Holsten knallt am dollsten. #216

Bei Rot-Weiss Essen gibt kommen die Dinge seit Dienstag dieser Woche schneller in Bewegung als noch vergangenen Freitag der Verkehr auf den Autobahnen Richtung Lübeck. Die A1 war in Summe der gefahrenen Kilometer ein prickelndes Stauerlebnis und rund um Hamburg kam dann noch Verstopfung hinzu. Die LKWs mussten im Hafen ihre Container einschiffen, Wohnmobile und Wohnwagen rollten großer Zahl Richtung Scharbeutz, Timmendorf Strand und noch weiter.

Und nicht wenige Fans des RWE wollten einfach schon einen Tag früher in Lübeck vor Ort sein, um das letzte Saisonspiel beim heimischen VfB Lübeck entweder ganz entspannt ohne Anreisestress am Folgetag zu verfolgen oder gleich mit einem langen Pfingstwochenende im hohen Norden zu verknüpfen. Lübeck liegt schließlich nicht um die Ecke. Aber Lübeck ist einfach schön.

Es war richtig toll anzusehen, wie bei allerbestem Wetter immer mehr Rote und Rötliche durch das Holstentor schlenderten, oder den Tag gemütlich in einem der vielen Cafés und Restaurants an Ober- und Untertrave ausklingen ließen. Es war eine entspannte Szenerie an diesem Freitag vor dem letzten Saisonspiel. Den meisten Lärm veranstaltete temporär die heimische Autoposerszene. Der ansonsten gerne mal grölende Tross, der zur Hafenstraße zieht, war diesmal mit Familie, Kind und Kegel vor Ort.

Am Spieltag selbst kamen dann noch die vielen übernächtigten Bus- und Bahnfahrer hinzu, die sich zu nachtschlafender Zeit für ihren RWE auf den weiten Weg gemacht hatten, um ebenfalls Teil der prinzipiell kaum noch machbaren Mission „Platz 4“ zu werden. Und nicht wenige von ihnen waren bislang bei jedem Auswärtsspiel vor Ort. Eigentliche haben die Allesfahrer und Alles Fahrerinnen am Ende jeder Saison einen Orden verdient. Oder einen Patch für die Kutte. Irgendwas, was sie optisch für alle sichtbar auszeichnet. Denn das muss man erstmal schaffen.

Das Stadion an der Lohmühle selbst ein wunderbares Kleinod und „die alte Holze“ eine Tribüne zum Verlieben. Das Unkraut sprießt auf Stehtraversen, der Lack blättert überall ab und als Einstellungskriterium für den örtlichen Sicherheitsdienst war wohl ein Gesichtstattoo verpflichtend. Anstatt Holstentor gab es im Stadion Tor um Tor und Holsten. Was, wie wir ja wissen, knallt am dollsten. Es war eine entspannte Gemengelage, das Meckern hielt sich in Grenzen und nach dem Schlusspfiff gab es dann hüben wie drüben herrliche Szenen zwischen Fans und Spielern.

Von denen uns, wie wir nun wissen, um zurück zum Anfangsthema „Bewegung“ zu kommen, nicht wenige verlassen werden: Felix Götze hat sich schon seinen neuen Fans in Paderborn vorgestellt, Marvin Obuz kehrt zurück zu seinem (Chaos-) Stammverein und dann sind da noch Björn Rother, Fabian Rüth, Sandro Plechaty, Ron Berlinski und leider, was die eigene Gefühlswelt angeht, auch Isaiah Young. Sie alle waren Teil einer feinen Saison in der 3.Liga, an die wir uns gerne zurück erinnern werden. Mit „Isi“ und Sandro gehen zudem zwei weitere Aufstiegshelden. Aber ich bin mir sicher, dass sie allesamt nicht einfach so gehen, sondern mit dem Pokal in der Hand die letzte Ehrenrunde im Stadion an der Hafenstraße genießen wollen. Es wäre ein würdiger Abschluss.

Kurz nach „Drucklegung“ dieser Kolumne kam die Meldung, dass auch Cedric Harenbrock die Hafenstraße nach sieben langen Jahren verlassen wird. Es kam also endlich zu einer Entscheidung, was für alle Beteiligten eine gute Sache ist, denn schließlich ist Geduld kein nachwachsender Rohstoff. Die Reaktionen auf die Entscheidung von Cedric Harenbrock fielen wie gewöhnlich höchst unterschiedlich aus. Es ist doch völlig in Ordnung, wenn man sich als Fußballer nach sieben Jahren verändern möchte. Und, so naiv kann ja keiner sein, spielen da sicherlich Gehalt und möglicherweise eine höhere Liga als Hauptgrund mit. Würden wir ja alle so machen. Jetzt Undankbarkeit RWE gegenüber in den Raum zu werfen oder die sieben Jahre bei Rot-Weiss fast als Pflicht für einen lebenslangen Verbleib auszulegen, da machste leider nichts mehr dran.

Der englische Schriftsteller Samuel Johnson hat zu Lebzeiten (1709 – 1784) mal geschrieben: „Die Sprache ist die Kleidung der Gedanken“. Er würde heute geschockt die Hände über den Kopf zusammenschlagen, wenn er lesen könnte, wie sich Gedanken bisweilen geschmacklos formuliert anziehen lassen. Es sind also nun drei Aufstiegshelden, die Samstag hoffentlich den Pokal in die Höhe recken können und gebührend verabschiedet werden. Denn eine Verabschiedung ist immer auch der Dank für das Geleistete. Danke für sieben Saisons bei Rot-Weiss Essen mit wirklich allen Facetten, die ein Fußballer so erleben darf, kann und muss. 

Erinnern können sich seit einigen Wochen dank „Erinnerungskoffer“ hoffentlich viele Demenzkranke an tolle eigene Erlebnisse mit Rot-Weiss Essen. Den ersten Impuls dazu aus Fankreisen erhaltend, teilte man die Idee und setzte sie als Methode der Biographiearbeit entsprechend auf Rot-Weiss gemünzt mit allem was das RWE-Herz begehrt um.

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