Monatsarchive: Juni 2016

Die Bielefeld Verschwörung

Es soll ja Zeitgenossen geben, die halten diese Verschwörung für längst abgehakt. Ich persönlich finde es durchaus noch witzig. Witziger allemal als das Geschehen rund um die diesjährige Auslosung der ersten DFB Pokalhauptrunde 2016/17. „Beckmanns Sportschule“ das Format also, in welchem die Auslosung stattfand. Nach 23:30 Uhr wohlgemerkt. Der Deutschen zweitwichtigster Wettbewerb wird also erst kurz vor Geisterstunde gelost, anstatt die Republik schon zu früherer Stunde darüber aufzuklären, wer denn nun auf wen trifft.

Irgendetwas, als Geist von was auch immer verkleidetes Etwas, stolperte dennoch der Kamera entgegen. Ganz wichtig allerdings die Information, dass diese Sendung definitiv von unseren Rundfunkgebühren finanziert wird. Habe ich da nicht auch einen Hauch von Mitspracherecht? Oder kann ich wenigstens etwas von dem bekommen, was die Verantwortlichen für dieses Format genommen haben, um das so knallhart durchzuziehen? Ich will das auch! Denn dann ist es mir ziemlich egal, was ich von mir gebe. Wieviel hat eigentlich Tim Wiese bekommen, um sich nun vollends seiner Würde zu entledigen und warum tut sich ein Uwe Seeler das an? Hat man Euch beiden nicht gewarnt?

Ist ja auch relativ Latte, denn es ging um die Kugel mit Inhalt RWE und der weitaus wichtigeren, die direkt im Anschluss aus dem anderen „Topf“ gezogen wird. Leider ging es nicht so schnell wie erhofft, und so galt es, die psychedelische Gitarre im Hintergrund und Beckmannsche Phrasen im Vordergrund weiterhin zu ertragen. Eine Sendung, wie geschaffen für RTL2.  Walter Baresel vermag sich im Grabe umzudrehen, wie „seine“ Auslosung einmal mehr der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Eine Auslosung taugt einfach nicht zur Show. Hier wollen wir keinen hüpfenden Bestatter, sondern nur Begegnungen sehen. Hoffen auf langersehnte Duelle, Derbys und Emotionen. Aber doch nicht auf solch Chaos. Muss es immer schlimmer? Höher und weiter? Reicht es nicht, einfach und zu angemessener Zeit Begegnungen zu ziehen, die im Anschluss wochenlang für Vorfreude oder auch Enttäuschung sorgen? Und warten immer alle auf die Bayern? Im Leben nicht!

Die Auslosung im letzten Jahr war schon schlimm. Dieses Jahr war kaum zu ertragen.Direkt als die Kugel RWE gezogen und der Gegner ermittelt wurde, war Schluß. Aus die Maus und der Fernseher direkt mit. Es ist der DSC Arminia Bielefeld geworden und ich bin sehr zufrieden darüber. Bielefeld lebt und kommt nach Essen. Volle Hütte!

Multidirektional

Neue Modewörter der Fußballgurus eigenen sich ja immer hervorragend als Überschrift. Zumal, wenn sie im Falle von Rot-Weiss Essen dann auch noch Sinn ergeben. Wir haben gelernt, „multidirektional“ bedeutet mehr als nur geradeaus laufen zu können. Somit ist per Definition manch stark alkoholisierter Fan vielleicht nicht mehr Herr seiner Sinne, definitiv aber multidirektional. Geht es doch in einem solchen Zustand nur selten geradeaus, sondern in alle Richtungen.

Essen nun, stets etwas besonderes, hebt dieses Multidirektional direkt auf die Metaebene und kreiert für die kommende Saison Begrifflichkeiten wie den „Direktor Sport Entwicklung“ und seinen großen Bruder „Direktor Sport Senioren“. Sozusagen die diametral abkippenden Doppelsechser auf administrativer Ebene. Im Klartext bedeutet das natürlich nichts anderes, als dass Andreas Winkler sich wieder mehr auf das Nachwuchsleistungszentrum nebst ihren erfolgreichen Mannschaften konzentrieren wird (und muß), und Jürgen Lucas  von nun an für die Kaderplanung und den Kader als solches auch im Alltag verantwortlich zeichnet. Das er dieses nebenberuflich machen wird (darf und kann), zeugt von großem Vertrauen in die Person Jürgen Lucas, dessen großes Herz für den Verein mehr als bekannt ist. Eine äußerst salomonische Lösung, die im Sinne des Vereins zudem die beste und fairste sein dürfte. Dafür nehmen wir die neuen Titel gerne an und fügen diese der Vereinsgeschichte hinzu.

