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Fünf Jahre. (Aus`m Buch)

Weil wir das Georg-Melches Stadion hatten und verabschieden durften. Mussten.

Wenn das Fußballerlebnis des Jahres mit Abstand das traurigste, aber auch das schönste zugleich ist, dann muss es fast zwangsläufig etwas mit Fußball zu tun haben! Denn wo sonst treten Gefühle so gebündelt, so ungefiltert auf? Sind nicht nur einfach gut oder einfach schlecht, sind bisweilen unerklärlich!

Es war der 19. Mai 2012, an welchem das allerletzte Pflichtspiel im Georg Melches Stadion an der Hafenstraße in Essen Borbeck stattfinden sollte. Es war ein warmer Tag, die Sonne schien uns allen gnädig. „Fritz Walter Wetter“ hätte aber auch gepasst. Unser aller “GMS”, diese alte „Kabachel“. Abgewrackt, amputiert und heruntergewirtschaftet. So wie kurz zuvor noch der ganze Verein. Und doch bis dato voller Stolz auch dem modernen Fußball trotzend. Schließlich war man ja mal wer und Vorbild für viele anderen Stadien der 50er Jahre und noch weit darüber hinaus.

Egal auch, in welcher Liga der RWE gerade mal wieder herumwurschtelte, an Spieltagen waren die schon weit entfernt sichtbaren Flutlichter Fixpunkte für all die Fans, welche die Hafenstraße nun in Richtung Hausnummer 97a bevölkerten. Dort angekommen gleich für diese unvergleichliche Geräuschkulisse auf dem Vorplatz der Osttribüne sorgend. Immer auch unter den wachsamen Augen der Staatsmacht.

Essen ist kein einfaches Fußballpflaster: Essen ist rau, kann böse werden. Dich aber auch in den Arm nehmen! Dein Schicksal teilen; ist immer ehrlich und fast mit ganzem Herzen rot-weiss (Die Fahrzeuge mit Essener Kennzeichen und Schalke Aufkleber einmal ausgenommen. Das sind schwere Einzelschicksale). So wurde auch Fußball gespielt an der Hafenstraße; wurde es sogar erwartet. Also ehrlich und mit ganzem Herzen. Wehe dem Spieler, der nur sein Trikot spazieren trägt. So richtig schöne Fußballspiele waren eher selten.

All das war also das Georg Melches Stadion und eben noch viel mehr. Bis zu diesem letzten Spieltag der Regionalliga West, Saison 2011/2012: Rot Weiss Essen gegen SC Fortuna Köln hieß die letzte Paarung an traditionsreicher Stätte. Diesem Mythos, dem Stadion Töpperwien’scher Lobpreisung („Eine Begrüssung, wie ich sie in 23 Berufsjahren, ausser in Mexico City, Atztekenstadion, noch nie erlebt habe“)

Es sollte ein unvergesslicher Abschied werden. Gefühlt viel früher als sonst strömten die Fans aus allen Richtungen herbei, wurden Traditionen längst vergangener Tage wieder zum Leben erweckt („Kokosnüsse jemand hier“) und scheute fast ein jeder den Blick Richtung alte Westkurve, wo die neue Heimat Stadion Essen schon in Lauerstellung lag. Heute galt es, sich noch ein letztes Mal an gewohnter Stelle mit gewohnten Weggefährten zu treffen. Alles mittlerweile ritualisiert.

Im Stadion selbst bereiteten die Ultras Essen und Umfeld eine Choreo vor, um damit dem geliebten Stadion gebührend Tschüss sagen zu können. Und als die schon erwähnte Lobpreisung durch Rolf Töpperwien (Dem TV Publikum seinerzeit begeistert im Rahmen einer DFB Pokalbegegnung gegen Bayer Leverkusen kundgetan) krächzend aus den altersschwachen Boxen ertönte, zeitgleich eine unglaubliche “Choreo” hochgezogen wurde, da flossen erste Tränen!

Zu sehen aber nur von der Haupttribüne aus, denn hier wurde das mit den Fähnchen gemacht. Die Stehtribünen waren auf den Resten der „Nord“ unter einem riesigen Konterfei Georg Melches, sowie auf der „Nord“ unter einer gigantischen Bildergeschichte versteckt. Welch ein Erlebnis an einem Tag zu einer Zeit, in der es sich persönlich nicht nur von einem Stadion zu verabschieden galt. Ein Abschied in eine bessere Zukunft übrigens. Zu viel der Emotionen, zu viel der Tränen um einen herum. „An der Hafenstraße, RWE“ wurde in einer klassischen Version abgespielt, „Adiole“ in Originalfassung; gestandene Männer, welche mehr schluchzten denn sangen. Alles in allem Emotionen, die sich zwangsläufig in Tränen auflösen mussten. Es floss also an allen Ecken munter vor sich hin. Die Ultras Essen und alle an diesen Momenten beteiligten Fans hatten sich selbst ein Erbe gesetzt. Und der Welt gezeigt , dass sie besser sind als Messi.

