Schlagwort-Archiv: Anekdoten

Zürich. Fundstück FCZ Museum.

Die Klagen über undiszipliniertes Verhalten vieler Zuschauer bei Fußballspielen nehmen leider immer noch zu. Da ist es ganz interessant, was eine grosse Zeitung in Madrid ihren Lesern für Ratschläge gibt:

Sechs Fußballregeln für Zuschauer:

  1. Glaube nicht, das die Ehre deiner Stadt von den Stiefeln der Fußballspieler abhängt.

  2. Es ist ausserordentlich schwer, eine erregte Debatte mit dem Nachbarn zu führen und gleichseitig jede Abseitsstellung genau festzustellen.

  3. Ob der Ball im Spiel ist oder aus, das ist eine Frage der Perspektive. Ob du aber mit dem Linienrichter übereinstimmst oder nicht, ist eine Frage der Erziehung.

  4. Es gibt Leute, die nach einem Elfmeter wie nach einem glücklichen Los schreien. Die gleichen Leute sind höchst unwillig, wenn der Schiedsrichter ihren Gegnern gegenüber grosszügig erscheint.

  5. Rempeln ohne brutal zu sein, ist faires Spiel und in England die Regel. Bei uns vergisst man nur zu schnell, dass Fußball ein Spiel für Männer ist.

  6. Seid keine Narren! Vergesst nie, dass Fußball nur ein Spiel ist.

Diese Fußballregeln wurden aufgestellt und veröffentlicht im Jahre sage und schreibe 1933! Bei Punkt fünf musste ich unweigerlich an Thomas Tuchel denken. Punkt sechs ist höchst unterstreichenswert, und Punkt eins würde in manch aktueller Fanszene direkt gestrichen werden, wird die Stadt heutzutage doch viel zu oft über den eigenen Verein definiert. Außer in Gelsenkirchen. Da mag man den Verein namentlich nicht einmal mit der Stadt in Verbindung gebracht wissen.

Punkt zwei ist auch heute noch Realität. Wir Fans sind nicht multitasking fähig. Entweder der uneingeschränkte Blick nebst voller Konzentration auf das Spielfeld, oder eben der emotionale Austausch mit dem Nachbarn oder der Nachbarin auf der Tribüne: „Haste gesehen?“ Zu Punkt drei und vier: Natürlich sehe ich das parteiisch. Und der Schiri ist immer der Doofe. Wenn er gegen uns pfeift natürlich! Wenn nicht, war er ein guter Mann und vergessen wir, wo sein Auto steht.

Irgendwie ja schön zu lesen, dass der Fußball über die damaligen Medien (ohne schon ekelig modern zu sein) auch in früheren Tagen seine Fans zu Besonnenheit rufen wollte oder gar musste. Würden im heutigen Fußball auf Funktionärs-, Fan- und so manch anderer Ebene nur diese sechs Punkte in der Kritik stehen, wir alle hätten ein glückliches Fußballfan Dasein.

Veröffentlicht wurden diese Fußballregeln im Schweizer Fußball, Athletik & Hockey Kalender für das Jahr 1933, welcher im FCZ Museum ausgestellt ist. In welcher Madrider Zeitung nun das Original erschienen ist, worauf sich der Kalender beruft, war nicht mehr herauszufinden.

Ballhalter gegen Zuhälter.

Der Anrufbeantworter blinkte. Diesen abgehört, berichtete eine sonore, sympathische Stimme davon, den Artikel gelesen zu haben. Und wer auch immer nun diese Nachricht abhören würde:  Er (der Anrufer) könne noch einige kleine Geschichten zu dem Buch beitragen. Man ahnt, dass eine solche fast geheimnisvoll wirkende Nachricht für den Moment die in etwa zeitgleich stattfindende Pressekonferenz an der Hafenstraße in den Hintergrund rücken ließ. Es galt einen Anruf zu tätigen.

Mein Informant kam gleich zur Sache und wir gerieten unvermittelt in den Strudel des Essener Rotlichtmilieu  Mitte der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts: Protagonist der Anekdote ein gewisser Harry de Vlugt, zwischen 1972 und 1975 an der Hafenstraße unter Vertrag. Harry de Vlugt, uns von Karsten Kiepert näher vorgestellt, hatte seinerzeit ja nicht nur Schlaghosen an, sondern auch einen besonderen Schlag bei den Frauen. Ein Weiberheld eben, so der Zeitgenosse am anderen Ende der Leitung amüsiert und fast bewundernd. Was so ein richtiger Lebemann jener Tage war, der hatte Kontakte. Viele Kontakte. So auch, wie es sich für einen rot-weißen gehört, in das Rotlicht- statt königsblaue Milieu. Und die dort aktiven Zuhälter waren nicht nur fußballbegeistert, sondern fast davon besessen; wollten sich endlich auf dem grünen Rasen messen. Eben gegen jene Mannschaft des RWE. Der allseits bekannte Harry  de Vlugt wurde also dazu auserkoren, seiner Mannschaft diesen Wunsch nahezubringen. Die ausgelobte Summe für das Spiel „Rot-Weiss Essen gegen Zuhälter“ sollte 10.000 DM für die Mannschaftskasse betragen. Was somit natürlich auch Willi Lippens vollends überzeugte, so der Zeitgenosse und ehemalige Aktive.

