Zirkus Maximus

Özil, Kehl und die gute Sache
Text von Holger Wilkens, Grafschafter Nachrichten. (Vielen Dank für die Genehmigung)
Von Eintracht Nordhorn ist man es ja hinlänglich gewohnt, dass für die positiven Nachrichten in erster Linie die Spieler allein sorgen. Jetzt macht sogar einer von sich reden, der eher in der zweiten Reihe steht, in der laufenden Oberliga-Saison noch nicht einmal in der Startelf stand und nur drei Mal eingewechselt wurde: Özcan Baysoy. Der Kicker trennt sich von zwei lieb gewonnenen Erinnerungsstücken von den Gastspielen der Bundesligisten in Nordhorn, um der Familie des verstorbenen Eintracht-Fans Peter Simons zu unterstützen.
Zweimal traten Eintrachts Oberligafußballer in dieser Saison gegen traditionsreiche Bundesligisten an. Im Gegensatz zu vielen seiner Mitspieler konnte Baysoy dabei Originaltrikots eines gegnerischen Spielers erhaschen: die Jerseys von Mesut Özil (Werder Bremen) und Sebastian Kehl (Borussia Dortmund). Dies brachte ihm zahlreiche Anfragen seiner Freunde und Bekannten ein, doch Özcan Baysoy lehnte sämtliche Anfragen ab – bis jetzt.
Nach dem Tod von Peter Simons, dem langjährigen Eintracht-Mitglied und aktiven Vorstandsmitglied des Eintracht-Fanclubs, startete Özcan Baysoy eine Trikot-Verlosung. Der Erlös geht an die beiden Kinder des Verstorbenen. Und so funktioniert’s: Wer Interesse an den Trikots hat, kann sich ein oder mehrere Lose reservieren lassen. Jedes Los kostet fünf Euro, der Gegenwert ist auf das Konto 107 104 101 des SV Eintracht bei der Sparkasse Nordhorn (BLZ 26750001) zu überweisen. Für jede fünf Euro wandert ein Los in eine große Lostrommel, die Gewinner werden beim Heimspiel am Sonntag, 26. April (15 Uhr), gegen den TSV Havelse gezogen. Wichtig ist, auf der Überweisung die Adresse anzugeben und einen Vermerk „Özil“ oder „Kehl“. Der Erstgezogene erhält das Trikot seiner Wahl.
Die Festung bröckelt nicht zuletzt aufgrund einer neuen, gefährlichen Entwicklung.
Wenn die Fans die Seele eines Fußballvereins sind, dann muss Rot-Weiss Essen zum Psychologen. Die saisonübliche Demontage eines x-beliebigen Spielers, der prinzipiell der Schuldige an allen Übeln der Welt zu sein hat (ob er nun Wulnikowski, Zaza, Kioyo oder Kiskanc heißt ist dabei nebensächlich), ist mittlerweile an der Hafenstraße Usus geworden. Doch nun haben die Beschimpfungen und Hasstiraden auf die eigene Mannschaft ein Ausmaß des Unerträglichen und seit vergangenen Dienstag auch einen neuen Tiefpunkt erreicht. Enttäuschung, Frustration und Zorn entschuldigen nicht das Verhalten einiger sogenannter RWE-Fans nach dem Spiel gegen den VfL Bochum. Die Familie von Sascha Mölders wurde angegriffen. Das Auto, in dem die Familie saß, wurde bespuckt, anschließend wurde es ins Wanken gebracht, bis der kleine Sohn unseres Torjägers es schließlich mit der Angst zu tun bekam und Tränen vergoss. Dieses Armutszeugnis einiger Halbstarker beschämt alle Fans, die diesen Namen noch verdienen.
Wenn Spieler nach Niederlagen den Mumm besitzen an den Zaun zu treten, um mit den enttäuschten Fans zu diskutieren, möchte man manche Genossen hinter dem Gestänge gerne mit Attributen aus dem Tierreich belegen. Die Gesten, Androhungen und wüsten Beschimpfungen decken die ganze Palette der Dummheiten ab. Dabei geht es weniger darum, verdiente Spieler in Watte packen zu wollen. Die Hafenstraße ist wahrlich kein Ponyhof und jeder Spieler, der hier seine Schuhe schnürt, weiß, dass ihm bei Siegen ausgelassene Jubelfeiern und Sprechchöre blühen. Andersherum geht es nach Niederlagen sicher nicht zu wie bei Omas Kaffeekränzchen. Die Fans machen ihrem Unmut Luft. Entweder sind wir himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt. Heute machen wir die Humba, morgen wünschen wir dich zum Teufel.
Die Ausrede, das sei eben Leidenschaft, die wahrlich Leiden schafft, darf dabei keineswegs gelten, wenn tätliche Angriffe oder Demütigungen plötzlich an der Tagesordnung sind. Dabei ist es völlig egal, ob nun der Toptorjäger oder vielleicht lediglich ein Reservist derart behandelt wird. Es ist völlig irrelevant, ob der Spieler seine Zukunft bei Rot-Weiss Essen von solchen Dingen eventuell abhängig macht oder nicht. Respekt ist hier das Zauberwort, das manche Hirntoten in ihrem Wahn zu vergessen scheinen. Die Hafenstraße ist ein Schauplatz der Emotionen, aber kein Ort der Frustbewältigung, der zügellosen Hasstiraden oder gar tätlichen Angriffe gegen Spieler, geschweige denn gegen deren Familien. Manche Menschen scheinen sich einfach wohler zu fühlen, wenn sie auf und um das Stadion herum mal eben über 2000 Jahre Evolutionsgeschichte über Bord werfen können.
Wir von Jawattdenn.de möchten uns ausdrücklich von diesen Aktionen distanzieren und jedem, der sich Woche für Woche das rot-weisse Trikot überstreift, unseren Respekt ausdrücken. Allein die Tatsache, dass dies explizit betont werden muss, ist schon traurig genug. Manchmal ist eben nicht nur die Mannschaft viertklassig.