Mit dem Anpfiff eines überraschend kurzweiligen Spieles in Anbetracht seiner sportlichen Bedeutungslosigkeit begannen dann die letzten 90 Minuten im Erbgut von Georg Melches. Es herrschte einige Minuten fast völlige Ruhe, es galt wohl allerorten, das gerade erlebte zu verarbeiten als aus irgendeiner Ecke der Haupttribüne dieses unvergleichliche “Oh immer wieder” angestimmt wurde.
Was soll ich sagen? Fußballerlebnis halt. So intensiv.

Es spielte sich dann harmlos, aber wie schon erwähnt, kurzweilig weiter. Der Unparteiische pfiff mal an, mal ab und zum Schluss pfiff er den Schlusspfiff. Aus, aus, aus…das Spiel war aus und sechsundachtzig Jahre Georg Melches Stadion waren Geschichte. Fassungslose Gesichter bisweilen, die vielleicht jetzt erst realisiert hatten, dass es wirklich nun Abschied zu nehmen galt. Das Stadion leerte sich dementsprechend langsam. Viele blieben einfach in ihrem Block stehen, kauerten auf ihren Sitzen oder formierten sich noch einmal und sangen ihre Lieder. Auf der Haupttribüne wurde “Mexico” gesungen, einige der Sänger durften vielleicht erst jetzt nach dem allerletzten Abpfiff und Jahren wieder ein Stadion betreten. Aber auch das gehörte zur Fußballkultur im Georg Melches Stadion.

Dieser Tag, definitiv das Fußballerlebnis im Jahre 2012, trotz so unglaublich vieler anderer intensiver Momente rund um das runde Leder. Ein Tag, welcher die Bedeutung dieses Vereins für die Menschen so unfassbar intensiv wiedergegeben hat, der aber noch viel mehr gezeigt hat, dass ein Stadion, richtig gelebt, kein Konstrukt aus Beton ist, sondern eine Seele hat. Tausende sogar. Ein Stück Heimat ist. Das Georg Melches Stadion an der Hafenstraße war Heimat. Aber die Fans von Rot Weiss Essen wären nicht sie selbst, hätten sie die Seele des GMS nicht schon einige Meter weiter mit hinübergenommen in das Stadion Essen an der Hafenstraße. Auch, wenn es Richtung Mythos noch ein ganz, ganz langer Weg sein wird.

Der sechzigste Geburtstag

Walter Ruege wird heute sechzig Jahre jung und sitzt gefühlt seit ebenso vielen Jahren am Mikrofon der Hafenstraße. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag lieber Herr Ruege. Als kleines Geschenk und Dankeschön (auch an die Fahnengirls) das siebte Kapitel. Später hoffentlich auch noch die drei Punkte, die diesen runden Ehrentag ziemlich rund machen würden. Ich bin überzeugt, die Mannschaft möchte Sie heute auch gerne beschenken.

Weil wir Fahnengirls statt Cheerleader haben. Und Walter Ruege.

Der Fußball dieser Tage lebt ja nicht immer nur von der Konstante, es müssen stetig Neuerungen her. Stadionsprecher werden zu Marktschreiern, die Stadionmusik wird zur Krachorgie. Das Stadion soll nicht mehr Stadion, sondern eine Event Location für die ganze Familie werden. Sofern Stadionkapazität und Familienbudget das überhaupt hergeben.

Wie wohltuend das Prozedere vor Spielbeginn an der Hafenstraße. Im neuen Stadion Essen nicht anders als im guten alten Georg Melches Stadion. Allgemeinen als „RWE Countdown“ bekannt, werden eine halbe Stunde vor Anpfiff rot-weiße Gassenhauer gespielt. Zudem sorgt Walter Ruege seit über sechsunddreißig Jahren ruhig und mit angenehmer Stimme am Mikrofon für die nötigen Informationen. Was man halt so braucht als Fan vor dem Spiel.