Natürlich handelte es sich in gewisser Weise ja auch um Schweigegeld, denn die Verantwortlichen jene Tage wussten nicht von dieser Aufbesserung der Mannschaftskasse, geschweige denn von dem halbseidenen Sparringspartner. Und so kam es, dass eines Tages mehr auffällige Fahrzeuge als sonst an der Hafenstraße parkten. Klunker und Nerz waren sonst nicht wirklich im Essener Norden zuhause. Dem absurden Spiel des Jahrhunderts stand nun nichts mehr im Wege. Außer dem Zufall in Form von Paul Nikelski! Paul Nikelski, Geschäftsführer; Herz und Seele des Vereins, radelte am Trainingsplatz vorbei und sah seine Spieler scheinbar in Vorbereitung auf ein Spiel. „Das könnt Ihr nicht machen“, so seine Reaktion darauf, als er zerknirscht in die Faktenlage eingeweiht wurde. Und da Nikelskis Wort seinerzeit mehr Gewicht hatte als Tim Wiese aktuell Muskelmasse, gab es kein Spiel Ballhalter gegen Zuhälter. Die 10.000 DM jedoch, die durften ohne Gegenleistung an der Hafenstraße verbleiben.

Was für eine Anekdote. Eigentlich kaum vorstellbar. Aber man kann sich das Szenario durchaus irgendwo um 1973 an der Hafenstraße und bei Rot-Weiss Essen vorstellen. Wenn nicht dort, wo auch sonst?

Einen weiteren bleibenden Eindruck hinterließ das Ablösespiel von Lambert Rondhues, welches am 1.August 1957 zwischen dem RWE und Eintracht Nordhorn im Georg Melches Stadion ausgetragen wurde. Auch hier wusste der Zeitgenosse von zu berichten. Unter anderem davon, dass der „Boss“ an jenem Tag kaum zu halten war. Auch wenn sich drei bis vier Nordhorner ihm in den Weg warfen, er war zu wuchtig an diesem Abend. Er hatte ja auch etwas gut zu machen. Der RWE gewann bekanntermaßen mit 6:1 und wie damals üblich, wurde nach dem Spiel gemeinsam gegessen. Diesmal in der uns allen so bekannten Haupttribüne des Georg Melches Stadions. Den älteren Essenern ist nun vor allem der Eintracht Spieler Bernd Busch in Erinnerung geblieben, denn es gab unter anderem Kartoffeln. Was so ein richtiger Grafschafter ist, der liebt Kartoffeln. Und so war vor Bernd Busch keine Kartoffel an diesem Abend sicher. Er bekam sie alle! Sein Einsatz an der Gabel auch heute noch legendär.

Da mein „Informant“ und Zeitgenosse noch viel mehr solcher Geschichten zu erzählen hat und einen kennt, der seinerseits zeitgenössisches Bild- und Zeitungsmaterial hat, werde ich ihn besuchen. Es wäre eine Sünde, wenn nicht. Apropos Sünde: Hat jemand zufällig auch Informationen zu dem Spiel gegen die Vertreter des „Sündenpfuhls“, welches nicht stattgefunden hat?

Bestes Torwart von Welt!

So bezeichnete sich Petar Radenkovic während seiner aktiven Laufbahn des öfteren gerne mal selbst. Soweit die Erklärung zur Überschrift. Ein schöner Zufall ermöglicht uns spontan einen Sprung zurück in das Jahr 1967: Es war der 13. Mai in jenem Jahr, als die Münchner Löwen zu Gast im heimischen Georg-Melches-Stadion waren. Der Reklamierarm war noch nicht erfunden und Sascha Mölders lag noch als Quark im Schaufenster anstatt die Wampe von Giesing zu kultivieren.

