Quarterback.
Das Spiel war gerade einmal drei Minuten jung, da dröhnte es lautstark aus einer der dreihundert Rot-Weissen Fanseelen heraus: „Das Schwert ham wir immer noch“. Nicht das die Spieler dort unten sich großartig für diesen Sachverhalt interessiert hätten, aber es ist einfach faszinierend, wie die Legende aus 2002 immer weiter Bestandteil unserer Fanfolklore ist und wohl auch sein wird. Das Richtschwert ist weg, dabei bleibt es. Und Punkte für die Preußen gab es im ersten Aufeinandertreffen nach zehn Jahren auch nicht als Wiedergutmachung . Verabschiedet wurden die eigenen Spieler in Münster übrigens, als ob es gegen Bielefeld oder Osnabrück gehen würde. Rot-Weiss Essen einmal mehr Everybody’s Darling Rivale.
Rückblende:
Wir schreiben den 24.Oktober 2009. Das Georg-Melches Stadion liegt in seinen letzten Zügen. Aus den Dächern bröckelt der Putz und an der Nord knabbert schon der Bagger. Preußen Münster ist zu Gast und 10.022 Fans beider Lager wollen in der alten Kabachel GMS dabei sein. Die zwei Gruppen der aktiven Szene bei den Preußen zu jener Zeit innig in „Freundschaft“ vereint. Etwa so wie Trump & Biden, Daum & Hoeneß oder auch Celtic & Rangers. Anreiz genug für die Essener Fanszene, ihrerseits mittels Spruchband dazu aufzufordern, die Dinge doch einmal „sportlich“ zu klären. Der Spielverlauf auf unserer Seite, ein gewisser Sascha Mölders zeichnete für das 1:0 verantwortlich.
Man ahnt nicht nur, sondern weiß natürlich, dass das Spiel im Gegensatz zu Samstag nicht erfolgreich über die Bühne gebracht werden konnte. In der Nachspielzeit kamen die Preußen zu ihrem Ausgleich, im Gästeblock purzelte alles durcheinander. Man munkelt sogar, auch eigentlich unsympathische Preußen stolperten einander in die Arme. Nach dem Spiel gab es nicht nur Nettigkeiten für die Mannschaft am Zaun, sondern auch Verspätungen in der Abreise, da erst die Abreise der Fans aus Münster sichergestellt werden musste. Die Atmosphäre geladen.
Soweit der kleine Ausflug in die letzte gemeinsame Saison mit den Adlerträgern. Die hatten nun ihren Ab- und wir immer noch keinen Aufstieg, was erneut für gemeinsame Zeit in ein und derselben Liga sorgt. In einer Zeit vor oder nach viraler Belastung hätte das Spiel sicher locker für eine fünfstellige Kulisse gesorgt. Aber, da wir nicht bei „wünsch Dir was“, sondern bei „So isses“ sind, sollten wir darüber aktuell nicht nachdenken.
Ich hätte es jedoch schön gefunden, wenn ein funktionierendes Hygienekonzept weiter angewandt werden darf. Die Nachverfolgung ist gewährleistet, der prinzipiell notorisch unbeugsame RWE Fan hat sich gegen Düsseldorf absolut vorbildlich an alle Auflagen gehalten. Letztendlich wohl eine wesentlich geschütztere „Baustelle“ als stellvertretend zum Beispiel der Planwagen, der mir auf dem Rückweg in Bottrop an einer Ampel begegnete: Das Zugpferd hatte noch den größten Abstand. Auf dem Wagen feiernde Menschen im direkten Gegenüber. Vielleicht aktuell nicht die beste Idee. Meine Fresse, als Verein legst Du Dich rund um die Uhr krumm, um die Sicherheit der Fans zu gewährleisten, hoffst und bekommst deren Mithilfe, aber darauf hat man natürlich keinen Einfluss. Mögen sich die Zahlen bis Oberhausen stabilisieren.
Somit also die berühmten dreihundert im Stadion. Nicht die aus Sparte, sondern deren aus Essen. Freudlos das Ambiente vor dem Stadion, aber auch hier absolute Disziplin und Einhaltung der wirklich wichtigen Vorgaben wie NMS und Abstand. Unser Verein hat von Spiel zu Spiel dazugelernt und löst eine Herkulesaufgabe nach der anderen.