Seltene Ausflüge in die Moderne inklusive „Animationsversuche“ werden Walter Ruege schnell verziehen und galant überhört. Man möchte ihn in den Arm nehmen, verkündet er hörbar mitleidend die Tore für den Gegner, oder Ungemach auf den Rängen. Die Hafenstraße ohne ihn? Unvorstellbar. Ebenso unvorstellbar auch eine Hafenstraße ohne die Fahnengirls.

Unter dem Dach des AWO Fanprojektes zuhause, bilden die Fahnengirls stets vor Spielbeginn und zur Halbzeit den optischen Höhepunkt auf dem Rasen. Sie schwenken zum Rhythmus der Lieder ihre Fahnen in den Vereinsfarben. Nichts dramatisches also mag man denken. Aber zum Glück eben auch keine opulente Choreografie „Poms“ schwenkender Sportlerinnen in kurzen Röcken. Bei allem Respekt für die sportliche Leistung dieser, aber das passt nicht zur Hafenstraße. So weißt Du als Fan, was Dich erwartet. Wenigstens vor dem Spiel. Diese angenehme Konstante. Was auch besser ist, denn das danach gebotene ist meistens nicht zielführend, dem nächsten Spielbesuch freudig entgegenzusehen.

Vielleicht nehmen wir auf den Rängen das Wirken der Fahnengirls so selbstverständlich dar, so dass es uns erst wieder bewusst werden würde, sollten vor einem Spiel mal keine Fahnen geschwungen werden. Der Fan, das Gewohnheitstier. Das die Fahnengirls übrigens bei Wind und Wetter auf dem Platz stehen, während man gefühlt keinen Fan vor die Tür jagen möchte, kommt noch bewundernd hinzu.

Ballhalter gegen Zuhälter.

Der Anrufbeantworter blinkte. Diesen abgehört, berichtete eine sonore, sympathische Stimme davon, den Artikel gelesen zu haben. Und wer auch immer nun diese Nachricht abhören würde:  Er (der Anrufer) könne noch einige kleine Geschichten zu dem Buch beitragen. Man ahnt, dass eine solche fast geheimnisvoll wirkende Nachricht für den Moment die in etwa zeitgleich stattfindende Pressekonferenz an der Hafenstraße in den Hintergrund rücken ließ. Es galt einen Anruf zu tätigen.

Mein Informant kam gleich zur Sache und wir gerieten unvermittelt in den Strudel des Essener Rotlichtmilieu  Mitte der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts: Protagonist der Anekdote ein gewisser Harry de Vlugt, zwischen 1972 und 1975 an der Hafenstraße unter Vertrag. Harry de Vlugt, uns von Karsten Kiepert näher vorgestellt, hatte seinerzeit ja nicht nur Schlaghosen an, sondern auch einen besonderen Schlag bei den Frauen. Ein Weiberheld eben, so der Zeitgenosse am anderen Ende der Leitung amüsiert und fast bewundernd. Was so ein richtiger Lebemann jener Tage war, der hatte Kontakte. Viele Kontakte. So auch, wie es sich für einen rot-weißen gehört, in das Rotlicht- statt königsblaue Milieu. Und die dort aktiven Zuhälter waren nicht nur fußballbegeistert, sondern fast davon besessen; wollten sich endlich auf dem grünen Rasen messen. Eben gegen jene Mannschaft des RWE. Der allseits bekannte Harry  de Vlugt wurde also dazu auserkoren, seiner Mannschaft diesen Wunsch nahezubringen. Die ausgelobte Summe für das Spiel „Rot-Weiss Essen gegen Zuhälter“ sollte 10.000 DM für die Mannschaftskasse betragen. Was somit natürlich auch Willi Lippens vollends überzeugte, so der Zeitgenosse und ehemalige Aktive.

Natürlich handelte es sich in gewisser Weise ja auch um Schweigegeld, denn die Verantwortlichen jene Tage wussten nicht von dieser Aufbesserung der Mannschaftskasse, geschweige denn von dem halbseidenen Sparringspartner. Und so kam es, dass eines Tages mehr auffällige Fahrzeuge als sonst an der Hafenstraße parkten. Klunker und Nerz waren sonst nicht wirklich im Essener Norden zuhause. Dem absurden Spiel des Jahrhunderts stand nun nichts mehr im Wege. Außer dem Zufall in Form von Paul Nikelski! Paul Nikelski, Geschäftsführer; Herz und Seele des Vereins, radelte am Trainingsplatz vorbei und sah seine Spieler scheinbar in Vorbereitung auf ein Spiel. „Das könnt Ihr nicht machen“, so seine Reaktion darauf, als er zerknirscht in die Faktenlage eingeweiht wurde. Und da Nikelskis Wort seinerzeit mehr Gewicht hatte als Tim Wiese aktuell Muskelmasse, gab es kein Spiel Ballhalter gegen Zuhälter. Die 10.000 DM jedoch, die durften ohne Gegenleistung an der Hafenstraße verbleiben.