Das Spiel ist kurz erzählt, hier sollen vor allem die Bilder sprechen: 25.000 Zuschauer waren Zeuge der Begegnung Tabellensiebzehnter gegen den Tabellendritten. Angepfiffen wurde recht ungewöhnlich um 16.00 Uhr. Und das an einem Samstag. Wie konnte man damals nur so etwas durchgehen lassen… Fußball an einem Samstag! Der Aufsteiger von der Hafenstraße ging mit 2:0 durch die Herren Hasebrink und Dietrich in Führung. Führte so bis zur 77. Minute  fröhlich vor sich hin, als die Löwen via Doppelschlag egalisieren konnten: Steiner und Brunnenmeier die Torschützen für Münchens einzige Liebe. 

Was aber hat es nun mit dem schönen Zufall auf sich? Nun, hier ist die Rede von einem Essener Fußballfreund der, eigentlich dem ETB zugetan, gerne auch an der Hafenstraße und anderen Stadien des Ruhrgebietes zu Gast war, um seiner Leidenschaft Fußball zu frönen. Und dann war da noch die Ehefrau des Fußballfreundes, die ihrerseits Fußball so gar nicht viel abgewinnen konnte. Wenn sie denn aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit in ein Stadion seiner Wahl „entführt“ wurde, so konnte sie sich dort wenigstens ihrer Leidenschaft Fotografie widmen. Und so kam es, dass beide scheinbar zufrieden waren und wir uns unverhofft an diesen schönen Fotos gar nicht sattsehen können. Der Dank und die Quelle für diese wundervollen und warmherzigen Zeitdokumente geht an Pellmann.

Dem Karl seine Bandage.

Interne Fortbildung. Trockenes Thema. Zeit also, sich mit Kollege und Nebenmann, nachstehend Karl genannt, über Fußball zu unterhalten. Karl weiss, das ich RWE Fan bin, und ich weiss, dass Karl in seiner Jugend und darüber hinaus ein ziemlich guter Spieler bei Vorwärts Gronau war. Mit Schnäuzer und Kapitänsbinde. Da die Fortbildung nicht wirklich auf einen spannenden Höhepunkt zusteuerte, kam Karl mit weiteren Fakten über den Tisch: Zum 75jährigen Vereinsjubiläum seines Vereins kam die Uwe Seeler Prominentenelf am 29. Juni 1985 zu einem Freundschaftsspiel in den Stadtpark Gronau.

Das ja nun eine tolle Geschichte und Erinnerung für Karl, aber noch nicht in Rot und Weiss getüncht. Die Fortbildung plätscherte also weiter dahin; die versprochenen Brötchen noch nicht geliefert, da kam Karl mit jener Informationen über den Tisch, die mich nun gänzlich von den Fakten auf der Leinwand abhielten: „Übrigens hat Willi Lippens noch eine Kniebandage von mir“. Volltreffer! Das vorliegende Fortbildungspapier wurde umgedreht, der Kulli gezückt und die wesentlich wichtigeren Fakten notiert: Es war also Halbzeit, damals im Spiel des SV Vorwärts Gronau gegen die Prominentenelf von „Uns Uwe“ Seeler. Und was war? Willi Lippens hatte Knieprobleme! Aber leider keine Bandage mit im Gepäck. Überhaupt hatte keiner der Prominenten eine Kniebandage mit. Auch Helmut Rahn nicht. Ja, der Helmut Rahn. Unser aller Boss. Auch er spielte dieses Spiel. Gänsepelle und Hühnerhaut.

Aber zurück zu der Knieproblematik größeren Ausmaßes: Willi Lippens war schon immer ein gewiefter Zeitgenosse und wusste sich stets zu helfen. Marschierte also schnurstracks in die Kabine der Gronauer und fragte dort nach der heilbringenden Bandage. Man ahnt, was kommt: Karl, schon seinerzeit dem diakonischen Gedanken verfallen, opferte seine Kniebandage für Willi Lippens, damit dieser weiter durch den Sportplatz Stadtpark Gronau watscheln und für den Boss auflegen konnte. Oder für Uwe Seeler. Oder die beiden ihm. Man weiss es so genau nicht mehr. Was Karl aber auch noch dreissig Jahre danach weiss, kommt einem Skandal gleich: Willi Lippens hat die Kniebandage nach dem Spiel nicht zurückgegeben! Nachdem Karl fast ein Vierteljahrhundert versucht hat, seine Kniebandage wiederzuerlangen, ist er heute drüber hinweg. Leider aber auch kein RWE Fan geworden. Was sicherlich nicht an dieser Anekdote liegen mag.

Unser Boss weilte übrigens durchaus noch öfter in Gronau, was definitiv mit seinem Engagement als Spieler bei Twente Enschede zu tun hatte. Solch Geschichten vergisst Du nie. Und die Brötchen, die kamen auch noch. Danke Karl!