Vermutlich hat Joe Cocker nichts von der Existenz von Rot-Weiss Essen gewusst. Und somit ist wohl gesichert, dass seine Darbietung von „You Are So Beautiful“ nicht der aktuellen Mannschaft des RWE gewidmet ist. Allerdings stellte sich bei mir direkt eine Verbindung zu dem Spiel gegen die Preußen aus Münster her, als das Lied auf dem Heimweg im Autoradio dudelte. Der bisweilen gequälte Ausdruck in Cockers Stimme hatte jetzt aber nichts mit der Chancenverwertung der Rot-Weissen zu tun, dass ist schlicht sein Markenzeichen gewesen. Auch wenn es das knappste aller knappen Erfolgsergebnisse vielleicht nicht so aussagen mag: Vergangenen Samstag war die Mannschaft aber mal so richtig beautiful zu uns. Und da auch die Preußen aus Münster ihren Teil zu einem schönen Spiel beitragen wollten, bekamen die wenigen im Stadion und die vielen vor den Monitoren ein ziemlich hochwertiges Fußballspiel geboten.
Das war absolut professioneller Fußball mit allem was das Herz begehrt. Und es war eine Heimmannschaft, die in punkto Ballbesitz und Ballbehandlung Maßstäbe zu setzen wusste. Man weiß gar nicht, welchen Spieler man herausheben könnte, so gut waren die Spieler von Christian Neidhart an diesem Samstag insgesamt auf dem Platz unterwegs. Alexander Hahn und Daniel Heber vereitelten was zu vereiteln war. Marco Kehl-Gomez auf dem Platz einmal mehr unglaublich präsent, ließ dem Gegner keine Ruhe, um am Ball zur Entfaltung zu kommen. Löste immer wieder enge Spielsituationen auf und gab zur Not auf die Socken. Cedric Harenbrock, dessen Karriere schon in jungen Jahren vor dem Aus stand: Der Verein hat immer an ihn und sein Talent geglaubt, ihn weiter an sich gebunden und in Ruhe wieder „aufgebaut“. Samstag dürften allen Beteiligten daran vor Freude die Augen geleuchtet haben, als es Cedric in die Anfangsformation geschafft hatte und diese mit bravouröser Leistung zu rechtfertigen wusste.
Und dann erst Dennis Grote: Man stelle sich ihn im Football typischen Spieleroutfit vor, und wir haben den perfekten Quaterback vor uns. Wie er den Angriff zur Führung einzuleiten wusste, da würden Joe Montana oder Tom Brady anerkennend den Helm ziehen und durch die Beißschiene pfeifen. Schon faszinierend zu beobachten, wie Spielertypen unter einer Trainerphilosophie schon mal in ein Abseits gestellt werden, oder auch aufblühen. Ebenfalls neu in der Anfangself Isaiah Young. Welch ein An- und Auftritt. Der „Youngster“ wuselte so ziemlich überall herum und brachte immer wieder ein Durcheinander über die Preußen Abwehr. Vielleicht war der Wunsch, sein erstes Tor für den RWE zu erzielen zu ausgeprägt, so dass er bisweilen zu ungestüm sein Ziel erreichen wollte. Und auch alle hier Nichtgenannten reihten sich nahtlos ein in ein Ensemble, welches das relativ ruhige Auditorium zu begeistern wusste. Man kann diesbezüglich den dreihundert im Stadion keinen Vorwurf machen, ist gesundheitlich vielleicht sogar von Vorteil. Dafür wurden sich die Hände wund geklatscht, denn es gab oft Grund dazu. Auch von Kevin selbst.
Feine Ballstafetten oder die Grätsche von hinten in Perfektion umgesetzt ließen das Fußballerherz jauchzen. In der langen Nachspielzeit kam noch mal kurz der 24.Oktober 2009 in Erinnerung, als die Preußen seinerzeit ausgleichen konnten und der Auswärtsblock kollektiv auszurasten wusste. Kollektiv ausrasten geht grad nicht, aber kollektive Erleichterung darüber, dass Daniel Davari im Schlussakt einen erneuten Ausgleich nicht zulassen konnte, sehr wohl. Die Null blieb stehen. Und drei Punkte auch.
Ausblick:
Nun warten die Jungfohlen und der strauchelnde Nachbar aus Oberhausen. Atmosphärisch wohl leider auch relativ unbedeutend die beiden beide Spiele, und doch so wichtig. Spätestens seit Samstag wissen wir, dass unsere Mannschaft bereit für den heißen Ligatanz ist. Nur der RWE!