Was den Kader für die kommende Saison angeht, so gestaltet sich die Zusammensetzung im Vergleich zur vergangenen Saison und der Winterpause fast angenehm ruhig. Es galt und gilt sich zunächst einmal zu trennen. Manchmal weiß man als Fan nicht einmal, von wem man sich gerade getrennt hat, aber derjenige soll wohl dem Kader der vergangenen Saison angehört haben. Auf jeden Fall wünsche ich allen Abgängen alles Gute für die Zukunft. Es war halt zur falschen Zeit an der falschen Stelle. Manchmal ist das so. Die Vertragsverlängerungen von Niclas Heimann und Patrick Huckle brachten noch ein wenig Emotionen, und Neuverpflichtungen gibt es natürlich auch. Diese zu beurteilen steht mir aber vor einer Saison nicht zu, daher einfach mal: Herzlich Willkommen.

Und dann gab es da noch eine Einladung. Schlicht gestaltet. Oben drauf stand tatsächlich nur „Einladung“. Darunter ein mir bekanntes Foto als Grafik umgestaltet und ein Wortspiel. „Zusammen. Für Essen“. Nun haben wir uns zwar alle in der vergangenen Saison an dem gemeinsamen Essen mehr als nur eine Magenverstimmung eingefangen, aber nach der Saison ist vor der Saison und eine neue strategische Ausrichtung klingt doch immer spannend. Ähnlich der Aufstellung vor dem Spiel.

In Anbetracht der Großwetterlage war man sehr mutig an der Hafenstraße und hat diese Veranstaltung für draußen konzipiert. Geschickt zudem der Zugang zu den Plätzen gewählt, ging es doch durch den Spielerbereich sanft illuminiert an Kabine und „Penny ihm sein Knie“ vorbei auf den Platz, wo bereits Fangesänge ertönten. Aus der Konserve versteht sich. Aber nicht ohne ein klein wenig Gänsehaut! Ich verstehe im übrigen nicht, warum die Mannschaft auch zuhause so oft einschlechtes Bild abgegeben hat: Da hängt ein bandagiertes Knie eines Meisterspielers an der Wand; darunter steht „niemals aufgeben“! Da kann ein Trainer sich den Mund noch so fusselig reden, dass alleine ist doch Botschaft genug. Dieses Knie gehört vor jedem Spiel berührt. Die Spieler von Rot-Weiss Essen sollten die meisterliche und längst vergangene Zeit nicht einfach als gegeben und vorbei hinnehmen, sondern als Ansporn und Kraft für eigene sportliche Erfolge mit ihrem Verein und Arbeitgeber nutzen.

An einer kleinen Bühne vorbei Richtung Platz noch mal kurz auf der Trainerbank Platz genommen. Meine Fresse: Allein die Vorstellung, in solch Stadion vor solch Kulisse für den RWE auflaufen zu dürfen… Und das in Liga Vier. Aber gut, in der heutigen Zeit sind das leider keine Werte mehr, die für junge Spieler und besonders deren Berater zählen. Der Sozialromantiker in mir versteht halt die moderne Fußballwelt nicht mehr wirklich. Ich scheitere ja schon an neonfarbenen Fußballschuhen.  Mit derlei Gedanken beschäftigt habe ich dann endlich die wahre Botschaft dieses Abends erkannt, denn es hing als Banner deutlich sichtbar auf eben jener kleinen Bühne: „Essen will den Aufstieg“. Und das Zusammen hoch 3! Eigentlich ja nichts neues,  wollen wir den Aufstieg doch mindestens schon seit 2008. Aber dies in der Form so klar kommuniziert hat sich bis dahin noch keiner getraut. Große Augen. Respekt. Und das nach der vergangenen Saison!

Das Wort übernahm Christian Keller, der somit durch den Abend führte, dieses zudem in angenehmer Art und Weise tat. Und so langsam dämmerte es auch dem letzten: Hier ist vielleicht der RWE zuhause, aber heute Abend nicht mehr allein federführend. Essen als Stadt ist am Zuge und macht uns gerade klar, dass in dieser großen und spannenden Stadt Viertklassigkeit im Fußball einfach nicht mehr sein darf. Der Verein selbst ließ an diesem Abend weitestgehend andere sprechen. Nicht für sich, sondern für die Stadt. Der RWE blickt nicht nur erschrocken auf die vergangene Saison zurück, sondern auch mit Demut. Um aber mit Demandt trotzdem auch wieder den Blick nach vorne zu richten. Was bleibt Dir sonst als Verein auch übrig? Den Verein auflösen, um den letzten Motzki zufriedenzustellen? Dann würde der doch auch wieder motzen. Hätte er doch dann nichts mehr, worüber er motzen könnte. Es wurde also endlich kommuniziert, was wir alle so sehr wollen: Aufsteigen! Nicht sofort, aber wenn möglich doch innerhalb der nächsten drei Jahre. Klarer Dienstauftrag an alle.