Was für eine Anekdote. Eigentlich kaum vorstellbar. Aber man kann sich das Szenario durchaus irgendwo um 1973 an der Hafenstraße und bei Rot-Weiss Essen vorstellen. Wenn nicht dort, wo auch sonst?

Einen weiteren bleibenden Eindruck hinterließ das Ablösespiel von Lambert Rondhues, welches am 1.August 1957 zwischen dem RWE und Eintracht Nordhorn im Georg Melches Stadion ausgetragen wurde. Auch hier wusste der Zeitgenosse von zu berichten. Unter anderem davon, dass der „Boss“ an jenem Tag kaum zu halten war. Auch wenn sich drei bis vier Nordhorner ihm in den Weg warfen, er war zu wuchtig an diesem Abend. Er hatte ja auch etwas gut zu machen. Der RWE gewann bekanntermaßen mit 6:1 und wie damals üblich, wurde nach dem Spiel gemeinsam gegessen. Diesmal in der uns allen so bekannten Haupttribüne des Georg Melches Stadions. Den älteren Essenern ist nun vor allem der Eintracht Spieler Bernd Busch in Erinnerung geblieben, denn es gab unter anderem Kartoffeln. Was so ein richtiger Grafschafter ist, der liebt Kartoffeln. Und so war vor Bernd Busch keine Kartoffel an diesem Abend sicher. Er bekam sie alle! Sein Einsatz an der Gabel auch heute noch legendär.

Da mein „Informant“ und Zeitgenosse noch viel mehr solcher Geschichten zu erzählen hat und einen kennt, der seinerseits zeitgenössisches Bild- und Zeitungsmaterial hat, werde ich ihn besuchen. Es wäre eine Sünde, wenn nicht. Apropos Sünde: Hat jemand zufällig auch Informationen zu dem Spiel gegen die Vertreter des „Sündenpfuhls“, welches nicht stattgefunden hat?

Der längste Torjubel unserer üppigen Pokalhistorie.

Wann immer der wunderbarste Verein der Welt, nachfolgend RWE genannt, mal wieder in der ersten Hauptrunde des DFB Pokal mitspielen darf, kommen sofort Erinnerungen an dieses eine Spiel hoch. Ja, an dieses eine Spiel! Und dann auch noch gegen diesen einen Gegner. Wohl denen, die an diesem spätsommerlichen 13. September 1992, im Georg Melches Stadion zugegen waren.

An diesem Sonntag wurde übrigens schon die zweite Hauptrunde im laufenden Wettbewerb gespielt, in welcher uns der benachbarte, in inniger gegenseitiger Abneigung verbundene, FC Schalke 04 als Gegner, und als Bundesligist natürlich haushoher Favorit, zugelost wurde. Die erste Runde überstand der RWE trotz seines Daseins als Oberligist (seinerzeit Drittklassig) überraschend souverän. Was vielleicht daran lag, dass die Roten sich in der ersten Hauptrunde über ein Freilos freuen durften. Ohne ein solches wäre die zweite Runde wohl ziemlich unwahrscheinlich gewesen.

Das hat bei Anpfiff aber wohl kaum einen im Stadion interessiert. Dieses war natürlich ausverkauft und zwar wie folgt: Die Westkurve stand zwar noch, aber sie war schon gesperrt. Der Spielstand wurde auf ihr noch manuell angezeigt. Legendär der jubelnde Fan mit der schwarzen Zwei auf weißer Pappe. Er rannt auf dem Kamm der Westkurve hin und er rannte her. Bekam sich kaum wieder ein.

Die Nordtribüne war in diesen Jahren noch komplett den Heimfans vorbehalten und nun also auch Standort derjenigen, die zuvor in der Westkurve den sogenannten „harten Kern“ bildeten. Zudem jetzt mit vielen anderen RWE Fans unter einem Dach versammelt. Der Atmosphäre tat das natürlich keinen Abbruch, das Gegenteil war der Fall. Man sprach von „Mythos Hafenstraße“.

