Damals, als der Deutsche Meister noch nicht zwingend aus München kam. Eigentlich war also der Boden bereitet für eine erleichterte Atmosphäre zwischen Mannschaft und Fans. Doch da gab es ja die Vorfälle nach Bayreuth und die darauf resultierende Reaktion der Mannschaft nach Abpfiff des Spiels gegen Aue. Einhergehend mit einer Atmosphäre, für die es dann auch hier keine launigen Worte mehr geben kann. Die aber trotzdem beschäftigt und auch als komplett Unbeteiligter verarbeitet werden möchte.

Wir erinnern uns: Im Nachgang an das Bayreuth Spiel gab es auf einem Rastplatz einen Übergriff von RWE-Fans auf andere RWE-Fans. Das alleine für mich schon ein Anachronismus. Bekomme ich im Kopf nicht hin: Bestehende Probleme kann man doch auf dem kurzen Dienstweg kommunikativ beheben. Unfreiwillige Zeugen der Auseinandersetzung waren Spieler & Staff des RWE. Sichtlich geschockt. Unser aller Verein gab anschließend ein kurzes Statement zu dem Vorfall ab, verurteilte diesen zurecht und gab auch zu verstehen, sich verständlicherweise erstmal nicht weiter äußern zu wollen. Soweit so korrekt, Spekulationen und Gerüchte sind einer unklaren Sachlage selten dienlich gewesen.

Womit jetzt aber wohl keiner bei RWE gerechnet hatte, war einerseits die Reaktion der Mannschaft nach dem Sieg, die ihrerseits ein möglicherweise wohl nur (Mannschafts-) intern abgesprochenes Zeichen gegen die Aggressionen setzen wollten und einfach auch die Tatsache, dass ein Großteil der Fans auf den Tribünen wahrscheinlich gar nichts von der Problematik mitbekommen hat. Es kam also eher mittelprächtig an, dass die Mannschaft den Gang zur „West“ unterbrach um sich dann ebenfalls eher halbherzig applaudierend an die anderen Tribünen zu wenden. Man merkte allen das Unwohlsein dabei an. Und was mögen wohl die neuen Spieler gedacht haben, wo sie da gelandet sind? Etwas spöttisch könnte man jetzt anmerken, dass die Mannschaft so gemerkt hat, auch von der Gottschalk aus angefeuert zu werden. Die mittlerweile vielen Kinder und Familien in Trikots dort haben es dankbar zur Kenntnis genommen.

Es war also eine unwirkliche Atmosphäre, die sich da in alle Richtungen Luft verschafft hat. Und es wirft zudem noch eine große Frage abseits des aktuellen Kontexts auf: Was hat die Mannschaft nach einem Sieg, zudem noch einem so historischen, an Feierlichkeiten abzuleisten? Auch da scheint ja eine unglaublich große Erwartungshaltung bei vielen Fans zu existieren, die aber weder auf unserer Eintrittskarte, noch im Arbeitspapier der Spieler fest geregelt ist. Fakt ist: Ein guter Grundgedanke, nämlich die Vorkommnisse nochmals und vor allem als Mannschaft zu verurteilen, wurde maximal unglücklich ausgeführt. Das Dumme aktuell: Da man ja nie wissen kann, ob alle Tribünen über die Boxen erreicht werden, wäre eine kurze Ansage vor dem Spiel natürlich sinnvoller gewesen, aber hätte auch akustisch im Nirvana landen können. Es hätte aber die schöne neue LED-Anzeige dafür genutzt werden können, oder ein der „Kurzen Fuffzehn“ beigelegte Flyer. Am ehrlichsten wäre aber auch mal eine „Tapete“ von den Aggressoren selbst gewesen mit der Aufschrift „Das war Scheiße, es tut uns leid“. Sofern sie denn am Freitag überhaupt im Stadion waren.

So nahm also alles eine ganz falsche Richtung, die sicher keiner so gewollt hat und zigtausende Fans fühlten sich abgestraft für etwas, das sie weder begangen haben oder von dem sie bisweilen schlicht keine Kenntnis hatten. Hier konnte wenigstens Mundpropaganda für Abhilfe und Verständnis sorgen. Irgendwie stehen wir uns bei Rot-Weiss Essen letztendlich doch immer wieder selbst im Weg. Aber in jedem Streit steht auch eine Chance auf einen Neuanfang. Und hier heißt das Zauberwort wie so oft im Leben Kommunikation. Und wohl auch zielgerichtete Absprachen.

Viele Gesten und Gesänge hat unsere Mannschaft einfach nicht verdient, auch in der Erregung der Missachtung nicht. Sie hat zuvor für uns die Knochen hingehalten und alles für diesen so wichtigen Sieg gegeben. Und wir können zudem festhalten, dass sie Charakter hat. Auch das haben wir uns in Essen immer gewünscht: Eine Mannschaft mit Charakter. Nun deshalb, wie vereinzelt zu lesen war, aus dem Verein austreten oder die Dauerkarte abgeben zu wollen, ist vielleicht auch eher der ersten Erregung in diesem emotionalen Schmelztiegel nach Abpfiff geschuldet.

Freitag nun geht es zum VfL Osnabrück. Wieder Flutlicht, erneut ein gut gefülltes Stadion, sehr eng und laut zudem. Dazu ein uns noch sehr vertrautes Gesicht und ein neuer Trainer auf der VfL Bank. Dessen Einstand ist vergangenen Samstag nicht so gut verlaufen. Aber auch er hat einen Bruder. Und nach dem Spiel, da gehen wir einfach wieder gemeinsam einen Schritt aufeinander zu. Im besten Sinne und am besten mit einem Auswärtssieg im Rücken!