Somit war auch klar: Dieser Abend dient der Akquise. Für alles andere ist dann die Jahreshauptversammlung da. Er diente aber auch dazu, einen ganz anderen Oberbürgermeister kennenzulernen. Einen, der quasi den Startschuss geben wollte, um die Kräfte für Essen zu bündeln. Thomas Kufen tat dies recht schwung- und humorvoll. Während sein Vorgänger noch stocksteif daherkam und zum Lachen sicher in den Keller ging, flachste Thomas Kufen sich durch seine Sprechzeit. Sehr zum Leidwesen seines Dortmunder Kollegen, wie wir heute erfahren mussten. Schade zum einen, dass witzige Worte direkt den Weg in das Dortmunder Rathaus finden und besonders schade zum anderen, dass deswegen dort auch noch ein Fässchen aufgemacht werden muss. Für derlei Dinge wurde der FC Schalke erfunden. Der Oberbürgermeister erklärte sich also, gemeinsam einen Weg mitzugestalten, der Fußball Essen wieder in den Profifußball bringen soll.

Dies taten dann in der Folgezeit auch weitere Gäste aus Politik, Wirtschaft und Sport. Und auch Legenden wie natürlich Willi Lippens (erstaunlich reduziert) und Frank Kurth (sehr emotional). Frank Kurth machte am Beispiel Pokalfinale 1994 noch einmal deutlich, warum gerade RWE und warum Zusammenhalt in einer Mannschaft Berge versetzen kann. Um eines aber ganz klar zu betonen: es war keine Kirmesveranstaltung mit Glamourfaktor. Den Machern dieser Kampagne (Allesamt eingefleischte RWE Fans und auf den Tribünen zu Hause) ging der Arsch auf Grundeis, je tiefer unsere Mannschaft vergangene Saison gen Abstieg zu strudeln drohte. Dieser Abend war kein Lobgesang auf den RWE und die Platzierung eines weiteren Saisonmottos: Dieser Abend war die Erkenntnis, wie verdammt knapp wir alle dem Abstieg entronnen sind und das es nur aufwärts geht, wenn jetzt alle miteinander anpacken.

Leider aber können wir alle die wir da sind, auch zukünftig Geld, Fahnen, Stimme, Leidenschaft und noch so viel mehr in die Waagschale RWE werfen….am Ende kann und muss es einzig die Mannschaft auf dem Feld richten. Sechs Tage Arbeit können am siebten Tag durch neunzig Minuten Fußball zunichte gemacht oder belohnt werden. Sicher aber hilft es einer Mannschaft, wenn sie weiß, dass eine ganze Stadt hinter ihr steht. Und genau dafür steht zusammen hoch 3. Wäre schön, wenn es funktioniert.

Zu guter Letzt muss ich aber direkt den OB der Stadt Essen enttäuschen, denn seine Worte waren nicht die schönsten des Abends: Für mich waren es die Worte aus der kurzen Begegnung mit Günter Barchfeld und die Zeit vor der Veranstaltung in Melches Hütte. Konzepte sind das eine und absolut wichtig. Aber die Seele und Herzen der Menschen, die diesen Verein so sehr lieben und ausmachen, stehen immer noch über allem und sind unbezahlbar. Egal in welcher Liga.

Es war ein guter Abend. Und wir sollten mit der vergangenen Saison abschließen. Auch wenn es wirklich schwer fällt. Nur der RWE!

 

Ballhalter gegen Zuhälter.

Der Anrufbeantworter blinkte. Diesen abgehört, berichtete eine sonore, sympathische Stimme davon, den Artikel gelesen zu haben. Und wer auch immer nun diese Nachricht abhören würde:  Er (der Anrufer) könne noch einige kleine Geschichten zu dem Buch beitragen. Man ahnt, dass eine solche fast geheimnisvoll wirkende Nachricht für den Moment die in etwa zeitgleich stattfindende Pressekonferenz an der Hafenstraße in den Hintergrund rücken ließ. Es galt einen Anruf zu tätigen.