Die Ostkurve somit über die komplette Breite der Gästeblock. Bei diesem Spiel auch geradezu logisch, liegen doch beide Stadien gerade einmal zehn Kilometer Luftlinie voneinander entfernt, sind Essen und Gelsenkirchen Nachbarstädte und eben auch ziemlich beste Feinde. Die Hafenstraße sicher auch ein unruhiges Pflaster vor, während und nach diesem Spiel. Auch, da es der geneigte Gästefan nach Spielschluss ziemlich eilig hatte, flott aus dem Stadion und zurück über die eigene Stadtgrenze zu kommen. Bliebe also noch die Haupttribüne. Da hat sich in all den Jahren höchstens die Bestuhlung verändert. Das Georg Melches Stadion meldete also ausverkauft und über die genaue Zuschauerzahl streiten Historiker wohl noch heute.

Das letzte Spiel beider Rivalen gab es erst zwei Spielzeiten zuvor; die einen stiegen auf und die anderen ab. Wem nun welches Schicksal ereilte, bedarf sicher keiner weiteren Erklärung. Die Dummen sind doch irgendwie immer wir. Bis zu diesem Tag, so der Plan. Denn der Pokal, das war und ist doch dieses Dingens mit seinen eigenen Gesetzen. Diese wollte der Oberligist nun so auslegen, so dass es der Bundesligist war, der sich den Pokalgesetzen zu beugen hatte. Entsprechend couragiert gingen die rot-weissen zu Werke und wurden in der 26. Minute mit dem Führungstreffer belohnt. Allerorten war von einer verdienten Führung zu lesen. Für diese sorgte Predrag Crnogaj.

Wurde im Anschluss an dieses Spiel fast jeder Junge im Essener Norden Jörg getauft, und wird „Taufpate“ Jörg Lipinski auf Lebenszeit mit dem 2:0 von Rot-Weiss Essen gegen den FC Schalke 04 in Verbindung gebracht, so tun wir uns mit der Huldigung von Predrag Crnogaj zu Unrecht ungleich schwerer. Schließlich ließ es sich erst mit der Führung im Rücken immer selbstbewusster aufspielen, so dass die Schalker auch in der Folgezeit kein Mittel fanden, um das Abwehrbollwerk RWE zu knacken.

Zu Predrag Crnogaj gibt es übrigens einen Vermerk auf der, von ETB Fans betriebenen, Seite „Lackschuh-Power“: „Predrag Crnogaj erlebte während seiner aktiven Karriere ein Wunder: Er spielte bei Rot-Weiss Essen UND war erfolgreich! Predrag Crnogaj gewann mit RWE nämlich 1992 die deutsche Amateurmeisterschaft“ Da die „Lackschuhe“ natürlich für dauerhaften sportlichen Erfolg stehen, sei ihnen dieses herrliche Bonmot gegönnt.

Zurück zum Spiel: Der viel zu früh verstorbene Charly Neumann war nun mit zunehmender Spieldauer an der Seitenlinie gefragt, lagen die Nerven der Fans aus der Nachbarstadt blank und wurden mit zunehmender Spieldauer immer blanker. Schalke rannte immer wieder Richtung Essener Tor, erhöhte minütlich den Druck und auch Torwart Jens Lehmann wartete nicht mehr vor dem Tor, sondern wollte weiter vorne mitmischen. Doch, was ihm einige Jahre später in so ziemlich letzter Minute im kleinen Revierderby bei Borussia Dortmund gelang, ging an diesem 13. September 1992 zwar nicht in die Hose, aber direkt in das eigene Tor.

Die neunzigste Minute war angebrochen, weiter Abschlag des Essener Torwarts und Publikumsliebling Frank Kurth. Jens Lehmann, komplett allein in der eigenen Hälfte, versuchte den Ball zu stoppen, um sofort den Gegenangriff einzuleiten. Dieses Unterfangen misslang jedoch, der Ball prallte ab, was der heranstürmende Jörg Lipinski sofort ausnutzte. Samt Ball stürmte Lipinski Richtung verwaistes Gästetor. Da sich kein Schalker mehr die Mühe machte, ihn zu verfolgen und Jens Lehmann in Gedanken sicher schon woanders war, stoppte Jörg Lipinski den Ball vor der Torlinie, riss die Arme hoch und gönnte den vor Freude eskalierenden Fans der Rot-Weissen einen der längsten Torjubel in der Geschichte des Fußballs. Nach fünf Sekunden wurde es dann aber doch Zeit, sich umzudrehen und den Ball vorschriftsgemäß über die Linie zu bringen.

Der Rest war Jubel. Sehr großer Jubel. Das es bis zum heutigen Tage nie wieder ein Pflichtspiel der beiden Rivalen gab, das konnte sich an diesem so wundervollen 13.September 1992 wohl kein Fan vorstellen. Fünfundzwanzig Jahre sind eine lange Zeit.