Mein Informant kam gleich zur Sache und wir gerieten unvermittelt in den Strudel des Essener Rotlichtmilieu  Mitte der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts: Protagonist der Anekdote ein gewisser Harry de Vlugt, zwischen 1972 und 1975 an der Hafenstraße unter Vertrag. Harry de Vlugt, uns von Karsten Kiepert näher vorgestellt, hatte seinerzeit ja nicht nur Schlaghosen an, sondern auch einen besonderen Schlag bei den Frauen. Ein Weiberheld eben, so der Zeitgenosse am anderen Ende der Leitung amüsiert und fast bewundernd. Was so ein richtiger Lebemann jener Tage war, der hatte Kontakte. Viele Kontakte. So auch, wie es sich für einen rot-weißen gehört, in das Rotlicht- statt königsblaue Milieu. Und die dort aktiven Zuhälter waren nicht nur fußballbegeistert, sondern fast davon besessen; wollten sich endlich auf dem grünen Rasen messen. Eben gegen jene Mannschaft des RWE. Der allseits bekannte Harry  de Vlugt wurde also dazu auserkoren, seiner Mannschaft diesen Wunsch nahezubringen. Die ausgelobte Summe für das Spiel „Rot-Weiss Essen gegen Zuhälter“ sollte 10.000 DM für die Mannschaftskasse betragen. Was somit natürlich auch Willi Lippens vollends überzeugte, so der Zeitgenosse und ehemalige Aktive.

Natürlich handelte es sich in gewisser Weise ja auch um Schweigegeld, denn die Verantwortlichen jene Tage wussten nicht von dieser Aufbesserung der Mannschaftskasse, geschweige denn von dem halbseidenen Sparringspartner. Und so kam es, dass eines Tages mehr auffällige Fahrzeuge als sonst an der Hafenstraße parkten. Klunker und Nerz waren sonst nicht wirklich im Essener Norden zuhause. Dem absurden Spiel des Jahrhunderts stand nun nichts mehr im Wege. Außer dem Zufall in Form von Paul Nikelski! Paul Nikelski, Geschäftsführer; Herz und Seele des Vereins, radelte am Trainingsplatz vorbei und sah seine Spieler scheinbar in Vorbereitung auf ein Spiel. „Das könnt Ihr nicht machen“, so seine Reaktion darauf, als er zerknirscht in die Faktenlage eingeweiht wurde. Und da Nikelskis Wort seinerzeit mehr Gewicht hatte als Tim Wiese aktuell Muskelmasse, gab es kein Spiel Ballhalter gegen Zuhälter. Die 10.000 DM jedoch, die durften ohne Gegenleistung an der Hafenstraße verbleiben.

Was für eine Anekdote. Eigentlich kaum vorstellbar. Aber man kann sich das Szenario durchaus irgendwo um 1973 an der Hafenstraße und bei Rot-Weiss Essen vorstellen. Wenn nicht dort, wo auch sonst?

Einen weiteren bleibenden Eindruck hinterließ das Ablösespiel von Lambert Rondhues, welches am 1.August 1957 zwischen dem RWE und Eintracht Nordhorn im Georg Melches Stadion ausgetragen wurde. Auch hier wusste der Zeitgenosse von zu berichten. Unter anderem davon, dass der „Boss“ an jenem Tag kaum zu halten war. Auch wenn sich drei bis vier Nordhorner ihm in den Weg warfen, er war zu wuchtig an diesem Abend. Er hatte ja auch etwas gut zu machen. Der RWE gewann bekanntermaßen mit 6:1 und wie damals üblich, wurde nach dem Spiel gemeinsam gegessen. Diesmal in der uns allen so bekannten Haupttribüne des Georg Melches Stadions. Den älteren Essenern ist nun vor allem der Eintracht Spieler Bernd Busch in Erinnerung geblieben, denn es gab unter anderem Kartoffeln. Was so ein richtiger Grafschafter ist, der liebt Kartoffeln. Und so war vor Bernd Busch keine Kartoffel an diesem Abend sicher. Er bekam sie alle! Sein Einsatz an der Gabel auch heute noch legendär.

Da mein „Informant“ und Zeitgenosse noch viel mehr solcher Geschichten zu erzählen hat und einen kennt, der seinerseits zeitgenössisches Bild- und Zeitungsmaterial hat, werde ich ihn besuchen. Es wäre eine Sünde, wenn nicht. Apropos Sünde: Hat jemand zufällig auch Informationen zu dem Spiel gegen die Vertreter des „Sündenpfuhls“, welches nicht stattgefunden hat?